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besprechung genies unter sich |
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Zwei zeichnerische Werkkomplexe der beiden
bedeutendsten Künstler des Abendlandes werden erstmalig in Deutschland
gezeigt. In einer Zeit da es im Ausstellungsbetrieb förmlich von Künstlerduos wimmelt, mit so originellen Projekttiteln wie "Damenwahl" oder "Get Together" versucht wird, auf Biegen und Brechen Zweiheiten herzustellen und es offenbar auch kein Problem ist, Künstlerinnen, Rennfahrer und Modemacher unter einen Hut zu bringen, zeigt das Haus der Kunst eine Paarung, deren Gemeinsamkeiten nicht herbeistrapaziert werden müssen: Leonardo da Vinci (1452-1519) und Joseph Beuys (1921-1986). Wie kaum jemand symbolisieren beide die Rolle des Künstlers als homo universalis, der eine als von den Machthabern der Renaissance vielseitig eingesetztes Multitalent, der andere als unbeirrbarer Streiter für eine grundlegende Reform der Gesellschaft. Doch während Leonardo bereits zu Lebzeiten der einem Genie gebührende Respekt gezollt wurde, wandelt sich erst nach Beuys«Tod allmählich das vielerorten noch vorherrschende Zerrbild eines medienwirksamen Scharlatans. Es ist eines der Verdienste dieser Ausstellung, aufzuzeigen, wie sehr sich Beuys der in der Person Leonardos verkörperten wissenschaftlichen und geistesgeschichtlichen Tradition verbunden fühlte und auf welch komplexe, aber auch richtungsweisende Art er sich die Errungenschaften dieses Ausnahmemenschen der Renaissance für die Gegenwart dienstbar gemacht hat. |
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kunst
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Für den Nachkriegskünstler Beuys war Leonardo eine Schlüsselfigur innerhalb einer als revolutionär verstandenen Bewusstseinsgeschichte des Menschen; sein Oeuvre, namentlich die unzähligen Skizzen, in denen sich der rastlose Künstler-Forscher die Gesetzmässigkeiten der Natur erschloss, Ausdruck einer Denkungsweise, in der Kunst und Wissenschaft gleichberechtigt nebeneinander existierten. Das Fehlen dieser Symbiose, ja die unüberbrückbare Kluft zwischen diesen beiden Disziplinen am Ende des 20. Jahrhunderts (so auch der Titel einer seiner Installationen) war für Beuys der Grund für die gesamtgesellschaftliche Krise seiner, unserer Gegenwart. So ist denn auch die Wiederherstellung der Einheit von Kunst und Wissenschaft ein Eckpfeiler der von Beuys unermüdlich propagierten Sozialen Plastik, einer evolutionären Reform des Gemeinwesens, die jedes Individuum aus den kreativen Möglichkeiten eines erweiterten Kunstbegriffs heraus mitgestalten kann. |
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Es wird oft übersehen, dass sich Beuys«politisches Engagement
aus einer langen Phase hauptsächlich zeichnerischen Schaffens
entwickelte - wie sein Vorbild Leonardo hatte sich der deutsche Künstler,
der zunächst Naturwissenschaften studiert hatte, im wörtlichen
Sinn erst ein Bild von der Welt gemacht, ehe er seine Fähigkeiten
der Öffentlichkeit zur Verfügung stellte. Dem trägt
diese Ausstellung beispielhaft Rechnung und bringt nicht die sattsam
bekannten Hauptwerke, sondern die Zeichnungen der beiden in einen
Dialog. Auf der einen Seite der Codex Leicester, 1506-1510 entstanden
und Paradebeispiel von Leonardos Forscherdrang auf astronomischem,
meteorologischem, geografischem und geologischem Gebiet. Ihm gegenübergestellt
ist Beuys' kompakteste Bezugnahme auf Leonardo, die 96 Zeichnungen
zu einem weiteren Manuskript des Toskaners, den Codices Madrid, die
sich in Inhalt und Stil vielfach mit dem Codex Leicester überschneiden.
Zentrales Thema in diesem Codex sind Untersuchungen der Wasserkreisläufe,
die den Körper der Erde am Leben erhalten, eine Vorstellung,
die auf die mythologische Komponente im Denken des grossen Ingenieurs
verweist. Auch Beuys teilte diese Auffassung und nahm in seinen Zeichnungen,
die er übrigens wie auch Leonardo stellenweise mit Text ergänzte,
häufig Bezug darauf, da ihm Leonardos gleichermassen von Intuition
und Empirie geleitetes Bewusstsein als eine Geisteshaltung erschien,
die für die heutige Zeit wieder bedeutsam werden muss. Überhaupt
ist Beuys«Auseinandersetzung mit Leonardo da Vinci nicht als
die übliche Hommage zu verstehen, mit der Künstler sich
des öfteren vor berühmten Vorgängern verbeugen; er
übernimmt vielmehr die Rolle eines heute lebenden Leonardo, um
mit dessen Denkweise als Modell neue Impulse für die Gegenwart
zu geben:"...Ich stelle mir vor, wie Leonardo heute Technologie
zeichnen würde." So wird durch dieses Beuyssche Rollenspiel
das Werk Leonardos der Kunstgeschichte entrissen und gewinnt unerwartete
Aktualität; umgekehrt zeigt sich anschaulich, auf welchem Fundament
das (zeichnerische) Oeuvre von Beuys einerseits ruht, andererseits
auch in stetigem Fliessen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
begriffen ist, um das zu leisten, worauf es Beuys vor allem ankam:
Fragen zu stellen, Anregungen zu geben, Möglichkeiten aufzuzeigen.
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