|
239 02|07|2002 | besprechung jürgen teller - mode, kunst, kritik?
|
|
Es ist heiß in München, kein Tag, um eine Ausstellung zu
eröffnen, und auch kein Tag, um sich charmesprühend durch unliebsame
Interviews zu reden. Jürgen Teller wirkt zunächst mal gelangweilt von
dem Rummel, der um seine Person gemacht wird, und vielleicht sollte
man wegen der großen Hitze Nachsicht mit der Lässigkeit haben, mit der
Teller über seine Arbeit spricht. Vielleicht kann man aber auch einmal
mehr hinterfragen, wo die Modefotografie aufhört, und die Kunst anfängt
- auch wenn vielerorts die Meinung kursiert, dass es müßig ist, derlei
Grenzen überhaupt noch zu ziehen. Die Ausstellung "Märchenstüberl" zeigt viele Facetten des gebürtigen Franken und in London sesshaften Fotografen Jürgen Teller. Der Titel stammt von einem Raum des Großvaters, dem Märchenstüberl, das in liebevoll geschnitzten Holzintarsien die besten der Grimmschen Märchen wiedergibt. Hier liegen die familiären Wurzeln des Fotografen, ein Zimmer mit Sofa, Sitzecke und Bar, in dem sich altdeutsche Gemütlichkeit findet, die für Kinderfeste einen ebenso passenden Rahmen bietet wie für gutbürgerliche Zusammenkünfte. Aber nicht nur in diesen Bildern des Märchenstüberls gibt der Fotograf seine persönliche Welt preis, sondern auch in Familienfotos und schonungslosen Selbstporträts. Während sich die Familienfotos mit Mutter, Frau und Kind vereinfacht gesagt aufgrund ihrer Banalität in jedem Familienalbum wiederfinden könnten, geht Teller mit sich selbst ganz anders ins Gericht: Ungeschönt, mit dickem Bauch, dünnem Haar und großem Schwanz (Frauen und Männer aufgepasst! dieses kleine Detail muss dann wohl doch sein) liefert sich Teller dem Blick des Betrachters genau so direkt aus, wie es seine Modelle vor seiner Kamera tun. Oder zumindest wie Teller es sich wünscht, dass sie es tun. Nämlich offen, ehrlich, unverfälscht und dabei gar nicht immer so schön anzusehen, wie die Glamour-Welt der Modemagazine es gerne hätte. Der Weg, auf dem Teller zu diesen Selbstdarstellungen gekommen ist, lässt sich leicht nachvollziehen und beeindruckt in seiner Konsequenz. Während sich in den meisten Fotografien ein unerwarteter Blick auf die Welt der Reichen, Schönen und Berühmten (Isabelle Huppert, Kate Moss, Claudia Schiffer u.v.m) werfen lässt, scheint es für Teller dennoch Grenzen gegeben zu haben, die er nicht überschreiten konnte. Um diese Grenzen trotzdem zu nehmen, begann er mit seiner eigenen Person zu arbeiten, die eben nicht nur den Superstar Jürgen Teller zeigt. |
|
|
Dieser Ansatz erscheint zunächst sehr rechtschaffen, jedoch muss
man hinzufügen, dass Teller vor seinen rigorosen Selbstporträts auch
mit anderen nicht weniger schonungslos umgegangen ist - weniger durch
den intimen Blick als durch die Art der Darstellung. In der Serie
der Schönheitsköniginnen zeigt Teller die glatten Gesichter hoffnungsvoller
MissWorld-Anwärterinnen. Stark geschminkt, mit leerem Blick und stereotypem
Lächeln offenbart diese Serie ohne große Worte die falsche Welt einer
Miss Universe. Die Bilder zeigen nichts von der Schönheit der Modelle,
sondern veralbern eher das Prinzip sich in einer Miss-Wahl zur Schau
zu stellen. Man empfindet Mitleid mit den Mädchen, aber auch ein bißchen
Verachtung, dass sie sich so willig dieser Welt auszusetzen bereit
sind. Ähnlich funktioniert die Serie "Go Sees". Über mehrere Monate
hinweg hat Teller junge Mädchen am Anfang ihrer Modellkarriere zu
sich kommen lassen, um sie vor seiner Tür abzulichten. Dort stehen
sie nicht im Glanze ihrer Schönheit, sondern jung, magersüchtig und
irgendwie ein bißchen erbärmlich. Als würden sie hoffen, dass der
berühmte Fotograf auch sie berühmt mache - ohne zu verstehen, dass
sie nur Teil einer harschen Modebranchenkritik sind. In "Go Sees"
findet sich die Macht thematisiert, die in der Mode- und Glamourwelt
bestimmten Personen (hier: dem Fotografen) zukommt, zu sehen sind
aber nur ihre Opfer. Spätestens mit dieser Arbeit ist Teller zum großen
Verfechter eines kritischen Ansatzes geworden, der nicht nur die Welt
der Schönheit, sondern auch ihre Schattenseiten zeigt. Neben ausgemergelten
Körpern, viel zu jungen Mädchen und schmuddeligen Backstage-Räumen
ist das vor allem die Bereitschaft der Personen, all dies ganz offen
zu präsentieren. Dabei lassen sich an dieser Stelle Tellers Bilder
durchaus auch kritisch hinterfragen. Tritt der Fotograf für die Opfer
ein, die wider besseren Wissens in die Mühlen der Modeindustrie geraten
oder ergreift er Partei für eben jene Opfer? Schlägt er Kapital aus
den Schönen der Modewelt, indem er das ganz menschliche Bedürfnis
bedient, die Schönsten und Reichsten auch einmal mit Fehlern und Schwächen
zu sehen, oder will er einfach nur zeigen, dass auch die Schönsten
nicht immer gleich schön sind? |
|
|
Zu den interessantesten Aspekten an Tellers Arbeit gehört, dass seine Bilder hier nicht eindeutig sind, ihre Aussage bleibt zweischneidig, pro und contra ist gleichermaßen möglich. Teller selbst hingegen spricht sich dafür viel deutlicher aus als seine Bilder es tun. Er weiß von der Macht, die er als Fotograf ausüben kann und er ist selbst erstaunt, was die Leute vor seiner Kamera bereit sind zu tun. Warum sie bereit sind ihr Innerstes nach außen zu kehren, weiß er freilich nicht, was wiederum dazu verleitet, die eingangs erwähnte Grenze zwischen Kunst und Modefotografie doch zu ziehen. Während der Künstler sein Medium in der Regel reflektiert, handelt der andere einfach. Jürgen Teller macht Fotos, Modefotos. christine walter
|
|
|
kunst in münchen |
berichte, kommentare, archiv |
kulturinformation im internet |