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besprechung on kawara - "fictive" oder "concept art"? |
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Nüchtern betrachtet kann man durch die Ausstellung auch
in fünf Minuten gehen, ohne wirklich das Gefühl haben zu müssen, etwas
nicht gesehen zu haben. Auf der linken Seite reihen sich Kopien von
Stadtplänen aus der Serie "I went" aneinander, auf der rechten Seite
sind Serien von Postkarten ausgestellt, die neben dem Adressat und dem
Absender die Aufschrift "I got up" mit jeweiliger Uhrzeit aufweisen.
Die ausgestellten Exponate unterscheiden sich dabei kaum voneinander.
Hat man eines gesehen, hat man alle gesehen. So zumindest der erste
Eindruck. Läßt man sich dann aber trotz dieser augenscheinlichen Monotonie mehr Zeit beim Betrachten der Stadtpläne und Postkarten, gerät man unwillkürlich ins Spekulieren. Was ist das für ein Mensch, der in kürzester Zeit in so vielen Städten war, und dort der immer gleichen Beschäftigung nachgegangen ist? Von 1968 bis 1979 hat On Kawara von den Städten seines Verweilens eine Stadtplankopie gemacht, in die er akribisch die Route eingetragen hat, die er in der entsprechenden Stadt zurückgelegt hat. Verfolgt man die Orte seiner Reisen, beginnen bereits hier die ersten Fragen. Wie kommt man in den siebziger Jahren von München in zwei Tagen in eine skandinavische Stadt seltsamen Namens (Finnland, Schweden?) und warum? Ist On Kawara geflogen und wenn ja, woher hatte er das Geld für diesen wie auch alle anderen Flüge, die er - vorausgesetzt man glaubt den Beweisen seiner Reisen - in den Jahren angetreten hat? Erste Ausstellungen von On Kawara fanden erst in den Siebzigern statt, das heißt er gehörte zu dieser Zeit sicherlich nicht zu den best bezahlten Künstlern dieser Welt, der sich eine Reiseroute leisten konnte wie sonst vielleicht mal gerade der Jetset. Und weiter: Was hat On Kawara in München gemacht, außer daß er einmal den Altstadtring umgangen ist? Hatte er Freunde hier, etwa den Galeristen Rüdiger Schöttle, dem er über Jahre immer wieder eine seiner "I got up"-Postkarten zusandte? |
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Die Fragen verdichten sich, wenn man sich die Postkarten auf der anderen Raumseite ansieht. Die meisten stammen aus New York und nicht etwa aus den vielen Städten, die On Kawara angeblich bereist hat. Also alles nur Fiktion? Hat der Künstler aus seinem New Yorker Domizil vielleicht täglich Postsäcke zum Flughafen getragen, mit der Anweisung an die Flieger-Crew sie mit in unbekannte Länder zu nehmen, um sie von dort zu verschicken? Und hat er anschließend in einem New Yorker Copy-Shop Kopien von Stadtplänen gemacht, um darin die Routen einzutragen, die der heutige Museumsbesucher als real annehmen soll? Oder angenommen, On Kawara war tatsächlich über Jahre in verschiedenen Ländern, verschiedenen Städten und verschiedenen Hotels (u.a. gibt On Kawara das Holiday Inn als Absender an - wieder stellt sich die Geldfrage...), was hat er dort gemacht? Wie hat er die vielen Leute kennengelernt, denen er seine Karten geschickt hat? Nur schwer kann man sich vorstellen, daß ein Mensch, der vielleicht für zwei Tage in einer Stadt ist, dort seltsamen Beschäftigungen wie dem Bestempeln von Postkarten nachgeht, abends von freundlichen Menschen zum Essen eingeladen wird. |
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Dennoch, die Ausstellung geht nicht um Fiktion oder Wirklichkeit. Im Gegenteil, in den die Ausstellung einführenden Texten liest man, daß sich On Kawara mit seiner konzeptuellen Arbeit mit "Raum und Zeit als den grundlegenden Dimensionen unserer Existenz auseinandersetzt". Und um das möglichst objektiv zu tun, hat er seine Vorgehensweise über Jahre beibehalten. Er hat das gleiche Postkartenformat, den gleichen Stempel und oft sogar die selben Briefmarken benutzt. Und niemals hat er seine Postkarten mit einer persönlichen Notiz versehen etwa in der Art eines "Schönen Gruß von deinem Freund On Kawara" oder "Die Sonne scheint in L.A.". Und trotzdem, um so einheitlicher die Beschriftung der Postkarten, um so mehr fallen kleine Unregelmäßigkeiten auf: wenn On Kawara doch immer nur auf Reisen war und seine Handschrift niemals persönlich wurde, woher wußte er zum Beispiel - wie es sich in der Ausstellung verfolgen läßt - daß Dr. Herbig in Deutschland umgezogen ist? Hat On Kawara, nachdem er seine Postkarte verschickte, vielleicht noch mal angerufen, und sich nach Dr. Herbigs Wohlbefinden zu erkundigen und gleichzeitig seine neue Adresse zu erfragen? |
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Das Verständnis von Zeit und Raum in On Kawaras Arbeit ist
leicht nachzuvollziehen, und legitimiert den Gang durch die Ausstellung
in fünf Minuten. Interessant wird die Beschäftigung mit dem Künstler
aber dort, wo man sich sein Vorgehen real vorzustellen versucht: Fiktion
oder Wirklichkeit, erfundene Städtereisen oder realer Tourismus? das
sind die Fragen, die die Ausstellung auch über einen längeren Zeitraum
als fünf Minuten ziemlich interessant macht. christine walter
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