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magazin



 
besprechung

physiognomisches erleben

irritierende photographien ann mandelbaum

eine ausstellung im fotomuseum im

münchner stadtmuseum
von 25.03.1999 bis 11.04.1999

Ein samtiger, glitschiger Wulst, ein Wurm gar, wölbt sich dem Betrachter aufreizend entgegen. Sein tiefschwarzer Schlagschatten verleiht ihm unverhoffte Monumentalität, während sein weißlich getonter Untergrund den Ursprung seiner Existenz duftig umnebelt. Der geschwollene, feucht glänzende Spalt, dem er sich entrang, wird erst auf den zweiten Blick als Mund erkannt. Die freche Zunge erscheint auch nach der Identifizierung als außerordentlich präsente, ja eigenständige Persönlichkeit.

Die Photographien von Ann Mandelbaum, die jetzt bis zum 11. April im Fotomuseum ausgestellt sind, stellen Brechungen der Realität dar. Bearbeitet wurden sie deutlich: per Pseudosolarisation, d.h. durch eine Nachbelichtung des fertigen positiven Bildes wurden die Tonwerte in ihr Gegenteil verkehrt. Daraus ergibt sich der samtige graue Schimmer. Dem trat fast immer ein Rahmen hinzu, in die Tonalität des Bildes eingebunden, der eine subtile Fokussierung bewirkt. Die Abzüge sind entgegen vorherrschender Tendenzen erstaunlich klein und treten so als kamerageborene Kleinode auf.
Obwohl also mehrfach manipuliert, ertönt die Erinnerung an den antropologischen Ursprung der Motivik wie ein fernes, aber deutliches Echo auf die eigene Vision vom Körper. "Das bist du, so siehst du aus", scheinen die Photos dem Betrachter entgegenzuflüstern. Die Photographie als Spiegel? - Als Spiegel der oft falschen Vorstellung vom Menschen, als Korrektiv zur Selbsttäuschung, die sich subjektiv in die Vorgabe von Physiognomie und Schönmalereien von körperlichen Ekelhaftigkeiten verheddert, und aus der Mensch nie ganz herausfinden kann. Das Haarige, Faltige, Glitschige als Teil seiner selbst zu erkennen, erschreckt ebenso, wie es versöhnt. Dann nämlich macht es Lust, das "Sosein" anzuerkennen und so zu sein, schließlich seinen physiognomischen Höhlungen und Wölbungen Eigenständigkeit zuzugestehen. Wie Roquentin in Sartres Ekel einmal seine Hand angesehen hat: "Ich sehe meine Hand... Sie lebt - sie ist ich... sie liegt auf dem Rücken, zeigt mir ihren fetten Bauch. Sie sieht aus wie ein umgeworfenes Tier, die Finger sind seine Beine."

existentielle landschaften



Doch anders als etwa die Detailaufnahmen von Robert Davies, oder die menschlichen Faltenwürfe von Yves Trémorin, konzentriert sich Mandelbaum auf die Öffnungen, auf die Membran zwischen innen und außen, die Schnittstelle zwischen humider Biologie und mimetischem Dasein: "Beim Untersuchen des Körpers faszinieren mich all die verschieden großen Öffnungen, der Unterschied zwischen den verlockenden und den abstoßenden. Ich betrachte diese verwirrende Stelle, an der wir Menschen nicht wissen, ob wir eindringen oder uns zurückziehen, ablehnen oder annehmen sollen." Manche Bilder kehren gar nicht mehr zur Hautoberfläche zurück, sondern sehen aus wie Petrischalen, in denen Keime erblühen, oder wie Eier im Momente ihrer Befruchtung. Fast vermeint man den Schlag der Samengeißel und die feine Vibration bei der Entstehung von Leben zu spüren. Das ist keine Erotik, sondern der sanfte Charme existentieller Landschaften.

Zur Ausstellung ist ein Katalog bei Edition Stemmle erschienen mit Texten von Trudy Wilner Stack und Rudolf Schmitz, 104 S., 52 Abb., DM 43,-


milena greif





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