0 7 8    1 7 0 3 1 9 9 8

magazin



 
besprechung
bilder ohne ausdruck
Porträts drogenabhängiger Prostituierter sehsüchtig - sehnsüchtig

eine ausstellung im Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum
von 26.02.1999 bis 25.04.1999

Peter Hendricks Photographien sind groß und grell, gehen nah ran, so nah, daß einem manches Mal die Porträts der drogenabhängigen Prostituierten vor Augen verschwimmen. Noch ehe der Betrachter sich abwendet, dreht sein Objektiv ab und fokussiert die Spuren des Milieus im Rinnstein, in der Schublade, kein Winkel, den er übersieht. Wieder zoomt er den Frauen ins Antlitz und erforscht schonungslos, was ihre Umgebung ihnen einbrannte. Narben, Stiche, nässende Wunden. Übersäht sind sie mit solcherlei Makel, der in krassem Gegensatz zur kosmetischen Retusche steht. Doch weder Lidschatten noch Lippenstift können darüber hinwegtäuschen. Dem Betrachter wird gleich klar: Auf der Sonnenseite des Lebens ist kein Platz für diese schattenhaften Gestalten, deren Ende doch schon von Anfang an vorgezeichnet ist. Und tatsächlich folgt sogleich das schicksalhafte Photo wie ein böses Ohmen: die Füße einer Leiche auf dem gerichtsmedizinischen Obduktionstisch, mit dem obligatorischen Zettel am großen Zeh. Der Nagellack der Zehennägel ist längst abgeblättert.
ein schlechter trip



Die Ausstellung in der „Eingangsgalerie“ des Fotomuseums (bis 25.04.1999) spiegelt das im Steidl Verlag erschienene Buch (ISBN 3-88243-578-X) wider, und wagt wie dieses den schwierigen Balanceakt zwischen Text und Bild. In diesem Falle deshalb besonders schwierig, weil das begleitende Tagebuch von einer Prosituierten verfaßt wurde, von Teschi, die, mit diesem Paukenschlag eröffnet das Buch, 1996 schon starb. Betroffenheit kommt vor dem Fall.
Teschi, oder Elke, die von sich selbst meist in der dritten Person schrieb, lieferte eine Litanei ohne Kommas und Orthographie. Ihr Leben ist ein einziger Teufelskreis, immer verzweifelter und gleichzeitig betäubter versank sie in ihrem Elend aus Heroin und Freiern, aus Obdach- und Schlaflosigkeit. Dröge Verzweifelung wechselt mit eingebildetem Frohmut. „Ich lasse mich überraschen“, täuscht sie sich mehrmals vor. Kaum lesbar ist dieser Epilog aus durchwachten Nächten, Drogenrausch, gespieltem Optimismus, kindlichen Einsichten „Man lernt ja nie aus“. Der Leser kehrt am Schluß von einem schlechten Trip geschlaucht zurück.
Ob es wirklich notwendig gewesen ist, das Buchlayout delirisch durcheinanderzuwirbeln und hie und da mit Originaltypographie Teschis zu unterlegen, sei dahingestellt. Warum dann das sechste Kapitel nurmehr ihre Handschrift zeigt, wird nicht deutlich. Einen Spannungsaufbau kann es jedenfalls nicht widergeben, denn die Tagebucheinträge sind bar jeglicher Struktur. Fraglich erscheint außerdem der Index auf der Buchrückseite, der „Szene“-Begriffe erklärt und damit einen lexikalischen Graben gräbt.

szene von außen



Text und Photos zusammen wandern am Grat zwischen positivistischer Milieustudie im Sinne Locards, der schrieb, daß das „Milieu dem Individuum seinen Stempel aufdrückt“, und pseudoverständnisvoller Szenereportage. Schon wurde der Ruf laut, Nan Goldins „I’ll be your Mirror“ habe wohl eine Modeerscheinung ausgelöst. Voyeurismus ebenso wie jegliches moralisches Anliegen weist Hendricks natürlich brüsk zurück. Tatsächlich ist auch kein erhobener Zeigefinger zu finden. Und „Voyeurismus“ mag ein zu starker Ausdruck sein, aber Tatsache ist: Hendricks steht nun einmal außerhalb dieser Sphäre, die sich dokumentarisch nur schlecht nachvollziehen läßt, denn es fehlt ihr an der Fähigkeit, sich auszudrücken - wie das Tagebuch zeigt. Schlußendlich muß deshalb doch den Bildern der Vorzug gegeben werden, den ihre Ausdruckslosigkeit wird ihnen zum eindrucksvollen Inhalt.

milena greif



email
impressum

kunst in münchen
suche

berichte, kommentare,
archiv

meinungen,
thesen, aktionen

kulturinformation
im internet