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foto: atb

232 08|05|2002

besprechung
James Coleman - ein Altmeister der neuen Medien
james coleman

eine ausstellung im
lenbachhaus
von 20.04. bis 21.07.2002

Mit der Vergabe des Kunstpreises München 2002 an den irischen Künstler James Coleman geht dieses Jahr der Kunstpreis der Kulturstiftung der Stadtsparkasse München an einen Künstler, der sich im Laufe seines fast drei Jahrzehnte umspannenden Werkes mit ganz unterschiedlichen Formen audiovisueller Kunst befaßt hat. Die neuen Medien, die heute in aller Munde sind, hat er von Anfang an begleitet, befragt und - das ist sicherlich eine seiner Hauptleistungen - in ihrer heutigen Position mit begründet. So finden sich in seinem Werk 16-mm-Filme neben Videoprojektionen, Theaterarbeiten neben Diaprojektionen. Trotzdem sich Coleman in den letzten 20 Jahren zunehmend auf das Medium der Diaprojektion konzentriert hat, fließen gerade in diese strukturell und inhaltlich hoch komplexen Arbeiten seine Erfahrungen mit Video- und Filminszenierungen und mit der Aussagemöglichkeit des fotografischen Bildes ein. Durch die Preisverleihung des Kunstpreises an Coleman gelingt es, diesen Altmeister und Wegbereiter der neuen Medien zum ersten Mal in einer Einzelausstellung in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus vorzustellen. Außerdem erscheint zur Ausstellung ein von der Kulturstiftung der Stadtsparkasse ermöglichter, sehr umfassender, deutsch-englischsprachiger Katalog.
   
weg in die dunkelheit
foto: atb

Die von Susanne Gaensheimer konzipierte Ausstellung ist nicht als Retrospektive zu verstehen, trotzdem vermittelt sie auch dem mit Coleman nicht vertrauten Betrachter einen intensiven Eindruck der verschiedenen Fokuse und Pole im Früh- und Spätwerk des Künstlers. Neben den aus den 90er Jahren stammenden Diaprojektionen "Lapsus Exposure" und "Photograph" sind drei Arbeiten aus den 70er Jahren zu sehen, darunter der eigens für die Ausstellung rekonstruierte 16-mm-Film "Fly" von 1970. Ein Erlebnis ist diese Ausstellung schon durch die besondere Atmosphäre, denn begegnen kann man den Arbeiten Colemans nur, indem man ins Dunkle des Kunstbaues eintaucht: Mit jedem Schritt auf der langen, abfallenden Eingangsrampe nimmt die Dunkelheit zu, mit jedem Schritt verliert man etwas von der alltäglichen Sicherheit. Die Augen fangen an, nach Orientierungspunkten im Raum zu suchen, aus dem ein unzusammenhängendes Konglomerat an Stimmen und Tönen zu hören ist. Es ist die Dunkelheit, die jeden Betrachter von Anfang an einnimmt, seine Sinne schärft und ihm ein ganz neues Ausstellungsverhalten auferlegt, denn man merkt bald, daß aus der Unsicherheit der ersten Schritte eine ganz eigentümliche Form von Freiheit entsteht. Die Freiheit, durch die Dunkelheit verhüllt fast Unsichtbar zu sein und damit unbemerkt frei wählen zu können, wohin man geht und wie lange man dort verweilt. Die Dunkelheit - könnte man sagen - individualisiert unseren Betrachterstandpunkt und ermöglicht einen jeweils eigenen Zugang zu den Arbeiten von James Coleman.

   
bildsprache und wortklang
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"Projected images" nennt Coleman die Form der Diaprojektionen, mit denen er seit mehr als 20 Jahren arbeitet - dabei werden einzelne Dias auf eine Leinwand projiziert und nach einer unterschiedlich variierenden Zeitdauer aufgelöst bzw. überblendet. Begleitet und hinterlegt werden die Bilder von einer auf Audio-CD aufgenommenen Stimme. Coleman agiert somit in seinen "projected images" als moderner Geschichtenerzähler - seine Geschichten werden von bunten und äußerst sinnlichen Bildern, von bühnenartigen Kulissen, von elegant gekleideten und markant posierenden Schauspielern und von theatralisch anmutenden Stimmen begleitet. So steht im Mittelpunkt der Diaprojektion "Lapsus Exposure" ein Ton- und Bildstudio, in dem sich zwei unterschiedliche Musikgruppen - eine im Stil der 50er Jahre gekleidete Band und eine Punkerband aus den 80er Jahren - für Aufnahmen versammelt haben. In den einzelnen Diaeinstellungen wechseln sich die Protagonisten der Punk- und Rock´n Roll-Band, die in unterschiedlichen Haltungen, in Einzel- oder Gruppenaufnahmen vor der Kamera posieren, mit stilllebenartigen Aufnahmen des Backstage- und Bühnenbereiches ab. Daß es dem Geschichtenerzähler Coleman dabei jedoch nicht um eine real nachvollziehbare und nacherzählbare Handlung geht, sondern daß das Tonstudio nur zum Ausgangspunkt einer Metaebene des Erzählens wird, davon zeugt vor allem das Zusammenwirken von Text und Bild. Kennzeichnend ist dabei, daß das gesprochene Wort als zweite, gleichberechtigte Bedeutungsebene der Erzählung neben das Bild steht. Bedeutung und Ausdruckskraft erlangen die Worte allerdings nicht durch ihre Semantik, vielmehr durch ihre lautmalerische Qualität, ihre Akzentuierung, Klangfarbe und Sprechweise. Auch ein nichtenglischsprachiger Betrachter erkennt intuitiv die lyrische Tendenz dieser Sprache, die die Bilder nicht etwa erklärt, sondern vielmehr eine zweite gesprochene Erzählung neben der bildlichen setzt. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang, daß es James Coleman entschieden ablehnt, wenn man die Worte seiner Akteure abdruckt oder gar zu übersetzten versucht. Diese Vorgabe verdeutlicht, daß Coleman in seinen Diaprojektionen Bedeutung nur implizit und auf einer metaphorischen, nicht paraphrasierbaren Ebene antizipiert - Metaebene des Erzählens meint somit die gleichzeitige Reflexion und Destruktion von Erzählung im Werk.

   
narrative strukturen


Was bleibt ist ein fragmentarischer Verweis zwischen Bild und Text, ein Verweis, der das Nicht-Verstehen und das Nicht-Eindeutige zum Bestandteil des Werkes macht. Diese Offenheit der narrativen Struktur wird ebenfalls durch die Tatsache bedingt, daß es in den einzelnen Diaprojektionen Colemans vielfach schwer zu entscheiden ist, für wen die Stimme jeweils spricht, sie scheint allen und niemand zu gehören und damit einen allgemeingültigen Diskurs über die Formen und Strukturen der Narration und über die Grundlagen ihres Verständnisses zu produzieren. Die Grundfragen, die das Werk Colemans tangieren, sind daher sehr weitreichend: Inwieweit ist die Sprache, die wir benutzen, unsere eigene und inwieweit stimmen wir mit dieser Sprache überein? Was steckt hinter den Worten, was hinter den Bildern, unseren Posen und Haltungen? Was tun wir wirklich, wenn wir sprechen, und wie funktioniert ein adäquates Zuhören?

michaela bücheler



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