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2 1 9 05|02|2002 | besprechung sinnieren über stuhlsorten - fotografien von candida höfer
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Schirmer/Mosel, der eifrige Verlag vieler Fotobücher der bekannten Kölner Fotografin zeigt in seinem Showroom neuere Arbeiten aus der Serie der "Bibliotheksbilder". Die fünfzehn gezeigten Werke sind in jeder Hinsicht typisch für eine Fotografin aus der Becher-Schule: Sie sind großformatig, meist menschenleer, zeigen serielle Anordnungen von Dingen und konstituieren sich ihrerseits wieder zu einer Serie. Sie sind jedoch auch typisch für Candida Höfer, die mit der 1999 in der Kunsthalle Basel ausgestellten Serie der "Leseräume" das Thema eigentlich nur unter anderem Namen fortgeführt hat. Die Faszination der Bilder besteht deshalb nicht unbedingt mehr in ihrer formalen Stringenz, die wir inzwischen von vielen Fotografen ihrer Generation kennen. Stattdessen lernt man den sich leise einschleichenden Humor schätzen, der die momumentalisierenden Aufnahmen immer wieder beseelt. So etwa die Aufnahme von der Stiftsbibliothek St. Gallen aus dem Jahr 2001, einer typischen Barockbibliothek voller prächtiger Ornamentik und protzendem universalwissenschaftlichen Selbstbewusstsein. Auf der gegenüberliegenden Wand des sich der Kamera guckkastenähnlich öffnenden Raumes entdeckt man bei längerer Betrachtung ein sehr modernes Symbol: ein rotes Verbotsschild mit einer durchkreuzten Kamera, will heißen: Fotografieren verboten. Die Fotografin widersetzt sich diesem Verbot und dokumentiert es gleichzeitig im Corpus delicti selbst. | |
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Subtil auch die Armee von Lampen, die in der Biblioteca UNED in Madrid
II vor dem Auge des Betrachters aufmarschieren. In Reih und Glied,
alle im gleichen Winkel abgeknickt, fordern sie auf, die Bibliotheksbenutzungsregeln
ja nicht zu umgehen - doch halt, eine der Lampen neigt sich vorwitzig
in eine völlig andere Richtung. Wieder einmal funktioniert die Anthropomorphisierung
bei Auslassung des Menschen im Bild. Angeblich inszeniert Candida
Höfer ihre Aufnahmen nicht und bearbeitet sie auch nicht digital -
und Schneewittchen lebt bei den sieben Zwergen. Ein Vergleich mit
offensichtlich stark digital bearbeiteten Aufnahmen ähnlicher Sujets
von Andreas Gursky bietet sich hier jedoch an. Seine monumentalen
Fotos von Hotellobbies spielen ganz ähnlich mit den Reizen von riesigen
architektonischen Zonen, die allein wegen ihrer Nutzung schematisiert
und seltsam überstrukturiert sind. Gursky verfremdet und steigert
seine Aufnahmen jedoch durch eine Kombination von Perspektiven, die
in ihrer Gleichzeitigkeit auf dem Foto unmöglich sind. Höfers Aufnahmen
haben dagegen immer den Charme des womöglich Wirklichen. So sinnt
man bei den Aufnahmen des berühmten ovalen Vortragsraums der Warburg-Bibliothek
gerne darüber nach, ob man sich an die zwei verschiedenen Stuhlsorten
erinnern kann. Und auch der vielfach zerkratze Fußboden des Lesesaal
des graphischen Kabinetts in der Hamburger Kunsthalle regt zum Sinieren
an: ist der Fußboden nicht letztlich wie eine große Platte und die
vielfachen Kratzspuren forschender Kunsthistorikerfüße nicht eine
Art Kaltnadelradierung, die nie gedruckt wurde?
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