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besprechung
f. holland day - ein dandy auf der suche nach schönheit und wahrheit
f. holland day

eine ausstellung in der villa stuck
von 19.07.2001 bis 30.09.2001

Wenn man die Ausstellung über F. Holland Day (1864 - 1933) im Museum Villa Stuck betritt, dann ist der heute fast vollkommen in Vergessenheit geratene amerikanische Fotograf des Symbolismus allgegenwärtig: in einer strengen Profildarstellung oder am Eingang seiner Dunkelkammer - immer stellt sich der Fotograf Day selbst in Pose und schlüpft im Rahmen seiner Selbstporträts in unterschiedliche Rollen. Ob in einem orientalischen Kostüm als Algerier gekleidet oder im Sinne einer allegorischen Selbstdarstellung als Künstler mit einem männlichen Aktmodell als imaginäre Muse im Hintergrund. So unterschiedlich Days Selbstporträts auch sind, sie unterstreichen durch ihren hohen theatralischen Anspruch seine Tendenz zur Selbstinszenierung und zeigen ihn so als Prototyp des leicht exzentrischen Dandys.
intime premiere
Die Ausstellung "F. Holland Day. Fotografie des Symbolismus", die vom Van Gogh Museum in Amsterdam in Zusammenarbeit mit der Royal Photographic Society, Bath, konzipiert wurde, präsentiert die weltweit erste umfassende Retrospektive dieses amerikanischen Fotografen des Fin de Siècle.
Es dauerte fast ein ganzes Jahrhundert bis Day, der zu Lebzeiten einer der führenden Fotografen Amerikas war und berühmten Zeitgenossen wie Alfred Stieglitz und Edward Steichen in nichts nach stand, wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit trat. die von einer subtilen mystischen Schönheit geprägten Werke Days kommen in den neu fertiggestellten Ausstellungsräumen der Villa Stuck besonders gut zur Geltung. Anders als die große Bilder- und Medienflut, mit der sich die Eröffnungsausstellung unter der Leitung des dokumenta-Chefs Okwui Enwezor präsentierte, bestimmt ein sehr intimer Eindruck den Charakter dieser Ausstellung - ein Eindruck, den die Fotografien Days durch ein Zusammenspiel von Schönheit, Grazie und kompositioneller Harmonie vermitteln. Die melancholisch-künstlerische Atmosphäre der Fotografien verdeutlicht dabei Days Streben nach einer idealen, arkadischen Welt und seinen Versuch, sich einem zeitlosen Augenblick von Anmut, Schönheit und Wahrheit anzunähern. Der entrückte, mystische Eindruck der Ewigkeit wird in seinen Bildern durch die malerisch-weichen Farbübergänge und feinkörnige Oberfläche unterstützt.
allegorie und akt
Day, der sich in seinem gesamten künstlerischen Schaffensprozeß an den Kompositionen alter Meister orientierte und ihnen eine Vielzahl seiner Sujets entlieh, ist besonders aufgrund seiner Porträt- und Aktfotografie in die Geschichte der Fotografie eingegangen.
Seine meist männlichen Aktmodelle sind von äußerster Grazie und physischer Schönheit; hinzu kommt, daß er Licht- und Schatteneffekte sehr gekonnt und kontrolliert plazierte und die Komposition wie im Beispiel von "Ebenholz und Elfenbein" (1897) stillebenartig durch verschiedene Accessoires - wie die weiße Statuette und ein exotisches Leopardenfell - akzentuierte. Obwohl sich Day bemühte, seine männlichen Aktmodelle in einer möglichst allegorischen Art zu präsentieren, war diese ästhetisierte Art der Erotik bei seinen Zeitgenossen durchaus umstritten. Diese ungewöhnliche Freizügigkeit Days im Umgang mit Erotik und die große Anzahl an männlichen Aktmodellen hat immer wieder die Frage nach seiner eigenen homoerotischen Neigung provoziert - da allerdings keine eindeutigen Beweise für diese Vermutung vorliegen, muß die Beantwortung dieser Frage offen bleiben.
Einen zweiten wichtigen Themenkomplex, dem sich die Ausstellung widmet, stellen die sog. "sacred studies" dar: In dieser 1898 entstandenen Reihe von mehr als 200 Fotografien zum Thema Kreuzigung orientierte sich Day nicht nur an italienischen und altdeutschen Passionsdarstellungen, sondern stand dafür selbst als Jesus Christus Modell. Dabei fotografierte er sich - dem leidenden Christus gleich - mit der Dornenkrone am Kreuz, bat Freunde als Schauspieler in die anderen Charaktere der Passionsgeschichte zu schlüpfen oder stellte die Grablegung Christi vor einem Mausoleum auf einem Friedhof in Massachussets nach. Hintergrund für Days Interesse an diesen Motiven der Passion war nicht etwa seine strenge Religiosität, vielmehr ging es ihm um eine ästhetisierende Nachempfindung und den künstlerischen Nachvollzug der Erfahrung der Passion Christi. In Analogie zu Christus begab sich Day ebenfalls in die Rolle des Künstlers als Märtyrer. Einen weiteren Höhepunkt der Ausstellung stellen die mythologischen Bilder Days dar, die die Vorstellung eines arkadisch-fernen Glückzustandes antizipieren. Junge männliche Aktmodelle werden in einer arkadisch-anmutenden Landschaft eingebettet und von einer träumerisch-nebelhaften Atmosphäre umgeben. Durch die wenigen Grauwerte, aus denen Day seine Kompositionen aufbaut, verschwinden Mensch und Landschaft hinter einem nebelartigen Schleier, der zu einer zunehmenden Abstrahierung der dargestellten Motive führt. Spürbar ist dabei im besonderen Maße die immanente Sehnsucht des Menschen nach dem verlorenen Paradies, nach der verlorenen Einheit von Mensch und Natur.
stilistischer bruch


