magazin


2 1 8     3 0 01 2 0 0 2
besprechung
die dioskuren der metaphysischen kunst

die andere moderne -
de chirico
savinio

eine ausstellung im
kunstbau
von 26.01 bis 07.03.2002

"Ihrem Geist nach kaum zu unterscheidende Werke" nannte André Breton die Bilder der Brüder Giorgio de Chirico und Alberto Savinio. Ihre geistige und künstlerische "Zwillingsexistenz" wurde als derart außergewöhnlich gesehen, dass sie in den Zwanziger Jahren den Beinamen "Dioskuren" erhielten. Und tatsächlich: ihre Themen, Figuren, Symbole und Philosophien sind auf den ersten Blick fast identisch, ja sogar der Pinselstrich scheint bisweilen aus ein und derselben Hand. Und doch war es letztendlich De Chirico allein, der in den großen Büchern moderner Kunst einen Ehrenplatz erhielt und der in einem Atemzug mit metaphysischer Malerei genannt wird.

   
kollektive vergangenheit als leitmotiv
1888 und 1891 geboren, wuchsen die Brüder Giorgio und Alberto, Söhne italienischer Eltern, in Volos und Athen in Griechenland auf, bevor sie 1906 nach München übersiedelten. Giorgio schrieb sich an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste ein, während Alberto Privatstunden bei dem Komponisten und Organisten Max Reger nahm. Nach abgeschlossener Ausbildung folgten Paris und Italien, wo die Brüder den Großteil ihres Lebens verbrachten, oft getrennt und doch immer auch wieder gemeinsam. Der eine reiste dem anderen hinterher, ihr gedanklicher Austausch beflügelte sie beständig. Alberto legte sich 1914 das Pseudonym Savinio zu. Es war eine kurze Zeit in der die Brüder versuchten eigene Wege zu gehen, sich vom anderen zu unterscheiden und als künstlerische Individuen erkennbar zu sein. Savinio wurde in Paris als Meister der musikalischen Avantgarde gefeiert. Giorgio De Chirico malte 1909, angeregt durch die Philosophie Nietzsches, sein erstes metaphysisches Bild "Rätsel eines Herbstnachmittages" auf der Piazza Santa Croce in Florenz. Er schrieb an den Münchener Freund Gartz: "Wissen Sie erstens zum Beispiel, wie heißt der tiefste Maler, der in dieser Welt gemalt hat? (..) er heißt Arnhold Böcklin, es ist der einzige Maler, der tiefe Gemälde gemalt hat. - Wissen Sie jetzt wie der tiefste Dichter heißt? (..) der tiefste Dichter heißt Friedrich Nietzsche. (..) Ich hätte Ihnen noch viel andere Sachen zu sagen, zum Beispiel, dass mein Bruder und ich jetzt die tiefste Musik komponiert haben."
   
malerei als medium und lebensinhalt


Während sich Giorgio de Chririco fast ausschließlich auf die Malerei konzentrierte und fast über sechzig Jahre künstlerisch tätig war, war die Karriere des jüngeren Bruders nicht nur kürzer, sondern zerfiel zudem auch in musikalische, literarische und malerische Aktivitäten. Savinios Verhältnis zur Malerei war dabei gespalten, denn nachdem sich die Musik als inadäquat erwiesen hatte, um die Gedanken der arte metafisica auszudrücken, schien er die Malerei als bloßes Medium zu benutzen, um seinen theoretisch metaphysischen Reflexionen ein Sprachrohr zu verschaffen. De Chirico dagegen startete direkt von der bildenden Kunst aus und entwickelte sich erst mit ihr zum "Seher" und Philosophen.
In seinen Gemälden schuf er "metaphysische" Räume von tiefer Melancholie, großer Einsamkeit und erfüllt von einer in allen Winkeln lauernden Angst. Erlebnisse der Jugendzeit in Griechenland, die Rolle der Eltern und die antike Mythologie spielten eine große Rolle. Die klassisch italienische und griechischen Schauplätze sind menschenleer und düster-melancholisch, bewohnt nur von gesichtslosen Plastiken, die lange Schatten werfen. Am Horizont geistert manchmal eine Straßenbahn oder Lokomotive vorüber - der Vater der Brüder war Eisenbahningenieur. Bald wurden die "manichini", phantomartige Schneiderpuppen aus Leder und Holz, zu den Protagonisten im Bildgeschehen. In De Chiricos "Der Prophet" von 1914 ist der manichino bildgewordenes Symbol für den Künstler als Seher. Auf seiner Stirn überschneiden sich zwei Bänder mit einem Stern, ein Symbol, das Savinio und Apollinaire 1914 zusammen konzipierten, um den übermenschlichen Blick in die Tiefe und hinter die Dinge zu versinnbildlichen. Der philosophische Ansatz und Symbolismus der metaphysischen Gemälde hatten dabei ihre Wurzeln im Denken Nietzsches und in einer Umkehrung und subjektiven Verarbeitung des klassisch-antiken Mythenstoffes.

   

ein gleicher gedanke in unterschied-
lichen werke

Die Ausstellung im Lenbachhaus, die noch bis zum 10. März zu sehen ist, zeigt einen schönen Überblick über das Schaffen der beiden Brüder: von der Erfindung der metaphysischen Kunst, mit der De Chirico und Savinio eine der größten künstlerischen Revolten des 20. Jahrhunderts einleiteten, bis zu De Chiricos Rückbesinnung auf die Malerei der alten Meister. Doch trotz der stark hervorgehobenen Gemeinsamkeiten, dem Versuch die beiden Künstler als "Zwillingsbrüder" auf eine künstlerische Ebene zu stellen, gelingt es nicht, den Werken Savinios einen echten Zauber zu verleihen. Sie sind symbolreich, metaphysisch und in gewisser Weise auch stimmungsvoll, die gespannte und beklemmende Atmosphäre der Bilder De Chiricos erreichen sie aber bei weitem nicht. Da ist dann wohl doch, neben aller Theorie und erkenntnisreichen Philosophie, die Seele eines Künstlers ausschlaggebend, um den Betrachter eines Bildes zu fesseln.

vera koppenleitner



email
impressum


kunst in münchen
suche

berichte, kommentare,
archiv

meinungen,
thesen, aktionen

kulturinformation
im internet