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283 29|07|2003 | besprechung fäden, die die welt bedeuten "social fabric" in der lothringer dreizehn |
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Künstler, die stricken, nähen oder sticken, haben es heute offenbar nicht mehr gar so schwer, sich auf dem Kunstmarkt zu behaupten. Der Wunsch nach interdisziplinärer Vernetzung der Künste hat experimentelle Arbeiten aus dem Bereich des Modedesign für den Galerieraum salonfähig gemacht. Textile Skulpturen wie die "Soft Sculptures" des Pop Art-Künstlers Claes Oldenburg gehören längst zum Standardrepertoire der großen Museen. Und nicht zu vergessen: Gerade Künstlerinnen haben durch ihre ironisch-subversive Aneignung traditioneller Handarbeitstechniken zur Kritik überholter weiblicher Rollenklischees beigetragen. Wolle, Garn und Textilien sind inzwischen Ausgangsstoffe, derer sich die Kunstschaffenden so selbstverständlich bedienen wie anderer Materialien auch. |
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Aktuelle künstlerische Arbeiten, die in und mit Stoff (engl. "fabric") realisiert wurden, sind derzeit in der Ausstellung "Social Fabric" zu sehen. Courtenay Smith gibt damit ihr Debüt als neue Kuratorin der lothringer dreizehn. Der Begriff "social fabric" wird im Englischen verwendet, um die soziale Struktur einer Gesellschaft zu beschreiben. Tatsächlich versammelt die Ausstellung Werke von Künstlern aus unterschiedlichen sozialen Milieus, was man den Exponaten selbst jedoch erstaunlich wenig anmerkt. Das Konzept ihres halbprivaten Ausstellungsraums homeroom fortschreibend, stellt die gebürtige US-Amerikanerin Arbeiten von Münchner Künstlern Positionen aus New York, Chicago und Los Angeles gegenüber. Untersucht werden soll, wie Stoff in der zeitgenössischen Kunst verwendet wird, um gesellschaftliche oder künstlerische Prozesse, Grenzen und Normen kritisch zu hinterfragen. |
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Eindrucksvoll in diesem Zusammenhang sind zwei Beiträge, die den funktionalen Einsatz von Stoff als Bekleidung und die damit verbundenen sozialen Konventionen als Ausgangspunkt nehmen: Geradezu schockierend auf das Eröffnungspublikum wirkt Stefanie Trojans Performance, die für den Fortgang der Ausstellung auf Video dokumentiert wurde. Unbekleidet in der Öffentlichkeit aufzutreten funktioniert bei der Freizügigkeit unserer Zeit zwar nur noch bedingt als Tabubruch. In Zugzwang brachte die Besucher jedoch ein Ständer mit diversen Kleidungsstücken neben der regungslos verharrenden Künstlerin. So haben die ersten Gäste auch erst mal einen großen Bogen darum gemacht. |
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Leisere Töne schlagen
Ina Ettlingers "Änderungen" an, die sie aus Fundstücken von
Second Hand-Läden oder Flohmärkten kreiert. Oft sind es geschlechtsspezifische
Bekleidungen wie zum Beispiel ein typischer Hausfrauenkittel, die
die Künstlerin als Ausgangspunkt für ihre bizarren Dekonstruktionen
nimmt. Aus den Resten der Kleidung lösen sich scheinbar organische
Strukturen, die sich auf der Wand oder dem Fußboden fortsetzen und
in einen sonderbar ungereimten Dialog mit dem ursprünglichen Stück
treten. |
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Die in der Ausstellung "Social Fabric" zahlreich versammelten plastischen Objekte und architektonischen Referenzen in Stoff profitieren gleichermaßen von der Flexibilität und Formbarkeit des Materials, wie dessen spezifische Eigenschaften den ursprünglichen Gegenstand verfremden und persiflieren. Ein wild flackerndes Lagerfeuer wird in Amanda Browders "Bonfire" zum kuscheligen Kunstpelz-Objekt, das zum Anfassen reizt. Ihr "Money Pile", ein aufgetürmter Haufen Geldstücke trägt weiße Reflexlichter. Doch bekanntlich ist nicht alles Gold, was glänzt: Der Reichtum ist aus Filz und wirkt wie eine Remineszenz aus einem Comic-Strip. |
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Auf moderne Mobilität
verweist Stefan Wischnewskis "MTSV Sofa", eine aus prall gefüllten
Sporttaschen arrangierte temporäre Sitzgelegenheit. Hart an der Grenze
des Erträglichen bewegen sich die schreiend bunten Batik-Bilder von
Michael Phelan, die auf Holzrahmen aufgespannt zur Kunst erhoben
werden. Einen größeren Spielraum für die Imagination des Betrachters
lassen die von der Hallendecke abgehängten architektonischen Konstruktionen
von Frank Maier sowie "Norman’s Apartment", ein zimmergroßer
Teppich von Rose Stach, in den sie die Abdrücke der Möbel des
angeblichen Vormieters fein säuberlich nachgeschnitten hat. Das spielerische
Experimentieren mit einem simplen Stück Stoff reicht in diesen Fällen
tatsächlich aus, um auf Seiten des Betrachters gedankliche Prozesse
in Gang zu setzen. |
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