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besprechung
"die zwei moskaus" erschien nie

das neue moskau

eine ausstellung im fotomuseum
von 05.11.1999 bis 16.01.2000

"Es sieht so aus, als könne nur der Fotoapparat das moderne Leben abbilden," schrieb der Künstler und Fotograf Alexander Rodtschenko 1928 in "Wege der zeitgenössischen Fotografie". Zwar bezog er damit Opposition gegenüber den klassischen Gattungen der Graphik und der Malerei. Aber die Moderne ins Bild zu bringen, muß man vor dem Hintergrund des Stalinismus auch programmatisch verstehen.
   
stalins moskau


1929 errang Stalin die Alleinherrschaft über Partei und Staat. Der so genannte Erste Fünfjahresplan ließ schon vor seinem Abschluß 1933 Ergebnisse sehen. Moskau wurde in eine moderne Stadt verwandelt, die dem stetigen Bevölkerungswachstum Rechnung trug. Die Architektenvereinigung der "Antiurbanisten" schufen großflächige neue Siedlungsgebiete; die "Urbanisten" verwandelten die Innenstadt in moderne Appartmenthäuser, Arbeiterclubs und großzügige Parks. Die Fabriken und Kombinate sorgten mit Kantinen um das Wohl ihrer Arbeiter. Riesige Theater und Bibliotheken sorgten für die geistige Speisung der Moskauer. Moskau sollte die zaristische Vergangenheit zugunsten einer blühenden sozialistischen Zukunft zum Wohlergehen aller abstreifen.
Vor diesem Hintergrund sollte 1933 die Publikation "Zwei Moskaus" den Aufschwung deutlich ins Bild setzten. Das alte Moskau sollte per Karikaturen der Gruppe "Kukrynisky" veranschaulicht werden. Natürlich übertrumpft vom neuen Moskau, vertreten durch Rodtschenkos Fotografien. Das Buchprojekt wurden nie realisiert, doch die 89 dafür vorgesehenen Aufnahmen blieben in der Sammlung L. und G. Tatunz erhalten. Im Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum sind diese jetzt ausgestellt, zusammen mit zeitgenössischen Veröffentlichungen über Moskau sowie in Begleitung des Films "Moskau" (1927) von Michail Kaufman.
   
ein foto ist keine "film-sache"
Kaufman hatte zuvor über das Verhältnis von Fotografie und Film sinniert und war zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Fotografie eine "fertige, in sich geschlossene Sache" sei, während "eine Film-Sache aus einer Reihe von Teilen entsteht". Mit seinem Film hat er aus der Perspektive eines Automobils einen Arbeitstag in der Stadt rasant dokumentiert. Rodtschenko oblag es, für dieses neue Lebensgefühl fotografische Äquivalente zu schaffen. Aufgenommen mit der kapitalistischen Erfolgskamera Leica, folgte er seiner bisweilen als antinarrativ bezeichneten Auffassung. Er zog das Fragment und das Momenthafte der Umsetzung von Zusammenhängen vor. Soll heißen: Er bot dem Betrachter kein Geschehen, keinen Handlungsansatz, sondern per formaler Reduktion so enge Ausschnitte, daß die gezeigten Gegenstände mitunter zeichenhaften Charakter annahmen. Am deutlichsten wird das, wenn er z.B. vom neu erbauten "Ginsburg"-Gebäude Heizungsrohre fotografierte, oder von der Fabrikküche nur das Schild "Speisesaal" und zwar aus steiler Untersicht. Dabei wechselte er ständig zwischen Nachaufnahme und Überblick, zwischen frontaler und schräger Ansicht. Fast immer ist Bewegung im Bild. Diese wird transponiert durch Autos, laufende Menschen, durch Motorradfahrer und Tennisspieler, Jugendliche, die ins Wasser springen oder Treppen hinaufsteigen. Überhaupt: Immer wieder die Jungen. Ob in Windelalter im Zoo, beim Ringelreih‘ oder beim Traktorspielen, ob Pioniere, Schüler oder Studenten - immer sind sie in Bewegung, nur beim Lernen oder Radiohören findet kurzes Innehalten seinen geeigneten Rahmen. Rodtschenko signalisierte ganz klar: Der nächsten Generation gehört die Zukunft, sie wird von den Veränderungen profitieren. Ansonsten wurden Arbeiter fokussiert, doch sie traten nicht als Porträt, sondern als Typus hervor. In Aktion an der Maschine und bei Demonstrationen kamen sie außerdem ins Bild. Alte Menschen und kommunistisch unerwünschte Schichten wurden ausgeblendet.
Dazwischen schwenkte Rodtschenko das Objektiv immer wieder auf die Stadt, bei Tag und Nacht. Ihr Antlitz ist das steingewordene Versprechen der Regierung. Der Fotograf verdeutlichte, was George Bernhard Shaw schon 1931 in Moskau schriftlich festhielt: "Unter unseren Augen verwandelt sich das faule, saufende, schmutzige, abergläubische, sklavische und hoffnungslose Rußland des abscheulichen Zarismus in ein energisches, nüchternes, reines, modernes, intellektuelles, unabhängiges, blühendes, uneigennütziges kommunistisches Land." Lion Feuchtwanger faßte sich sechs Jahre später kürzer: "Moskau wird schön".
   
zu sehr "film-sache"?

Margartia Tupitsyn, die Kuratorin der Wanderausstellung, vermutet, daß das Buch deshalb nicht zustande kam, weil die Karikaturisten ihren Anteil nicht lieferten. Ab 1932 arbeiteten diese nämlich für die Prawda. Es steht aber auch an zu vermuten, daß ein weiterer Grund darin lag, daß Rodtschenko mit seiner Regie zu nahe an die „Film-Sache" geriet. Denn seine Aufnahmen funktionierten nur in der Zusammenschau mehrerer, wenn nicht gar aller Fotos gleichzeitig. Nur in der Gesamtheit wurde der euphorische Ton nachvollziehbar. Und nur dann überträgt sich die Spannung zwischen Totale und Zoom auf den Betrachter.
(Zur Ausstellung erschien ein Katalog im Schirmer/Mosel Verlag, DM 40,- an der Museumskasse)

milena greif



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