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foto:.a.t. birkenholz

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besprechung
essen als individualitätsform von kunst

daniel spoerri presents eat-art

eine ausstellung im aktionsforum praterinsel
von 19.10.2001 bis 9.12.2001

Nach der großen Retrospektive im Museum Tinguely in Basel, die am 2. September diesen Jahres zu Ende ging, präsentiert nun Daniel Spoerri seine "Eat-art" auch im Zollgewölbe des Aktionsforum Praterinsel in München. Doch im Gegensatz zur Basler Ausstellung hat die Kuratorin Elisabeth Hartung den Schwerpunkt auf die Eat-art gelegt. So sollen alle relevante Aspekte der Eat-art durch eine selektive Auswahl von Spoerris Fallenbildern, Multiples und persönlichen Aufzeichnungen bis hin zu Werken der Eat-art Galerie ein Licht auf jene Kunstströmung werfen, die das Essen in den Mittelpunkt ihres kunstphilosophischen Denkens gestellt hat. Herausgekommen ist dabei eine Ausstellung, die gleichermaßen anziehend als auch abstoßend den Betrachter zum Nachdenken stimuliert.
   
mit dem essen fängt alles an
foto: a.t. birkenholz

Begonnen hat alles im wahrsten Sinne des Wortes im Nichts. Es war bei Addi Koepcke im Kopenhagen der 60er Jahre. Spoerri ist gerade dreißig Jahre alt geworden, hat mit seiner Karriere als Balletttänzer abgeschlossen und ist auf der Suche nach neuen Wegen. Vielleicht war es die existentiell bedrohliche Situation, in der er und seine Freunde damals lebten, die dazu führte, dass sie sich kritisch mit der Gesellschaft auseinander setzten. Denn inmitten einer Gesellschaft, der es nach langer Zeit der Entbehrung wieder gut ging, mussten er und seine Freunde um das tägliche Essen kämpfen. Die Reaktion: Eine Kunstausstellung, in der Nahrungsmittel zu Kunstobjekten erhoben wurden. Allein ein Stempel mit der Aufschrift "Attention œuvre d'art" enthob die einfache Butter, die sterile Zuckerdose oder das Tomatenmark in der Flasche dem profanen Bereich der Konsumgüter. Spoerri ging noch einen Schritt weiter und ließ Brötchen mit Abfall füllen. Katalog Tabu, Eat-art nannte er diese Objekte, die selbstverständlich auch in der Ausstellung auf der Praterinsel zu sehen sind.
   
essen als zeitgeist
foto: a.t. birkenholz

Alle Aspekte von Eat-art kann eine solche Ausstellung natürlich nicht nachzeichnen, insbesondere die vielen Happenings, bei denen Spoerri lediglich als "Koch, Gastronom oder Impresario großer Feste zum Initiator von Kommunikation und von sinnlichen Ereignissen" wurde und in Erscheinung trat. Denn auch wenn die ritualisierten Banketts in Form von Fotografien und Aufzeichnungen dokumentiert sind, ein unmittelbarer Eindruck kann dadurch nicht vermittelt werden. Dennoch, und das macht die Ausstellung "Daniel Spoerri presents Eat-art" zu einer sehenswerten, wird etwas von dem damaligen Geist in den Exponaten ersichtlich. Da gammeln ausgedrückte Kippen in einem Aschenbecher, ein Weinkorken liegt neben der Flache, Essensreste kleben auf weißem Porzellan. Der Tisch sieht aus wie ein Schlachtfeld. Alles deutet darauf hin, dass hier ein barbarischer Eingriff stattgefunden haben muss. Und dann das ordentlich zusammengelegte Besteck des Gastes. Kniggemäßig liegt das Messer rechts von der Gabel, zeigt an, dass das Mahl beendet ist. Plötzlich taucht in dem Chaos Kultur auf, wo man keine vermutet hat.

 

   
essen als widerspruch
foto: a.t. birkenholz

Daniel Spoerri ist ein Künstler der Kontraste. Warum quillt Teig aus dem Schuh, läuft der Film verkehrt herum ab? Was macht der Tisch an der Wand? Statt einer prächtig gedeckten Tafel, an der man die Symmetrie des Gedecks oder die Schönheit des Bestecks bewundern kann, zeigt Spoerri den abgeschlossenen Akt der Nahrungsaufnahme. Raffiniert verweist er damit den Betrachter auf den Ursprung der Nahrung. So ekelt man sich nicht vor dem abgenagten Lenden-Steak-Knochen, weil hier ein Mensch gegessen hat, sondern weil man an den Ausgangspunkt des Fleisches erinnert wird: die Kuh, der Metzger, das Schlachthaus, das Blut. Daniel Spoerri ist kein Künstler, der allein zu eingeweihten Kunsthistorikern spricht. Spoerri ist ein vitaler, lebensfroher Mensch, der mit viel Witz und Ironie die Dinge betrachtet. Dass er darüber hinaus zum Denken, Sinnieren, ja auch zum Philosophieren anregt, weist ihn als einen Künstler von großem Format aus. Allein Neugier muss der Betrachter von Eat-art mitbringen, denn ohne diese bleiben ihm die Kunstwerke verschlossen.

alescha birkenholz



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