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magazin

Ursula Rogg, Surprise Chefs 1997

 
besprechung
wer wen sieht
wer ist ich und wer sind die anderen?
Ich und die Anderen

eine ausstellung im fotomuseum des münchner stadtmuseums
von 17.03.2000 bis 07.05.2000

"Sie sind nicht allein, und Sie haben kein Recht, mich mit dem Anblick Ihrer Angst zu belästigen", sagt die Inés zu Garcon in Jean-Paul Sartres Geschlossener Gesellschaft. Die Spiegel im Zimmer wurden abgehängt, die Türen sind verschlossen. Beobachtender wie Beobachtende werden einander zu Peinigern. Und doch ist ihre eigene Existenz nur im Blick des anderen erlebbar.
Ebenso ist die Fotografie ein Spiel von Beobachter und Beobachtetem. Schlimmer noch, das Selbst wird durch die Kamera zurückgeworfen. "Schaut man durch einen Fotoapparat, dann beobachtet man auch sich selbst", weiß Boris Mikhailov.
Mikhailov hat für die Ausstellung "Ich und die Anderen" im Fotomuseum des Münchner Stadtmuseums großformatige Bilder bettelarmer Ukrainer aus seiner Heimatstadt beigetragen (Case History, 1998). Für Geld bringt er sie dazu, sich auf den Boden zu legen, in einen Baum zu schlüpfen oder ihre Scham zu zeigen. Er hat die Macht, sie all das tun und es alle wissen zu lassen. Was sagt das nun über den Fotografen aus? Findet er in ihrem Angesichte seine innere Verwahrlosung ausgedrückt? Oder ist er ein Hinseher, der mit dem Finger auf das Elend zeigt? Ist die Anspielung auf christliche Ikonographie wie die Grablegung Abicht oder Zufall? Scheint im Unbedeutenden Bedeutung auf? Sind das die Anderen und ist Michailov ich, also wir? Sobald wir die Bilder sehen, wird uns jedenfalls das unschuldige Nichtsehen genommen. Sobald wir sehen, wissen wir und werden mitschuldig oder zumindest betroffen.

der "anblick ihrer angst"?


