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"Einst verband
die Menschen ein Geist und eine gemeinsame Sprache", sagt Patti Smith
über die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel. Das Münchner Haus
der Kunst widmet Smith, die vor allem als Rockmusikerin und Dichterin
bekannt ist, erstmals eine umfassende Ausstellung. Zeichnungen, Fotografien,
Gedichtbände, Videos und Live-Aufnahmen veranschaulichen das vielfältige
kreative Spektrum der 1946 geborenen Künstlerin. Laut Kurator Chris
Dercon präsentiert die Schau kein Gesamtkunstwerk sondern öffnet Zwischenräume
für Erfahrungen jenseits genrespezifischer Eingrenzungen.
Die US-Amerikanerin Patti Smith sieht den Terroranschlag vom 11. September
2001 als Ergebnis fehlender Verständigung und mangelnder Toleranz
zwischen unterschiedlichen Kulturen. Sie erlebte die Zerstörung des
World Trade Centers in New York aus unmittelbarer Nähe. Die Ruine
des Südturms erinnerte sie an Darstellungen des Turms von Babel. Smith
verarbeitete die Katastrophe in einer Bildreihe, der im Haus der Kunst
Kupferstiche aus dem 16. Jahrhundert gegenüber gestellt werden.
Der Ausstellungstitel "Strange Messenger", "Fremder Botschafter",
leitet sich von einem Songtext der Sängerin ab. Die Kommunikation
mit dem Publikum und die Sprache in Gesang und Dichtung nehmen eine
zentrale Bedeutung in ihren Arbeiten ein. Dies zeigen auch die Blei-
und Farbstiftzeichnungen. Smith integriert Worte in die Bilder oder
stellt die geschwungene Handschrift selbst in den Mittelpunkt. Einflüsse
von Künstlern wie William Blake, Antonin Artaud oder Cy Twombly fließen
ebenso in das Werk ein wie die Liebe zur Kalligraphie.
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In der Ausstellung
sind auch Künstler vertreten, die mit Smith zusammen arbeiteten oder
durch sie inspiriert wurden. So schuf die Modedesignerin Ann Demeulemeester
eine Installation mit Details aus Smith' Gedichten.
Die gezeigten Werke knüpfen ein Netz gegenseitiger Beziehungen und
kunsthistorischer Anspielungen vom Symbolismus und Surrealismus bis
zum Abstrakten Expressionismus. Durch die Methode der Collage und
Ausradierung überlagern sich Bild- und Bedeutungsebenen und verweisen
auf den zeitlichen Entstehungsprozess. Die Zeichnungen sind durch
die Gegensätzlichkeit von hartem Strich und sanfter Linie, aggressiver
Farbsetzung und zarten Pastelltönen gekennzeichnet. Die Arbeiten aus
den sechziger und siebziger Jahren zeigen oftmals Figuren und Selbstporträts.
Auffällig ist ihr fragmentarischer Charakter sowie die Balance zwischen
expressiver Gestik und geometrischer Konstruktion.
Die aktuellen graphischen Werke bewegen sich im Spannungsfeld von
amorphen und umrissenen Formen, organischer Schrift und gerader Linie.
Die Wiedergabe des Gegenständlichen weicht dem symbolischen Zeichen.
Die skelettartige Turmruine wirkt durch die Technik des Siebdrucks,
den Disaster-Bildern Andy Warhols ähnlich, wie ein Memento Mori oder
Mahnmal. Als digitalisiertes, schattenhaftes Bild bildet sie die Hintergrundfolie
für Verwandlungen durch Übermalung und Überschreibung. Ein zentrales
Anliegen von Patti Smith ist es, Erfahrungen mit neuen Inhalten zu
besetzen und dadurch ein verändertes Bewusstsein zu schaffen.
Claudia Funke
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