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besprechung
arme kunst?

arte povera II

eine ausstellung in der sammlung götz
von 24.01.2000 bis 20.05.2000

Dem jüngeren Publikum sei verziehen, wenn ihm diese wörtliche Übersetzung in den Sinn kommt. Es sind schließlich mehr als 30 Jahre vergangen, seit die Arte Povera Bewegung, ausgehend von Turin, Mailand und Rom, zu einem der wichtigsten Impulsgeber in der Kunst nach 1945 wurde.
Die Vertreter dieser Kunstrichtung - die nie eine Gruppe im herkömmlichen Sinne bildeten - rebellierten mit der Verwendung von "armen" Materialien (reine Stoffe aus der Natur aber auch banale Gebrauchsgegenstände aus dem alltäglichen Leben) gegen die Hierarchie der Werkstoffe und gegen den etablierten Kunstbetrieb. Sie wollten Kunst schaffen die offen veränderlich bleibt (Feuer brennt und verbrennt, Wasser breitet sich aus und gefriert - siehe Pier Paolo Calzolaris Erwärmungs- und Gefrierprozesse).
Die Kunstwerke sollten, obwohl vergänglich, mehrdeutig und diskontinuierlich wie das Leben selbst, nicht geschichtslos im Raum stehen: Die Auseinandersetzung mit europäischer Mythologie, mit der Tradition der Antike und der Renaissance ist ein weiteres Anliegen der Arte Povera.
Wie die Künstler diese Aspekte jeweils in den späteren Jahren umsetzten zeigt die Ausstellung in der Sammlung Goetz.

   
arte povera - die späten jahre


Arte povera ist eine Herausforderung an den Intellekt. Sie ist aber auch oft ein Fest für die Sinne - das sollte man beim Gang durch die fünf Ausstellungsräume erst einmal genießen:
Wir stehen vor einem in weiß gepolsterten Tisch, auf dem eine Nußschale, ein Wassergefäß (in dem ein Goldfisch schwimmt) und eine schmale Vase mit einer roten Rose angeordnet sind. An der Wand dahinter hängt eine tiefblaue Leinwand. Pier Paolo Calzolari arbeitet hier mit dem Zusammenspiel der drei Grundfarben gelb, rot und blau.
Direkt daneben arrangiert Luciano Fabro dagegen zwei weiße Bettücher und Bettbezüge zu einem Bild, indem er sie auf einen Keilrahmen spannt. Der Reiz liegt in der Diskrepanz des weich-fallenden und zugleich straff-gespannten Stoffes.
Der Künstler Jannis Kounellis plaziert ein ausgetretenes Paar Schuhe mitten auf den Boden und macht es zu einer Kostbarkeit, indem er die Sohlen vergoldet.
Guiseppe Penone breitet einen langen, schmalen Haufen aus Lorbeerblättern auf dem Boden aus und legt einen großes Stück Glas, das die Form eines Fingernagels besitzt an dessen Spitze. Im Glas befindet sich der Abdruck einer Kinderhand und eines Kinderfußes.
Michelangelo Pistoletto läßt die Kopie einer antiken bzw. einer klassizistischen Skulptur mit ihren Spiegelbildern korrespondieren -die Statue des Etruskers ("L'Etrusco") berührt mit der Hand die Spiegelfläche, die Statue einer Frau hält dem Spiegel eine gefüllte Schale entgegen ("Dono di Mercurio allo specchio"). Wir selbst erwecken das jeweils erstarre Abbild zum Leben, denn unsere Bewegungen werden vom Spiegel reflektiert.
Auch Giulio Paolini beschäftigt sich mit der Nachbildung einer Skulpturengruppe. Er teilt die Gruppe der Ringer - die Unterkörper der Figuren kämpfen sich in die Wand hinein, aus der gegenüberliegenden Wandfläche treten die dazu gehörenden Oberkörper wieder heraus.
Mario Merz schließlich ist hier nicht mit seinen berühmten Iglus vertreten, sondern mit seinen Lieblingsthemen der Spirale, dem prähistorischen Tier und der Fibonacci-Zahlenreihe (1, 2, 3, 5, 8, 13 ... jede Zahl bildet die Summe der beiden vorangegangenen - im Jahre 1202 vom Mathematiker Leonarda da Pisa postuliert). So läßt Merz diese Reihe in blauen Neonröhren vom Boden zur Raumdecke aufsteigen und plaziert an ihr Ende die Plastik eines kleinen Krokodils ("Crocodilus Fibonacci"). In einem weiteren Beispiel windet sich die Fibonacci-Reihe (bestehend aus einer schmalen Neonlinie) aus einer gemalten Schnecke (Spiralform) heraus.
Der Rundgang durch die Ausstellung soll an dieser Stelle beendet werden - selbstverständlich wird der Besucher noch zahlreiche weitere Arbeiten der soeben genannten Künstler und zudem noch Kunstwerke von Giovanni Anselmo, Alighiero Boetti und Emilio Prini zu sehen bekommen. Die Entdeckungsreise sollte man jedoch selbst vor Ort fortsetzen - denn schließlich sagt ein Bild mehr als tausend Worte.
(Vor Ort erhältlich - der Katalog für DM 48,--)

angelika steer



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