Boris Mikhailov, Case History 1998
Harmlos nehmen sich alle weiteren Ausstellungsbeiträge daneben aus. Fast erscheint der mitteleuropäische wohltemperierte Narzißmus, der hier gepflegt wird, neben dem ukrainischen Elend als Farce. Isabelle Heimerdinger beobachtet beispielsweise die Schauspielerin Terri, die einen Hollywoodfilm beim Ansehen mitempfindet. Für den Betrachter spiegelt sich die filmische Ausdruckskraft in Terris fotografischer Mimik als Echo wider. Doch Terri reißt ihn nicht mit, die emphatische Kraft bleibt im Bild eingeschlossen, auch die Kuschelecke und eine Kopie des Drehbuchs helfen nicht (Terri watching Gloria again, 1998).
Dunja Evers "Portraits" (1997) bleiben sprichwörtlich in der fotografischen Schicht gefangen. Gesichter aus Filmen wurden reproduziert und mit einer farbigen Lasur versehen. Wie ein dicker Nebelschleier legt sie sich über das schemenhaft erkennbare Antlitz. Ob es schläft oder wacht, ob stumm oder beredet, "es" bleibt für sich allein und gerät in die Nähe leblosen Ornaments. Die Kamera fungiert hier nicht mehr als Medium der Kontaktaufnahme, so wie sie Zoltán Yókay auf ganz klassische Weise einsetzt. Er bat Unbekannte auf der Straße, sie fotografieren zu dürfen, und hat so einige schöne Exemplare eingefangen. Ebenso selbstbewusst wie zerbrechlich wirken sie. Hat erst die Kamera sie ihrer selbst bewusst werden lassen? Und dann hat deren unverschämte Neugier die Verletzbarkeit ausgelöst, erst an die Oberfläche gebracht? Ähnlich scheint sich Rineke Dijkstras Objektiv auf junge Menschen am Strand auszuwirken, doch aus Verlegenheit fallen sie scheinbar willkürlich in Posen der klassischen Kunstgeschichte (Hilton Head Island, S.C. USA, 24. Juni 1992). Mehr Zurückhaltung hätte dem zahnbezäumten Mädchen aus Dijkstras neuerer Videoarbeit nicht geschadet: Es wird und wird nicht müde, einen Backstreet Boy Song zu intonieren, die Endlosschleife zwingt den Zuseher alsbald, sich resigniert abzuwenden. (Annemiek, 1997). Wie bei diesem Video fühlen sich die Protagonisten in Ursula Roggs Aufnahmen von der Künstlerin scheinbar unbeobachtet. Und doch agieren sie merkwürdig steif und ungelenk. Aufschluss gewinnt man erst durch Nachlese: Ein Fernsehkoch des britischen Vorabendprogramms hat Durchschnittsbürger in ihr Heim begleitet, um sich in ihrer Privatküche filmen zu lassen. Die Fernsehkamera verströmt medusens Wirkung - die Fotografin brauchte als unbeteiligte Dritte nur noch abzudrücken (Surprise Chefs, 1997). Völlig anteilslos an seinem Werk erscheint auch Richard Hoeck: Eine Bauchtänzerin tanzt vor laufender Kamera, von deren Existenz sie niemand in Kenntnis gesetzt hat. Martin Kippenberger gewidmet, der einmal gesagt habe, dass der Künstler nur ein Bauchtänzer sei. Einer, der sich windet, um seinem Publikum zu gefallen. Der seinen Reiz anpreist, um ihn im gleichen Zuge dem Zuseher wieder zu entziehen. Der Reiz der Arbeit liegt darin, den Betrachter zum ungebetenen Voyeur zu stempeln. Mit Video arbeitete auch Matthias Wähner, der als "Mann ohne Eigenschaften" in den 90er Jahren Pressebilder mit seinem Konterfei "betrat". Nun projieziert er Screenshots von Homepages unkommentiert an die Wand, über Kosovo und Nato, Neonazis und Serben (Warshots, 1999). Offizielle und private Sites mischt er und erweckt so den Eindruck inhaltlicher Orientierungslosigkeit im Netz. Subjektive Eindrücke werden hier fahrlässig vermengt, dem ahnungslosen User als objektive Berichterstattung verkauft? Um wieder auf die Intention der Ausstellung zurückzukommen: Wie spiegelt diese Arbeit ihren Autor wider? Im Gegensatz zu seinen früheren Arbeiten hält er sich raus, gibt sich als Operateur am Videogerät. Subjektiv ist lediglich die Auswahl, die er traf - und die ist durch die Verbindung mit politischen Themen subversiv. Sie ist gefährlich, weil sie ein Bild liefert, das den Tatsachen ausserhalb der Kunst so nicht entsprechen muss. Oder ist dies der "Anblick seiner Angst", mit dem er uns "belästigt"?
sehen und sein


Matthias Wähner, Warshots 1999
"Sein ist Wahrgenommenwerden", zitiert Ivo Kranzfelder im Ausstellungskatalog den jungen Philosophen George Berkeley (1710). Und: "Sein ist Wahrnehmen". Das Subjekt ist gleichzeitig (Selbst)-darsteller und -betrachter, der Künstler um so mehr, als dass er seinem Sein ausserhalb seiner Selbst Gestalt verschaffen muss. Er ist sein eigenes Produkt, das er nur mittels seiner Rezipienten befördern kann - denn was nützt das beste Kunstwerk, wenn es niemand ansieht? Sein Ich existiert nur in der Gunst, wahrgenommen zu werden. Das ist sein Unglück. Die Anderen jedoch gewinnen Erkenntnis über sich selbst, indem ihr Blick auf sie zurückfällt, das ist ihr Glück, das Glück bei der Betrachtung von Bildern.

(bis 7. Mai, der Katalog kostet im Museum DM 25,-. Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit der Ursula Blickle Stiftung Kraichtal, wo sie zuvor gezeigt wurde. Kurator ist der Leiter des Fotomuseums, Dr. Ulrich Pohlmann.)

milena greif





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