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besprechung
mauern, nichts als mauern?

antoni tàpies

eine ausstellung im haus der kunst
vom 26.05.2000 bis 13.08.2000

Wann hat es je einen Künstler gegeben, der seinen Namen und somit sich Selbst so bedingungslos zum Gegenstand seiner Kunst gemacht hat?
Die Tendenz, sich auch in künstlerischer Hinsicht intensiv mit der eigenen Persönlichkeit auseinanderzusetzen, zeigt sich bereits zu Beginn von Tàpies' Laufbahn - das Selbstporträt bestimmt sein Œuvre. Das Haus der Kunst zeigt einige graphischen "Autoretrats" aus den 40iger Jahren, in denen vor allem die starke Dominanz von Tàpies' Augen und eine Reihe von geheimnisvollen, weil nicht entschlüsselbaren Kleinobjekten, welche die Person des Künstlers "umschwirren", auffallen.
Bereits in diesen frühen Werken beginnt sich seine Vorliebe für Ambiguitäten abzuzeichnen: Obwohl figurativ, und somit von leicht leserlichem Charakter werden Elemente eingefügt, die ein Außenstehender nicht zu entziffern vermag. Enthüllen und verbergen.
Die Jahre bis 1954 sind geprägt von der Suche nach der für ihn richtigen Form: Tapies malt zunächst in surrealistischer Manier und widmet sich schließlich der Materialkunst.

   
tapia ist tàpies
Beinahe über Nacht findet er schließlich in der Darstellung der Mauer, der tapia, seinen idealen Bildgegenstand.
Eine Mauer soll schützen und verbergen - diese Symbolik liegt auf der Hand. Tàpies hinterläßt in ihr jedoch stets Lücken, Öffnungen - man glaubt, das, was sie verbirgt, erkennen und finden zu können.
Der Künstler ersetzt den Pinsel durch Spachtel, Schaber, Kratz- und Schneidewerkzeuge. Farben werden vermischt mit Erde, Gips, Zement, Leim und Marmorstaub.
Seine Mauerdarstellungen sind weder Bilder noch Skulpturen, sondern zentimeterdicke Reliefs: „Ich habe ein Bild immer als Objekt betrachtet nicht als ein Fenster, wie das in der Malerei üblich ist".
Ambiguität der Kunstgattungen.
Die Oberfläche einer Mauer bietet seit Urzeiten den Anreiz, Zeichen anzubringen und somit menschliche Spuren zu hinterlassen. Tàpies' Inschriften sind meist kaum zu entziffern oder zumindest doppeldeutig: Der Buchstabe T kann für Tàpies bzw. Theresa (der Frau des Künstlers) stehen, oder als Antoniuskreuz gedeutet werden. Leicht verfremdet wird es zum Christuskreuz, zum Pluszeichen oder zu einem x.
Die zweite Initiale seines Namens, das A kann auch als Begrenzung (Anfang) gedeutet werden. Oft verändert Tapies es zu einem Piktogramm - dem Galgen.
Der Künstler löst sein Objekt mit Chiffren und Buchstaben auf, damit der Betrachter es nicht allein mit einem Blick erfassen kann.


Die Gegenwart der menschlichen Existenz begegnet uns in Tapies‘ Werken nicht nur in seinen Mauergraffities, sondern auch in den Objekten, die er auf seinen „Gemälden" anbringt. Banale Gebrauchsgegenstände wie Kissen, Decken, Körbe, Stühle, Tische, die der Betrachter leicht erkennen und mit denen er sich identifizieren kann. Abgesehen von seinen frühen Selbstbildnissen wird jedoch der menschliche Körper niemals im Ganzen dargestellt. Stets begegnen uns nur einzelne – oft deformierte - Körperteile, insbesondere Füße (Matèria en forma de peu, 1965) oder auch nur Fußabdrücke (Petjades sobres llit marró, 1966) in seinen Kunstwerken.
Menschliche Formen als Hieroglyphen. Vollständigkeit würde keine Geheimnisse mehr in sich bergen. So verwundert es nicht, daß Tàpies keine vollständigen „Ausradierungen" vornimmt: „Wenn ich eine Nase sehe, die nicht eine wirkliche Nase ist, wische ich sie aus. Und ich lasse die Spuren stehen". Korrekturen, die sichtbar bleiben und das "Endprodukt" somit unleserlich machen.
Noch ein Wort zu seinen Gegenständen: Die Auswahl bezeugt nicht nur den Einfluß der Arte Povera Bewegung sondern auch Tapies‘ Aversion gegen Industriematerialien wie Chrom, Glas und Kunststoff. Diese Produkte sind ihm zu sauber, zu glatt, sie sind nicht vom menschlichen durchtränkt, es fehlt ihnen die haptische Aura. Statt dessen bedeckt er einen altertümlichen, abgewetzten Schreibtisch mit altem, fauligem Stroh und verziert ihn mit Kalligraphien (Taula de despatx amb palla, 1970). Natur vermischt mit menschlicher Existenz.

Tàpies‘ Spiel mit Ambiguitäten ist zurückzuführen auf seine wichtigste Inspirationsquelle – die Mystik. Mit der Darstellung der Mauer – das heißt, mit der Darstellung seiner Person – gibt er ein Stück von sich selbst preis. Seine Mauern tragen Spuren der Verwitterung und Kritzeleien. Verletzungen und Markierungen reißen ihre Oberflächen auf. Ein Rest von Selbstschutz muß jedoch stets erhalten bleiben, sein Innerstes kann von Außenstehenden nur erahnt, aber nicht vollständig erfaßt werden. Doppeldeutigkeiten zur Bewahrung seiner Geheimnisse.

angelika steer



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