arte
povera - die späten jahre
|
|
Arte povera ist eine Herausforderung an den Intellekt. Sie ist aber
auch oft ein Fest für die Sinne - das sollte man beim Gang durch die
fünf Ausstellungsräume erst einmal genießen:
Wir stehen vor einem in weiß gepolsterten Tisch, auf dem eine Nußschale,
ein Wassergefäß (in dem ein Goldfisch schwimmt) und eine schmale Vase
mit einer roten Rose angeordnet sind. An der Wand dahinter hängt eine
tiefblaue Leinwand. Pier Paolo Calzolari arbeitet hier mit
dem Zusammenspiel der drei Grundfarben gelb, rot und blau.
Direkt daneben arrangiert Luciano Fabro dagegen zwei weiße
Bettücher und Bettbezüge zu einem Bild, indem er sie auf einen Keilrahmen
spannt. Der Reiz liegt in der Diskrepanz des weich-fallenden und zugleich
straff-gespannten Stoffes.
Der Künstler Jannis Kounellis plaziert ein ausgetretenes Paar
Schuhe mitten auf den Boden und macht es zu einer Kostbarkeit, indem
er die Sohlen vergoldet.
Guiseppe Penone breitet einen langen, schmalen Haufen aus Lorbeerblättern
auf dem Boden aus und legt einen großes Stück Glas, das die Form eines
Fingernagels besitzt an dessen Spitze. Im Glas befindet sich der Abdruck
einer Kinderhand und eines Kinderfußes.
Michelangelo Pistoletto läßt die Kopie einer antiken bzw. einer
klassizistischen Skulptur mit ihren Spiegelbildern korrespondieren
-die Statue des Etruskers ("L'Etrusco") berührt mit der Hand die Spiegelfläche,
die Statue einer Frau hält dem Spiegel eine gefüllte Schale entgegen
("Dono di Mercurio allo specchio"). Wir selbst erwecken das jeweils
erstarre Abbild zum Leben, denn unsere Bewegungen werden vom Spiegel
reflektiert.
Auch Giulio Paolini beschäftigt sich mit der Nachbildung einer
Skulpturengruppe. Er teilt die Gruppe der Ringer - die Unterkörper
der Figuren kämpfen sich in die Wand hinein, aus der gegenüberliegenden
Wandfläche treten die dazu gehörenden Oberkörper wieder heraus.
Mario Merz schließlich ist hier nicht mit seinen berühmten
Iglus vertreten, sondern mit seinen Lieblingsthemen der Spirale, dem
prähistorischen Tier und der Fibonacci-Zahlenreihe (1, 2, 3, 5, 8,
13 ... jede Zahl bildet die Summe der beiden vorangegangenen - im
Jahre 1202 vom Mathematiker Leonarda da Pisa postuliert). So läßt
Merz diese Reihe in blauen Neonröhren vom Boden zur Raumdecke aufsteigen
und plaziert an ihr Ende die Plastik eines kleinen Krokodils ("Crocodilus
Fibonacci"). In einem weiteren Beispiel windet sich die Fibonacci-Reihe
(bestehend aus einer schmalen Neonlinie) aus einer gemalten Schnecke
(Spiralform) heraus.
Der Rundgang durch die Ausstellung soll an dieser Stelle beendet werden
- selbstverständlich wird der Besucher noch zahlreiche weitere Arbeiten
der soeben genannten Künstler und zudem noch Kunstwerke von Giovanni
Anselmo, Alighiero Boetti und Emilio Prini zu sehen
bekommen. Die Entdeckungsreise sollte man jedoch selbst vor Ort fortsetzen
- denn schließlich sagt ein Bild mehr als tausend Worte.
(Vor Ort erhältlich - der Katalog für DM 48,--)
angelika steer
|