magazin


1 4 0      0 7 0 6 2 0 0 0
besprechung
der himmel über freising und münchen

himmelfahrt

eine ausstellung im diözesanmuseum freising und in der karmelitenkirche münchen

vom 28.05.2000 bis 15.10.2000

Ihre erste Assoziation zum Thema Himmelfahrt? Höchstwahrscheinlich denken Sie an "Christi Himmelfahrt" und "Maria Himmelfahrt" - zwei bedeutende Termine im christlichen Kirchenkalender. Schließlich feiert man Christi Himmelfahrt - eines der ältesten christlichen Feste überhaupt - bereits seit Beginn des 5. Jahrhunderts.

"Als er (Jesus) das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken. Während sie unverwandt ihm nach zum Himmel emporschauten, standen plötzlich zwei Männer in weißen Gewändern bei ihnen und sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch ging und in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen." (Apg,1,9-11).

Zahlreiche bildliche Darstellungen nehmen auf diese "Schilderung" Bezug. Im katholischen Bayern, dem Paradies der Barock- und Rokokokirchenanhänger begegnen sie uns auf Schritt und Tritt:
Apostel mit verklärten Blicken und großen Gesten, Engel und Wolkengebilde - den Gesetzen der christlichen Ikonographie folgend, änderte sich die oft so theatralisch wirkende Darstellungsweise über die Jahrhunderte kaum. Im Freisinger Dommuseum werden fünfzig solcher Beispiele aus dem Bestand der Sammlung ausgestellt.

Gott-sei-Dank - oder sollten wir besser sagen, Künstler-seid-gedankt - unterscheiden sich die zeitgenössischen Werke, die sich im Rahmen der Ausstellung "Himmelfahrt" mit der Thematik auseinandersetzen davon grundlegend:
Die Palette der künstlerischen Werkmittel hat sich vergrößert - zugegebenermaßen ist das nicht der alleinige Verdienst der Künstler. Ihr Verdienst jedoch ist die weit gefächerte gedankliche Auseinandersetzung - dem Betrachter wird sich der Bezug zum Thema nicht immer auf den ersten Blick eröffnen.

Der spanische Maler Antoni Tàpies hat es vor Jahren treffend formuliert: " Ein Kunstwerk sollte den Betrachter bestürzen, ihn veranlassen über den Sinn des Lebens nachzudenken. Nur der Künstler kann den Mensch noch zum Nachdenken bringen. Wenn man Dinge nur andeutungsweise zeichnet, ist der Betrachter gezwungen, sie mit seiner eigenen Imagination zu ergänzen".
Tàpies (dessen Werke derzeit in einer großen Retrospektive im Haus der Kunst zu bewundern sind) zeigt in der Himmelfahrtsausstellung erstmalig sein Gemälde Rinzen, N°2. "Plötzliches Erwachen" , so lautet die Übersetzung des japanischen Titels - ein Bild, konträr zu Tàpies' Abneigung gegen Primärfarben, in leuchtendem Blau. Blau als Symbol für den Himmel - so einfach sollten wir es uns nicht machen!

   

Wie leicht verständlich scheinen dagegen die Bilder, Objekte, Performances und Installationen von Geoffrey Hendricks zu sein. Seit Mitte der 60iger Jahre fesselt ihn die Auseinandersetzung mit dem Himmel so sehr, daß er sogar Alltagsgegenstände (und sich selbst) mit dem "Himmel" überzieht, d.h. sie mit den entsprechenden Farben blau und weiß bemalt. In Freising präsentiert er seine Sky Boots (Merkur trug einst geflügelte Schuhe), mehrere Himmelsgemälde wie Sky to the South und fünf Installationen - so zum Beispiel Moonladder/Spine aus dem Jahre 1995. Mit Jacobs Traum wurde die Leiter zum Symbol für die Verbindung von Himmel und Erde - sie ist stets ein wichtiger Bestandteil von Hendricks' Installationen.

Yvonne Lee Schultz, auch sie eine Künstlerin, die sich allein der Darstellung des Himmels widmet, schafft eine alternative Verbindung zum Himmel: Den Himmelstransport per Lastwagen.

