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besprechung
ein gang durch wahnmoching

zur ausstellung "schwabing - kunst und leben um 1900" im münchner stadtmuseum schwabing - kunst und leben um 1900

eine ausstellung in dem münchner stadtmuseum

Daß Schwabing kein geographischer sondern ein kultureller Begriff ist, mag man heute kaum noch glauben. Bei zwei Fahrspuren pro Richtung und riesengroßen Bankgebäuden fällt dies wahrlich schwer. Vor fast 100 Jahren, zur Jahrhundertwende, muß das Leben in Schwabing hingegen schillernd und alles andere als eintönig gewesen sein. Das ist zumindest der Eindruck, den man bekommt, wenn man durch die Ausstellung "Schwabing - Kunst und Leben um 1900" geht.

Mit großem Engagement haben die Veranstalter des Münchner Stadtmuseums alles herangetragen,was aus der damaligen Zeit stammt. So werden auf 1500qm Briefe, Postkarten, Plakate, Bücher, Photographien, Zeichnungen und Kunstgegenstände gezeigt, die das Leben um 1900 dokumentieren. Nur bleiben die Dokumente ohne Erläuterung, so daß der Besucher eher einen vagen Eindruck erhält als daß er etwas Konkretes erfährt. Allerdings erhält hier jeder Künstler seinen eigenen Raum, und so hat man fast das Gefühl, die Persönlichkeiten Schwabings persönlich besuchen zu können.

Schwabing war zur Zeit der Jahrhundertwende Ziel zahlreicher Künstler. 1900 beendete Thomas Mann seine "Buddenbrocks", wovon sein kleiner Bruder Viktor noch später in seinem autobiographischen Roman "Wir waren fünf" erzählte. 1884/85 kam Franz Wedekind aus der Schweiz nach München, um dort Jura zu studieren. Zusätzlich besuchte er auch Vorlesungen in Kunstgeschichte, Literatur und Philosophie. Fünf Jahre später schrieb er sein Werk "Frühlings Erwachen", ein Drama gegen eine Gesellschaft, die durch ihre Scheinmoral ein freies Leben unmöglich machte. 1896 gehörte er zu den ersten Autoren der neu gegründeten Zeitschrift "Simplicissimus". Währenddessen scharte Stefan George-selbsternannter Meister-einen Kreis auserkorener Diener um sich. Mit den "Kosmikern" feierte er römische Feste, trennte sich aber 1904 wegen ihrer antijüdischen Gesinnung von ihnen. Wassily Kandinsky und Alexej Jawlensky besuchten eine Malschule in der Georgensraße und brachten 1912 den Almanach "Der Blaue Reiter" heraus, in dem Musik-, Bild- und Textbeiträge zusammengestellt waren. Die Auroren, unter anderem auch August Macke, Paul Klee und Alfred Kubin, waren auf der Suche nach dem "Geistigen in der Kunst", nach dem inneren Leben eines Kunstwerkes. Deshalb stellten sie der zeitgenössischen Kunst Kinderzeichnungen und außereuropäische Volkskunst gegenüber. Denn Kinder richten sich nicht nach Vorgaben oder bestimmten Schulen, sondern gehen nach ihrem inneren Gefühl. Deswegen waren auch viele Bilder des Blauen Reiters nicht gegenständlich sondern abstrakt, weil die Maler eben ihrem inneren Gefühl für Farben und Formen folgten. Der Name "Der Blaue Reiter" entstand übrigens beim Kaffeetrinken in der Gartenlaube von Franz Marc. So schreibt Kandinsky "...beide liebten wir Blau, Marc-Pferde, ich-Reiter. So kam der Name von selbst. Und der märchenhafte Kaffee von Frau Maria Marc mundete uns noch besser."

Doch nicht nur die Künstler um den Blauen Reiter versuchten, die Regeln der Gesellschaft zu brechen. So war z.B. auch die Gräfin zu Reventlow eine für damalige Verhältnisse emanzipierte Frau, die immer wieder auf ihr Recht der freien Selbstbestimmung pochte. In ihrer Kindheit wurde sie in ein Erziehungsheim geschickt, mußte dann aber wieder nach Hause zurückkehren, weil sie sich den dortigen Regeln widersetzte. Auch durch ihre Ausbildung zur Lehrerin sah sie keine Möglichkeit, wirklich unanhängig zu sein. So kam sie 1893 nach München und besuchte eine Schule für Malerei. Sie war es auch, die Schwabing als einen Ort bezeichnete, der "eine geistige Bewegung, eine Richtung, ein Protest, ein neuer Kult oder vielmehr ein Versuch" ist,"aus uralten Kulturen wieder neue religiöse Möglichkeiten zu gewinnen."
"Wahnmoching" eben.

kathrin klette

Lesetip:
Dirk Heißerer: "Wo die Geister wandern-Eine Topographie der Schwabinger Bohème um 1900", Diederichs-Verlag



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