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besprechung seifenopern und pornos = neue kunstformen? |
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Mal angenommen Sie stecken mitten im dicksten Berufsverkehr
auf dem Weg in Richtung Heimat, haben einen stressigen Arbeitstag hinter
und mehrere „Sonntagsfahrer" vor sich und sind demzufolge leicht genervt.
Plötzlich an der x-ten roten Ampel zeigt Ihnen der Beifahrer im Auto
neben Ihnen seinen zum Kreis geschlossenen Zeigefinger und Daumen. Natürlich
deuten Sie diese Geste als massive Beleidigung (vor allem da sie sich
keines verkehrstechnisch gesehenen Fehlverhaltens bewußt sind) und überlegen
sich, ob Sie diesen Rüpel nicht anzeigen. Doch halt, nicht so voreilig
– vielleicht war die Geste ja ganz anders gemeint! Bedeutet sie in einem
anderen Zusammenhang nicht so viel wie „okay, gut", "perfekt" oder aber
auch abwertend „Null". Eine zusätzliche Interpretation, die Verstärkung
einer verbalen Aussage - die zum Ring geschlossenen Finger bilden die
sprechende Mundöffnung nach - dürfte nur den Konsumenten der täglich
über den Bildschirm flimmerenden Seifenopern bekannt sein, und wird
uns in Julian Rosenfeldts Videoinstallation „Global Soap" eindringlich
vorgeführt. Der Münchner Künstler beschäftigt sich seit längerem mit den Strukturen dieses Fernsehformats und hat ein umfangreiches Inventar bezüglich der verwendeten Gesten, Gebärden, Situationen und Figurenkonstellationen erarbeitet. Rosenfeldt konfrontiert uns auf vier nebeneinander plazierten und simultan laufenden Projektionsflächen mit den aktuellen Soaps diverser Kulturkreise. In einer 20minütigen Vorführung, welche der realen Länge einer Soapfolge entspricht, arbeitet der Künstler folgende Aspekte heraus: Die Filme folgen einer strengen Choreographie. Der Ablauf der Handlung ist auf wenige Innenräume beschränkt und zeigt Standardsituationen wie Gespräche am Esstisch in der Küche, in Cafes oder im Schlafzimmer. Lautstarken Emotionsausbrüchen folgen im allgemeinen die sogenannten "it sinks in" - die Gesichter der Protagonisten, welche die soeben erlebten Konfliksituationen verarbeiten müssen, werden in Großaufnahme gezeigt. Rosenfeldt verstärkt den Effekt indem er die Nahaufnahmen in Zeitlupe wiedergibt. Zusätzlich wandelt er diese Momente in eine riesigen Plakatcollage um, wobei er vom TV-Querformat ins Hochformat wechselt. Wie der Titel seiner Arbeit bereits verdeutlicht, bedienen sich die Seifenopern weltweit einer stereotypen Format- und Gebärdensprache - das ist uns nicht neu. Überraschend allerdings ist Rosenfeldts Ansatz, seine erarbeitete Typolgie der Gesten und Gebärden mit der Gebärdenikonografie der Kunstgeschichte zu verbinden. Der moralisch erhobene Zeigefinger begegnet uns nicht nur in klassischen Kunstwerken sondern auch in den so banal anmutenden soap operas. Deren Protagonisten werden zu Ikonen des Medienzeitalters. |
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Hier liegen die Parallen zu Piero Steinles Videoinstallation
"Exstase". Den zurückgeworfene Kopf mit den geschlossenen Augen und
dem geöffneten Mund zum Zeitpunkt des sexuellen Höhepunkts findet
er in zahlreichen Werken der Antike, der Renaissance und des Barocks
(wobei dort allerdings nicht von sexuell bedingter Exstase die Rede
sein kann - zumindest nicht auf den ersten Blick). Wie Rosenfeldt
verstärkt der Künstler diesen Moment durch den technischen Effekt
der slow motion - die Gesichter werden zu Ikonen der Verzückung.
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