Wer nach dem Durchgang durch diese verschiedenen Themenkomplexe der Ausstellung zunächst glaubt, das Werk Days einschätzen zu können, der wird beim Betreten der zweiten Ausstellungsebene mit einer ganz neuen Kompositionsweise des Künstlers konfrontiert.
Auf einer Reise nach Virginia entstehen am Hampton Institut schnappschußartige Porträts junger Afro-Amerikaner, die nichts mehr vom symbolistischen Kern seiner frühen Phase haben - es sind Porträts, bei denen Teile des Gesichts abgeschnitten sind, und die in den Augen heutiger Betrachter viel moderner wirken als die frühen mythologisch-christlichen Szenen oder Porträts. Ausgelöst wurde dieser stilistische Bruch Days mit seiner streng-ästhetisierenden Formensprache im Jahre 1904, als ein Feuer in seinem Atelier über 2000 Negative von ihm unwiederbringlich zerstörte. Von diesem Alptraumszenario gezeichnet, dauerte es sehr lange bis Day das Fotografieren wiederaufnahm. Die neue Sehweise aber, die sich bei ihm danach abzuzeichnen beginnt, ist im Spiegel seines Frühwerkes betrachtet eine kleine Revolution: im Unterschied zu den perfekten, mystischen Kompositionen der Anfangsjahre sind die nach 1904 entstandenen Fotografien von einer außergewöhnlich intensiven Authentizität gekennzeichnet. Days Blick durch die Kamera hat sich von der artistisch-komponierten Oberfläche abgewendet und scheint allein der Spontaneität von Blickwinkel und Augenblicken zu folgen.
Am Ende der Ausstellung rückt damit plötzlich der Mensch ins Hauptblickfeld - ganz persönlich und ganz nah. Fast etwas erstaunt blickt der Ausstellungsbesucher am Ende auf die subtile mystische Schönheit von Days symbolistischer Phase zurück, die plötzlich in all ihrer Eleganz und in all ihrer Harmonie brüchig zu werden scheint.

michaela bücheler



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