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Modell Homburg

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besprechung
baumgrenzen - bildgrenzen

junge kunst und neue medien - thomas steffl

eine ausstellung in der
lothringer13/halle
von 08.12.2001 bis 20.1.2002

Was ist ein Bild?, wie entsteht ein Bild? und in welchem Rahmen (wörtlich und metaphorisch) ist ein Bild noch als solches zu bezeichnen? Das sind die Fragen, mit denen sich die Kunstgeschichte in den letzten 10 Jahren beschäftigt hat, und, wie die aktuelle Ausstellung "Baumgrenze" in der lotrhinger13/halle zeigt, auch die Kunst. Der Münchner Künstler Thomas Steffl präsentiert dort aus Anlaß der Preisvergabe "Junge Kunst und neue Medien" vier (bzw. fünf) Arbeiten, die sich mit Fragen zum Bildbegriff und der Wahrnehmung beschäftigen. Die Vorstellung von dem Gesehenen wird verunsichert, das einmal Wahrgenommene entpuppt sich als Trugschluß überkommener Sehgewohnheiten. Steffl lenkt den Ausstellungsbesucher durch einen sorgfältig durchdachten Parcours, beginnend mit einer Videoskulptur, dem "Modell Homburg", hin zu einer Holzkiste, die einen Seerosenteich verbirgt.
   
wo entsteht das bild?
Becken, Thomas Steffl

Das Modell Homburg, zeigt als DVD-Projektion eine Kamerafahrt, deren Anfang und Ziel sich zunächst nicht erklärt. In immer neuen Schleifen werden Assoziationen an eine Küstenstraße erweckt, entlang eines Steinwalls mit kleinen Spuren am Boden, die auf eine abgefahrene Straße hindeuten. Irritiert wird der Blick erst durch ein regelmäßig auftauchendes Gebilde am rechten Rand, das sich in den vermeintlich dargestellten Naturraum nicht so recht einfügen will. Eine Hutschachtel im hinteren Teil des Raum liefert des Rätsels Lösung: Die Großprojektion auf DVD ist keinesfalls eine Kamerafahrt durch ferne Küstengegenden, sondern nur die ganz banal gefilmte Krempe eines sich kreisenden Hutes, der dem Betrachter in der Schachtel verborgen bleibt. Die Entstehung des Bildes ist damit zwar verständlich, aber nicht unmittelbar sichtbar gemacht, so daß hier ganz bewußt ein Raum geschaffen wird, sich das Bild im Kopf selbst zu machen.
Die zweite Arbeit kreist weniger um Fragen des Bildes als um die Wahrnehmung von dargebotenem Raum. In unheimlichen Wogen, begleitet von gespenstischem Rumpeln bewegt sich eine Kamera in einem Abbruchhaus immer höher, überschlägt sich und schaukelt langsam wieder aus. Steffl hat für diese Arbeit ein Schiffsschaukelmodell entworfen, mit dem er sich durch vier, mit eigenen Durchbrüchen versehene Räume bewegt, dem Prinzip der Schiffsschaukel folgend irgendwann auf dem Kopf stehend. Dabei läßt er den Betrachter mitleiden, verfolgt man die Arbeit nämlich von anfang an, muß man die Räume notgedrungen aus umgekehrter Perspektive wahrnehmen, nicht auf dem Kopf stehend, aber auf dem Kopf sehend, was einem - gesteigert durch eine Spiegelung am Boden - selbst das Gefühl vermittelt, die Perspektive verloren zu haben - ein Phänomen, das sich nicht in der Kunst anzutreffen ist.

 

   
zitate von kunst und kunstgeschichte


Zwei Fotografien im folgenden Raum machen Steffls Ansatz zur Thematisierung des herkömmlichen Bildbegriffs noch deutlicher, wobei hier nebenbei noch viel Kunst und Kunstgeschichte rezipiert und verarbeitet wird. Die Bilder zeigen das Innenleben zweier Aquarien und erinnern in ihrem sorgfältigen Arrangement an tableaux vivants, denen allerdings das "vivant" fehlt. Auch wenn der Raum- und Lichteindruck sehr plastisch und lebendig wirkt, fehlt das Eigentliche jedes Aquariums, die Fische. Dabei zitiert Steffl neben dem tableau vivant nicht nur das Stilleben (ganz wörtlich zu verstehen: hier steht das Leben still), sondern auch das mittlerweile fast schon traditionelle Medium des Leuchtkastens. Während Ende der siebziger Jahre der Leuchtkasten im Museum noch eine Revolution in Sachen Neue Medien war, darf er heute selbst in konventionelleren Sammlungen kaum mehr fehlen. Dennoch nutzt Steffl nicht einfach den Leuchtkasten für seine Fotografien - was bei dem Motiv des Aquariums mehr als nahe liegt -, sondern "inszeniert" ihn durch die Beleuchtung und eine kluge Rahmen-im-Rahmen-Situation. Die Neuen Medien werden hier mit Hilfe der alten Medien und den Mitteln herkömmlicher Malerei reflektiert, und damit fast auch schon ein bißchen parodiert.

Wie viel Neues ist notwendig, um auf die Grundfesten europäischer Kunstgeschichte zu verweisen? Illusion und Suggestion stellen tradierte Sehgewohnheiten in Frage und regen - im Idealfall - dazu an, seine eigene Position zu hinterfragen. So wie einst der gläubige Betrachter verblüfft seiner eigenen Person in den perspektivisch korrekten und lebensgroßen Fresken der Renaissance gegenüberstand, um sich dann zu fragen, wo er angesichts der sich neu erschließenden Bild- und Gedankenräume Position beziehen kann.
Nun soll hier keinesfalls der hohe Vergleich mit den Großen der italienischen Renaissancemalerei angestrebt werden und das wankende Weltbild des 14/ 15. Jahrhundert mit dem des 20./21. Jahrhunderts verglichen werden. Dennoch fällt auf, daß sich bestimmte Leitideen durch die Bildende Kunst ziehen, auch wenn es erst in jüngster Zeit eine eigene Sprache dafür gibt. "Bildbegriff", "Bildleseerfahrung" und "Wahrnehmungsphänomene" sind keine neuen Aspekte in der Kunst, die Ausstellung von Thomas Steffl bringt sie aber sehr anschaulich auf den Punkt. Allein deshalb ist sie absolut sehenswert - auch wenn sich die vierte Arbeit, die man ordnungsgemäß zum Schluß betritt, sich nicht ganz so einfach erschließt - aber schließlich können ja auch gedankliche Irrwege manchmal zu neuen Wegen führen.

christine walter



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