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besprechung Vom Schlamm zum Kristall
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Unter der Federführung der Nationalgalerie in Berlin und
in Kooperation mit dem Haus der Kunst München ist die erste
umfassende Retrospektive der Gemälde Lyonel Feiningers zustande
gekommen, die nach Berlin nun ihre zweite Spielzeit in München
beginnt. Als erste wertende Gesamtschau korrigiert die Ausstellung
das Klischee vom romantisch verklärten „Kristalliker“ der
Jahre 1912-1937, indem sie das bisher übersehene Frühwerk
mit den aus der Karikatur inspirierten „Mummenschanz-Bilder“
und das amerikanische Spätwerk mit den „Manhatten-Bildern“
und den Erinnerungen an Deutschland mitberücksichtigt. Ein
Verdienst ist es aber auch, die Malerei Feiningers in einen Prolog
mit Bildern der europäischen Avantgarde vor 1918 zu stellen,
mit Werken von Boccioni, Braque, Delaunay, Marc und Picasso.
Und nicht zuletzt auch die Verwandtschaft von Feiningers Kunst
mit der Malerei der Romantik in der Gegenüberstellung seiner
Gemälde mit Kathedralvisionen, Ruinen und Schiffen von Friedrich,
Schinkel und Turner u.a. vorzustellen. | |
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Lyonel Feininger, der weit über Berlins Grenzen geschätzte
Karikaturist, will sich 1905 endlich aus den Fängen der
Groteske befreien und sich in der Ölmalerei unterweisen
lassen. Der spät ernannte „Leinoel Einfinger“, wie sich
der künftige Maler selbst ironisiert, setzt thematisch zunächst
dort an, wo er als Karikaturist aufgehört hatte. Die Auskoloriierung
des linearen Umrisses aus den Pressezeichnungen führt ihn
- farblich an den Fauvisten um Henri Matisse geschult - in den
sogenannten „Mummenschanzbildern“ zu schillernden schiessbudenartigen
Farbfiguren: skurrile Szenerien aus dem Karneval der Vorkriegszeit,
Flaneure, Straßenarbeiter und Zeitungsleser. Und bereits
hier merkt man: dies ist kein Malen aus dem Bauch heraus, sondern
bereits ein kalkulierter Umgang mit den Mittel der Malerei, bei
der Linie und Fläche eine Einheit bilden und in der wie
auch später die Gegensätze von Dynamik und Statik,
Raum und Raumlosigkeit, Zeit und Zeitlosigkeit zusammentreffen. 1911 entdeckt Feininger dann die Bilder der Kubisten Braque und Picasso. Ihre Analytik verhilft ihm zur eigenen, reinen Bildform aus splittrigen Bausteinen. Die strukturbildenden Elemente für seine Bildarchitektur erschaut er sich aber in der Baukunst selbst. In den Bildern der Kriegsjahre wird Feininger vor allem die thüringischen Dorfkirchen um Weimar zu monumentalen „Kathedralvisionen“ erhöhen und hierbei vom facettierten, reliefhaften Flächenplan der Kubisten zur Durchdringung der Motive in die Tiefe des Bildes vordringen. In der Monochromie lehmigen Brauns und trüben Grüns, tonlosen Graus und matten Indigoblaus wird er sich aber noch eine Weile in der „farblosen“ Gefolgschaft des Kubismus aufhalten. Der Festigkeit seiner Kompositionen fügt Feininger aber auch dynamische Aspekte hinzu, wie er sie im italienischen Futurismus mit Keilformen, aufsteigenden und abstürzenden Kraftlinien sehen konnte. Wie die Italiener wollte auch Feininger sich selbst und damit den Betrachter mitten in das Kraftfeld des Bildes versetzen, um von verschiedenen Stand- und Fluchtpunkten aus, den Bewegungsrhythmus zu entfalten. Doch an der modernen Technik und ihrer Forschrittsgläubigkeit zeigt sich Feininger nicht interessiert und auch dem Prinzip der Simultaneität in der zeitgenössischen Großstadt steht er fern. Harmonie und Dissonanz, Formstrenge und Rhythmik: „Meine