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besprechung hält er, oder fällt er?
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Am Ende fällt er immer, soviel vorab. Denn auch Bas Jan Ader, dessen Werk jetzt der Kunstverein zeigt, war gegen die banalen Gesetze der physikalischen Schwerkraft und der menschlichen Existenz nicht gefeit. Bas Jan Ader, der 1942 in den Niederlanden geboren wurde, lebte ab 1963 in Kalifornien. Zwischen 1967 und 1975 schuf er serielle Film- und Fotoarbeiten, die der Konzeptkunst zuzurechnen sind. Karge Mittel und amateurhafte Anmutung seines Werkes lassen den Inhalt zunächst zurücktreten. überwindet man jedoch die materiellen Schranken, eröffnet sich einem das Universum eines Verrückten. Die Gegenwelt eines Romantikers, oder Metaphysikers gar? | |
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In einem seiner schwarz-weißen Super-8-Filme von 1971 hängt Ader im Baum. Nicht irgendwie, sondern an einem ganz dünnen, schwingenden Ast über einem kleinen Bach. Und hängt. Wie kam er dort hin? Und hängt. Und warum hängt er dort? Und hängt. Ist er verrückt oder ein Künstler? Dann fällt er. In den Bach. Einfach so. Seine Hände konnten den Griff nicht mehr halten, deshalb musste er fallen. Denn Bas Jan Ader ging immer bis an die Grenze und dann darüber hinaus. Und er machte noch viel schlimmere Sachen: Er fiel vom Hausdach und fuhr mit dem Fahrrad in die Grachten, ließ sich umfallen, Bäume auf sich und Steine auf Lampen fallen. Warum tat er das? Warum suchte Bas Jan Ader den Schmerz und Gefahr absichtlich? Doch weder Schmerz noch Gefahr waren sein Ziel, sondern die eigentlich abstrakten Begriffe, die er mit seinen Aktionen greif- und fühlbar machte: die Zeit, die Anziehungskraft, die Dauer der Bewegung, und das Gewicht, der Effekt des Aufpralls und die Stille danach. So gesehen war er ein abstrakter Künstler. Dies zum Beispiel auch, wenn er einen roten Blumenstrauß in einen blauen in einen gelben umsteckte. Vor laufender Kamera und mit Fotos dokumentiert. Die Zeit dehnt sich dabei extrem. Und nur in der Dauer ist das eigentliche Werk wahrnehmbar. Denn auf dem letzten Foto der Serie sieht man nicht mehr, was gewesen ist. | |
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War Bas Jan Ader aber auch so romantisch, wie ihm nachgesagt wird? Der die "Fall-Sucht" in Anspielung auf die schwindsüchtige Sehnsucht praktizierte, die im 19. Jahrhundert so viele Opfer niederstreckte? Wenn Ader sich am Meeresufer fotografieren läßt, wie er, mit dem Rücken zum Betrachter, auf den Sonnenuntergang hinaus sieht, dann drängt sich die Erinnerung an Kasper David Friedrichs "Mönch am Meer" schon deutlich auf. Doch glaubt man bei Ader mehr die metaphysische Größe und Weite des Globus zu spüren, und weniger die Erkenntnis des kleinen Menschen, der im Vergleich nichts wiegt. Ader legt es nicht auf Innenschau an, das zeigt auch sein Film "Too sad to tell you": Der Künstler weint vor laufender Kamera, doch das wirkt nicht intim oder bekennend, sondern man lernt nur den persönlichen Gefühlsausdruck "traurig" dieses Menschen kennen. Eher eine physiologische Studie denn Offenlegung des Herzens |
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Ader ist das Medium zwischen den physikalischen Kräften
und ihrer Erfahrbarkeit. 1975 wollte er endlich die Weite des Meeres
erfahren und erfahrbar machen. "Search of the Miraculous"
blieb aber ein Werkfragment. In Los Angeles sangen Aders Studenten Seemannslieder,
deren Texte ausgestellt wurden. Im zweiten Teil des Projektes sollte
Ader den Atlantik von Cap Cod nach Holland in einem Ein-Mann-Segelboot
überqueren. Seine Frau hatte das Abschiedsfoto gemacht und nach
Holland geschickt. Die bildnerische Existenz, die in dieser Aufnahme
enthalten ist, kam an, die echte nicht. Man wird nie erfahren, ob Bas
Jan Ader das Wunder gefunden hat, das er suchte. Durch diese letzte
Grenzüberschreitung ist er selbst zum Phänomen geworden. Zum
Wunder, das man heute in seinen Bildern wiederfinden kann.
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