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besprechung
serious or delirious

andy warhol: the last supper

eine ausstellung im staatsgalerie für moderne kunst

Die Staatsgalerie beherbergt z.Zt. einen umfangreichen Zyklus, der sich aus einer Vielzahl von Drucken und Zeichnungen kleineren Formats und 'Gemälden' gigantischen Ausmaßes zusammensetzt. Der Zyklus dokumentiert die Auseinandersetzung der Pop-Art-Ikone Andy Warhol mit einem der zentralen Werke der klassischen Kunstgeschichte: mit Leonardo da Vincis 'Abendmahl'.
Ebenso wie das 'Vor'bild ist auch Warhols Arbeit eine Auftragsarbeit, und das ist für unser Jahrhundert keinesfalls selbstverständlich. Der Galerist Alexandre Iolas beauftragte seinen Freund Warhol 1985 mit dem Projekt, das mit den druckgraphischen Werken kurz vor Warhols Tod 1987 in einer Mailänder Bank unmittelbar gegenüber von S. Maria delle Grazie präsentiert wurde - also dem Ort, an dem sich Leonardos 'al secco'-Bild befindet.

Mit Warhol verbindet man automatisch den Hang zur Provokation, zur Ironisierung oder gar zum Zynismus. Die Frage, die sich die Ausstellungsmacher zurecht stellen ist, inwieweit dieser Zyklus Ausdruck eines sentimental gewordenen Künstlers ist, oder ob hier grundlegenden existentiellen Fragen unserer Zeit Ausdruck verliehen werden sollte. Greift ein Künstler des 20. Jahrhunderts in die Kiste der Kunstgeschichte, dann wirft er damit dem kunstwissenschaftlichen wie auch 'trivialen' Betrachter Futter zur Interpretation vor die Füße. Leonardos Bild ist bekanntermaßen ein Meilenstein der Kunstgeschichte. Es stellt den inkarnierten Gott im Zentrum des Geschehens dar. "Einer ist unter Euch, der mich verrät!", hat er gesagt und seine Jünger weichen erschrocken zurück. Die Größe Leonardos offenbart sich in der Einfachheit, der Vermenschlichung, der Erzählung, die gleichzeitig jedoch die Frage nach dem Menschsein an sich stellt. Sensibel perspektivisch und koloristisch (wovon freilich vor dem Original nur noch wenig zu spüren ist) in Szene gesetzt, ist Christus das Zentrum. Er ist Mittelpunkt des Bildes, Mittelpunkt der Welt, des Kosmos. Warhol wird das als gläubiger Katholik verstanden haben, doch setzt er ein Zeichen, wenn er das Bild - 60mal vervielfältigt - aneinanderreiht. Paradox ist das im mehrfachen Sinn: das Abendmahl kann nicht mehrfach an unterschiedlichen Orten stattgefunden haben. Symptomatisch ist jedoch, daß das Zentrum bei Warhol aufgelöst ist. Das Bild- = Weltzentrum existiert nicht mehr. Wie der Blick auf ein vielstöckiges Mietshaus mutet die Aussicht an, und in jedem Wohnzimmer findet das Abendmahl statt.

Subtil sind auch Warhols Collagen, die sich mit der Bedeutung der Farbe und des Lichts auseinandersetzen. Was hier mit Fläche und Farbe experimentiert wurde, erscheint auf den großformatigen Gemälden reduziert. Bedrückende weiße Flächen dominieren, gerahmt von groben Konturlinien. Immer wieder tauchen Zeichen unserer Konsumwelt auf, etwa die "57" aus der Suppendosenreklame (für die Zahlenmystiker: 5 + 7 = 12 = Apostel - 1Verräter?) oder das Kamel der Zigarettenmarke, das auf den Ort des Geschehens verweisen mag.

Insbesondere die 'Images', die Siebdrucke und Collagen thematisieren die massenhafte Reproduktion von Kunstwerken. Man muß nicht gesondert darauf hinweisen, daß Warhols Auseinandersetzung keinesfalls vor dem Original Leonardos in Mailand, sondern anhand von unterschiedlichsten und überall erhältlichen Reproduktionen stattfand. Das eröffnet an dieser Stelle die Diskussion über die allgemeine Verfügbarkeit von Kunstwerken, die sich durch ihre Einzigartigkeit auszeichnen. Eine Singularität wie sie die christliche Religion für ihren Gott in Anspruch nimmt.

Die Ausstellung schafft es, neue und unerwartete Aspekte eines der vielfältigsten aber auch abgekautesten Künstler unseres Jahrhunderts aufzudecken.

Christian Schoen




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