Bilder nähern sich immer mehr der Synthese der Fuge“ stellt Feininger fest und die beschworene Analogie von Malerei und Musik überrascht auch nicht, war der Maler doch von Jugend an mit Johann Sebastian Bachs Kunst der Fuge vertraut. Er fand im Kontrapunkt von Dur und Moll, Stimme und Gegenstimme sowie der auf- und absteigenden Melodieführung die Entsprechung zu seiner eigenen Malerei. Bachs „Leitmotive“ mit ihren Phrasen und Wendungen kehren in Feiningers Variationen von Themen vor allem in den Gelmeroda-Bildern programmatisch wieder. Kubisten wie Futuristen sind Erkenntnistheoretiker,
Feininger hingegen Metaphysiker. Die sublime Lichtmagie von William Turner hat Feininger Zeit seines Lebens fasziniert. Doch die eigentliche Befreiung zur lichterfüllten Farbe kam erst durch den „Orphismus“ von Robert Delaunay. Auf die allzu strenge Flächenbezogenheit und gänzlich unmetaphysischen „Formes circulaires“ des Franzosen reagierte Feininger zwar ablehnend, doch am Prisma der chromatischen Transparenz kam er nicht vorbei:„Der Raum erscheint durchsetzt von prismatischen und pyramidalen Strahlenbündeln, er ist eine tektonische Ordnung von leuchtenden Spektralfarben, die als Lichtpyramiden und -rismen den einzelnen Zentren des rhythmischen Gefüges zuschießen, und die Objekte, die Bauten, leben doch darin in dauernder Existenz.“ Um sich gebührend von den anderen Stilrichtungen abzusetzen nennt Feininger seine Malerei der folgenden Zeit Prisma-ismus. In den zwanziger Jahren nimmt Feininger seine lange unterlassenen Notizen vor der Natur wieder auf und erobert sich in seinen „Ostseebildern“ ein neues Gefühl für die Unendlichkeit und Weite des Raumes. Die Härte der kubo-prismatischen Malerei hat sich verloren, der lasierende Farbauftrag ist aufgelockert durch eine feintupfige Licht-Schatten-Modulation der Tonwerte. Sein Ziel ist die „transzendentale Raumbildung“ durch Überlagerung farbiger Flächen, in denen auch die letzten Reste des Materiellen im Gegenstand herauskristallisiert werden. | |
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Feininger wird nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten
kaum noch malen. Der gebürtige Amerikaner wandert 1937 nach
New York aus und muß erst visuelle Tuchfühlung aufnehmen
mit einer neuen Lebensumwelt. In den späteren Bildern der
Höfe und Hochhäuser von New York weicht das Prismatische
einer neuen Raumkonstruktionen aus filigranen Linien, denen oft
nur noch ein Hauch fahlen Gelbs oder azurnen Blaus unterlegt
werden. Sein sich vom Gegenständlichen entfernender Spätstil
bleibt nicht unberührt von den amerkanischen Abstrakten
dieser Jahre. In Mark Tobey findet er seit 1944 einen Kollegen,
Freund und Wahlverwandten, der sich wieder auf die Suche nach
dem meditativen Bild der inneren Vision macht. Doch oft sind
Feiningers Bilder sind nur formeller geworden und ärmer
an geistiger Suggestion. Je älter der Künstler wird, um so mehr zerrann ihm auch das Wirkliche. Die Erinnerung wird immer mehr zur Methode seiner Malerei. In den letzten Jahren verlieren Formen und Figuren ihren klaren Umriß. Im ersten Anlauf pastos aufgetragene Farben werden mit Sandpapier abgeschmirgelt und an anderen Stellen bis auf den Grund abgekratzt. Dann wird die Farbe wieder dünn aufgetragen. Das Ergebnis ist ein diffuses Farbgewebe, das mitgetragen wird vom Licht der Untermalung. Trotz der Sublimierung der sich auflösenden Farbform verraten die Bilder Züge der bildnerischen Ermattung, vor der die viele Maler im Alterswerk nicht gefeit sind. | |
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