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besprechung
himbeerbonbons und herbstlaub
maria sewcz: tagelauf - fotografien 1997-1999

eine ausstellung im fotomuseum des münchner stadtmuseums
von 05.11.1999 bis 16.01.2000

Was bitte haben rot schimmernde Bonbons in Himbeerform mit herbstlichen Laubhaufen gemeinsam? Aus welchem Grund hat die Fotografin Maria Sewcz ausgerechnet diese beiden Aufnahmen nebeneinander plaziert? Weil beide Querformat aufweisen und vielleicht auch, weil beide irgendwie strukturelle Häufungen aufzeigen?
Ja, auch. Aber auch, weil beide gleichermaßen unspektakulär wie alltäglich sind. Und dennoch eine bildnerische Prägnanz besitzen, wie man es bisher kaum ahnte. Diese Einprägsamkeit entwickeln die beiden Bilder nämlich erst, seit sie Seit an Seit stehen. Von ihrer visuelle Nachbarschaft profitieren sie gegenseitig. Die Farben kontrastieren oft bis ins komplementäre, beziehungsweise bei diesem Beispiel funkelt das Zuckerrot dem gelborangefarbenen Laub freundliche entgegen. Das unregelmäßig verstreute Laub setzt den gereihten Bonbons seine ganz andersartige formale Wirkung entgegen.
Bei solch trivialen Motiven wird es andererseits schnell müßig, sich in Formalitäten zu verlieren. Es sind ja keine abstrakten Bilder, die da dem Betrachter angeboten werden. Laub und Bonbons – gibt es etwas vertrauteres, von Kindesbeinen an? Eben. Und es regt sich deshalb unwillkürlich Erinnerung an die eigene Erfahrung mit dem Gezeigten. Der Geruch und das Rascheln von Laub, der Geschmack der Bonbons und das Geräusch, wenn man sie doch zerbeißt.... Aber Achtung: Es gibt keinen Grund dazu, sentimental zu werden, die Kurve kriegt die Fotografin mühelos. Zwar zeigt sie noch einige solche Relikte, wie zum Beispiel auf einem Tisch verteilte, ausgestochene Plätzchen. Dann aber ganz andere Details, Pflanzen mehrmals, Schnee auf der Straße, ein Bus mit einer sinnwidrigen Aufschrift, eine Kaugummikonstruktion am Türschloß, Jemand zeigt den Aufstrich seiner Frühstückssemmel, dann leere Gänge hinter Holzkulissen, den Turm einer Burg, immer wieder blauen Himmel, Gummihandschuhe, einen rotblutenden Pullover in der Badewanne. Hochformate dreht sie konsequent in die Quere, auch wenn dann eine Treppe zum Liegen kommt.
   
sehen lernen


Von einer „Didaktik des Sehens" spricht die Fotografin, die sie tatsächlich auch einlöst. Man kann hier lernen, vergleichend zu sehen, sich über die Wechselwirkung zwischen formalen und motivischen Gesetzmäßigkeiten Rechenschaft abzulegen. Und dennoch in der Farbwirkung und der Darstellung schwelgen. Die in Augenhöhe gepaarten Bilder ziehen den Betrachter in ihren Bann und, fast einer filmischen Reihung folgend, an der Wand entlang.
Doch Vorsicht!: Nicht zu nahe herangehen – an den Stiften, mit denen die Fotos ungerahmt an die Wand gepinnt sind, sticht man sich schnell mal ein Auge aus! Mag sein, diese Spitzen sollten als Warnung gelten: Bei zu vertraulicher Annäherung folgt die Strafe stehenden Fußes?! Doch wiegt die Erkenntnis den eventuellen Schaden nicht auf.
(Die Ausstellung „tagelauf", Berlin 1996-1998, ist in der sog. „Kleinen Galerie" zu sehen)

milena greif



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