Sowohl Grazia Toderi als auch Ugo Dossi verlegen den Himmel in die unendlichen Weiten des Weltalls - beide haben das Video als künstlerisches Ausdrucksmittel gewählt. Doch während Toderi sich in ihren Blumen aus 1001 Nacht (Il Fiore delle 1001 notte) von einem Pasolini Film und orientalischen Märchen inspirieren ließ hat sich Dossi einem ernsteren Thema zugewandt - dem Totentanz. Sein Danse Macabre findet statt im Universum, das wir in einem unsichtbaren Raumschiff durchqueren. Während unseres "Flugs" durch die Sternenwelt erscheinen und verschwinden sie wieder, die Totenschädel, die tanzenden Skelette, aber auch die sich küssenden oder sich vereinigenden Paare. Unser Leben - wie schnell rast es doch vorbei - wird stets begleitet vom Tod. Die Hintergrundmusik wird erzeugt von einem usbekischen Schamaneninstrument - ungewöhnlich und eindringlich - vor allem weil sich die Lautstärke fast bis ins Unerträgliche steigert. Wie sollte man sich dieser 25 minütigen Vorführung entziehen können!

Entziehen können wir uns sicher nicht den 84 überdimensionierten Glasaugen im Saal der toten Blicke von Raimund Kummer. Täuschend realistisch in verschiedenen Farben, mit teilweise erweiterten Pupillen, jedoch dem Schutz ihrer Lider beraubt, liegen die Augen auf weißen Sockeln in vier Reihen am Boden. Das Auge als Fenster der menschlichen Seele, als Symbol Gottes - mit den Augen wurden die Apostel dereinst Zeuge der Himmelfahrt Christi, bevor eine Wolke das Geschehen verbarg.

   


Gleichermaßen rätselhaft erscheint uns die Umgestaltung der ehemaligen Küche des Hauses (unterhalb der Kapelle liegend). In mehreren hintereinander gestaffelten Bahnen hat Magdalena Jetelová transparente Wände aus Kunsthaar angebracht. Das architektonische Gefüge des Raumes ist nicht mehr zu erkennen. Geheimnisvolle Stimmen in babylonischem Sprachgewirr, das sich nicht entziffern läßt, verstärken das Gefühl der Desorientierung, welches sich automatisch einstellt. Vom anderen Ende des Raumes, hinter den Haarwänden verborgen, fällt uns ein grau-blauer Lichtschein entgegen - was versteckt sich dort? Dürfen oder sollen wir die Haarschleier durchschreiten? Wurde diese Variante der sinnlichen Wahrnehmung des Kunstwerkes eingeplant? Die Versuchung war groß, zu groß.

Jeffrey Shaw schließlich, der in München momentan mit seiner schon fast legendär gewordenen Legible City im Rahmen der Ausstellung Schrift und Bild in Bewegung im Gasteig vertreten ist, setzt das Spiel mit unseren Wahrnehmungen auf vollkommene Weise fort. Heavens Gate - der Traum, des sich öffnenden Barockhimmels scheint hier Wirklichkeit geworden zu sein - digitale Medienkunst macht es möglich. Auf eine nähere Beschreibung soll an dieser Stelle verzichtet werden - die Besucher der Ausstellung sollten den Überraschungseffekt unvorbereitet genießen können.

Es wurden längst nicht alle Facetten der künstlerischen Umsetzung zum Thema Himmelfahrt genannt - abschließend möchten wir noch auf die Künstler James Lee Byars, Gina Lee Felber , Kim Keever, Thomas Lehnerer, Michael Witlatschil , Thomas Emde, Christina Kubisch (Karmelitenkirche) sowie auf das Gemeinschaftsprojekt von Markus Allmann, Amandus Sattler, Ludwig Wappner, Alexander Beleschenko, Lutzenberger u. Lutzenberger, M+M und Matthias Wähner verweisen.

angelika steer



email
impressum


kunst in münchen
suche

berichte, kommentare,
archiv

meinungen,
thesen, aktionen

kulturinformation
im internet