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besprechung pipilotti rist & samir
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Perlende Synthesizerklänge
umspülen den Besucher, und in der Weite des dunklen Raumes erscheint
als apokalyptische Vision eine Mischung aus Botticellivenus und Maria
Lactans, an deren Brust gerinnendes Blut klebt - gleichsam die moderne
Version der Mondsichelmadonna. Derart perfekte Inszenierung gehört
zum Handwerk der Videokünstlerein Pipilotti
Rist, die zunächst an der Wiener Hochschule für Gestaltung
Gebrauchsgraphik und später in Basel Audiovisuelle Gestaltung studierte.
Zusammen mit ihrem Landsmann Samir
hat sie die historischen Räume der Villa Stuck zur aktuellen
Ausstellung in ein süßlich-poetisches Bildermeer verwandelt.
Die erste gemeinsame Installation der Schweizer Künstler The Social Life of Roses or Why I'm Never Sad (1996) umfaßt beide Räume des Obergeschosses der Villa Stuck. Von einem Podest aus können wir den auf zwei leichte Tücher projezierten Videos folgen, die um Klischeebilder einer weiblichen Welt kreisen. Die Matrosenbraut, die ihren Geliebten empfängt, ein Leichenwäscher, der sich am entblösten Körper einer jungen Frau delektiert, die Ehefreu, die unter der Photographie des Gatten telephonisch die Nachricht von dessen Tod an der Front erfährt doppeln sich auf den dahinter liegenden Wänden und korrespondieren mit Samirs Dokumentationen auf sechs Minibildschirmen, die als rosenumkränzte Mikrophone getarnt zum Kommentar auffordern. Der zweite Teil nimmt die Motive wieder auf und führt sie unter Ergänzungen in größeren Projektionen fort.
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Sip My Ocean (1996)
ergänzt die Ausstellung im Mittelgeschoß - eine der Arbeiten,
der die 34-Jährige ihren kometenhaften Aufstieg zur Glamour-Queen
der Videowelt verdankt. Fast vollständig unter Wasser gedreht,
sinken zu Chris Isaaks "Wicked Games" eine Kaffeetasse, ein Spielzeugcampingwagen
und andere Gegenstände auf den Meeresboden, Sand und Korallen gleiten
am Auge des Betrachters vorbei, ein Frauenkörper tanzt durch das
Wasser, in Nahaufnahme von der Kamera erfaßt. Ein leises Summen
ertönt, steigert sich zu normaler Lautstärke, um letztlich
überzugehen in wildes Geschrei.
Die verzerrten, zerrissenen Aufnahmen repräsentieren jene "Schmuddeloptik", in der Rist ihr Unterbewußtes materialisiert sieht. Sie verarbeitet persönliche Erlebnisse und Empfindungen und spricht auf diese Weise auch die Gefühlswelt des jeweiligen Betrachters sinnlich an. Durch Neontönung der Fenster in artifizielles Licht getaucht, vermitteln die Räume dem Besucher den Eindruck, er bewege sich selbst als Darsteller durch das Innenleben eines Videoclips zwischen Alptraum und Träumerei. Samirs dokumentarische Filme, die um das Leben Schweizer Einwanderer der zweiten Generation kreisen, haben gegen diese geballte Ladung weiblicher Traumtänzerei keine Chance. In die letzten beiden Räume verbannt, wirken sie wie eine nüchterne Ergänzung des gerade Gesehenen, zu kraftlos, um auf den sinnenbetäubten Betrachter noch Anziehung oder Wirkung ausüben zu können. Nur zu gern nimmt man den gleichen Weg wieder zurück und erinnert sich vielleicht noch im Hinausgehen, daß Samir auch hier in den Mikrophonen des Rosenpodestes verborgen zugegen war. Abschließend oder eröffnend ist Der blaue Leibesbrief
(1992) in der repräsentativen Empfangshalle Franz von Stucks
dessen Sünde von 1912 dialogisch gegenübergestellt
und visualisiert den weiblichen Körper aus heutiger Sicht durch
das Objektiv einer Videokamera, die die in bläuliches Licht getauchten
Formen einer auf dem Boden ausgestreckten Nackten entlanggleitet und
erforscht. Indem sie die Liegende auf die Rückenlehne einer originalen
Sitzbank projeziert schafft Pipilotti Rist, die mit Samir selbst vor
Ort die Installation koordinierte und den Gegebenheiten anpaßte,
einen besonderen Bezug zur Villa Stuck.
susanna ott |
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