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besprechung
humanizing abstract painting

sean scully

eine ausstellung im haus der kunst
von 14.06.2001 bis 09.09.2001

"Das Bild ist beendet, wenn es mich berührt", hat Sean Scully, Jahrgang 1945, gesagt und bezog sich dabei auf eines der annähernd 100 Bilder, welche bis zum 16. September im Haus der Kunst zu sehen sind. Die Aussage ist Programm, denn Scully hätte auch sagen können: "Das Bild ist beendet, wenn es meiner Idee entspricht" oder so ähnlich. Statt von Idee, Gedanke, Ratio ist aber vom Gefühl die Rede, und damit stößt man auch sogleich zum Wesentlichen der Bilder vor.

Nun wird es Otto Normalverbraucher bei einem ersten, schnellen Rundgang durch die acht Ausstellungsräume sicherlich nicht gleich einleuchten, was mit Gefühl und Ausdruck gemeint ist. Tatsächlich wirken die Bilder in ihrem nahezu unveränderten Rhythmus, mit ihren sich ständig wiederholenden Formen und ihren dezenten Farben eher dekorativ als expressiv. Und mit dieser Einschätzung mag der Betrachter gar nicht mal so falsch liegen, drängen sich Assoziationen zum zeitgeistigen Innendesign fast von selbst auf. Erstaunlich ist auch, wie sich die Bilder in die ansonsten der Kunst oft feindlich zeigenden Räume des Haus der Kunst einfügen. Mit ihrer monumentalen Monotonie scheinen sie eigens für diese Ausstellung gemalt worden zu sein.

schweigen und reden

Sean Scullys Bilder gehören unverkennbar dem Minimalismus an. Also einer Stilrichtung der 70er Jahre, die in dem sich immer wiederholenden Rhythmus den expressiven Ausdruck suchte. In gleicher Weise ist bei Scully auch keine andere Form als das Rechteck zu finden. Aber im Gegensatz zum strengen Konzept der Minimal-Art versucht Scully das Figurative in seine Bilder zurückzuholen, "to humanize abstract painting", oder um sie auch ganz einfach wieder diskursfähig zu machen. Denn es ist die Auseinandersetzung mit dem anderen, welche die menschliche Gemeinschaft bestimmt. Sean Scullys Bilder exemplifizieren auf subtile Weise die Gradwanderung zwischen totalitärem Schweigen und lebendigem Austausch.
Es gibt Formen, die sind wie sie sind. Das Quadrat, der Kreis, das gleichschenklige Dreieck. Geometrische Grundformen können nicht verändert werden, ohne zerstört zu werden. Man kann also nicht über sie diskutieren, denn in ihrer absoluten Form sind sie einmalig. Scully vermeidet sie ganz absichtlich, wählt statt dessen das Rechteck. In seinem ungleichen Verhältnis von Höhe zu Breite ist das Rechteck variabel, kann mal so und mal anders sein und bleibt dadurch kommunikativ.
In gleicher Weise verhält es sich mit der Zeichnung. Der Strich verbindet nicht nur einen Punkt mit einem anderen, er trennt auch. Der Strich ist im absoluten Fall eine genaue Bestimmung, er grenzt die Form nach Außen ab, bestimmt sie in ihrer Ausdehnung. Hart und unerbittlich zeigt er auf, was ist, nicht was sein könnte. Daher sucht man auch den Strich in Scullys Gemälden vergeblich. Mit dem Bleistift fixiert der Maler in einem ersten Arbeitsschritt das Kompositionsgerüst auf der Leinwand, unterteilt die Fläche, notiert sich die Formen. Nun trägt er die Farbe auf, jedes Feld in einer anderen, immer parallel der Längsseite des Rechtecks. Dabei stoßen die Farbflächen aufeinander und überdecken das filigrane Gerüst der Bleistiftlinie. Immer mehr Schichten legen sich übereinander, bis auch die letzte Spur der Zeichnung vollkommen verschwunden ist. Was übrig bleibt sind Flächen, die aufeinanderstoßen. Statt einer trennenden Linie, stehen sich nun expandierende Farben gegenüber, die in unmittelbaren Austausch miteinander treten.

oszillierende farben


Was für die Struktur gilt, gilt in gleicher Weise für die Farbe an sich. Der pastose Farbauftrag, nass in nass, bewirkt, dass weiter unten liegende Farbschichten nach wie vor wahrgenommen werden. Die Pigmente interferieren. Das Rot teilt sich dem Ocker mit, das Schwarz trübt das Blau. Die einzelnen Flächen beginnen zu oszillieren. Nie tritt eine Farbe absolut auf, nie ist sie nur sich selbst. Immer schwingt ein anderer Farbton mit, wie wenn sich einzelne Stimmen zu einem harmonischen Gesang vereinen.
Wenn Sean Scully von einer Vermenschlichung seiner Bilder spricht, dann ist es diese sinnliche Qualität, die trotz der Monotonie der Formen die Vielfalt der Erscheinungen nicht unterdrückt. Die individuelle Form des Rechtecks, der Austausch über die Fläche hinweg, der Vielklang der Farben, all dies sind Elemente, die den inneren Diskurs der Bilder wahren.

alescha-thomas birkenholz



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