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besprechung
überraschend beklemmendes erlebnis im haus der kunst

shelter - christoph büchel

eine ausstellung im
haus der kunst
von 26.01 bis 07.03.2002

Estragon: Man braucht nur nicht hinzuschauen.
Wladimir: Es zieht den Blick an.
Estragon: Eben.
Wladimir: Ganz unwillkürlich.
(Samuel Beckett, Warten auf Godot)

Als ein Haus von Becketts skurrilen Gedankenkonstrukten ließe sich "Shelter" vielleicht beschreiben. Unerwartetes und Unangenehmes tut sich auf, hat man die so geordneten, klaren Gänge des Hauses der Kunst hinter sich gelassen und im ersten Stock den Raumkomplex der Installation von Christoph Büchel betreten. Man befindet sich plötzlich mitten in einer Wartehalle. Sterile Stuhlreihen sind links und rechts angeordnet, die Getränkeautomaten wurden bereits vollkommen geleert und nicht wieder gefüllt. Doch es fehlen die Wartenden. Einzig in der Mitte der Halle zeugt eine ausgelaufene Einkaufstüte von Dagewesenem. Einen Raum weiter hat ein Penner mittels Matratze und Schlafsack sein Nachtlager aufgebaut und dieses wohl auch wieder verlassen. Nur eine surrende Belüftungsanlage ist noch in Betrieb. Ansonsten stehen die Räume still. Stahlrohre, enge Gänge und schmale Leitern führen von einem Raumschacht in den nächsten. Der Betrachter dringt immer tiefer in die beklemmende Tiefe dieses Gebäudes ein und kann sich dessen Wirkung nicht entziehen. Ein aufrechtes Gehen ist kaum möglich, Paletten auf dem Boden erschweren das Passieren. Man ist vollkommen in die Rauminstallation mit einbezogen, steigt über Pritschen, benutztes Geschirr und Essensreste, muss durch enge Rohre kriechen und überflutete Räume waten. Eine direkte Konfrontation mit den zurückgelassenen Gegenständen ist beklemmend - und unvermeidbar.

   
gespiegelte auswegslosigkeit

Leerstehende Wohnungen, Schächte, Keller oder Zelte bilden ein wiederkehrendes Thema des1966 geborene Schweizer Christoph Büchel. Mit ähnlichen Installationen wie "Shelter" hat er bereits in der Vergangenheit Aufsehen erregt. Er richtete Wohnungen von fiktiven Personen in vorgefundene Ausstellungsräume ein und konfrontierte den Besucher mit deren Leben. Ein Leben, das immer von psychischen Zwängen zeugt. Vor zwei Jahren arrangierte Büchel im Sprengler Museum Hannover eine mit "Lieber Kurt,..." betitelte Rauminstallation, welche die Privatsphäre eines Menschen zeigt, der an der Sisyphosarbeit nie zu Ende gebrachter Projekte zu scheitern schien.
Im Rahmen der Projektreihe "hosted by...", bei welchem der kunstraum münchen e. V. zu Gast im Haus der Kunst ausstellt, inszenierte Büchel den Gebäudekomplex "Shelter".
   
neue "wohnräume"


Durch die zahlreichen fensterlosen Räume mit ihren Belüftungsschächten und Rohrverbindungen erinnert der Raumkomplex an eine verlassene Fabrik. Verschiedene Menschen scheinen hier eine zeitlang Obdach gefunden zu haben. Die einzelnen Räume wurden als Schlafstätte, Bibliothek oder Waschraum mit den einfachsten Mitteln umfunktioniert. Diese neugeschaffenen "Wohnräume" zeugen von seelischen Konflikten, Verlorenheit, Ausweglosigkeit und existenziellen Grenzsituationen. Das Betreten der Räume übernimmt der Besucher in jeder Hinsicht auf eigene Verantwortung.
Das Primäre von Büchels Kunst ist weniger der architektonische Eingriff als die Wirkung auf den Betrachter. Hervorgerufen durch muffige, abgestandene Luft, das Rauschen von Belüftungsanlagen, Radiogedudel und sterile Beleuchtung wird man zwangsläufig mit allen Sinnen zum Voyeur fremder und eigener Ängste. Ähnlich wie in Gregor Schneiders "Haus ur" eröffnet sich in Büchels "Shelter" der Zugang zu einer anderen Welt. Der Besuch wird zu einem beklemmenden Erlebnis.

isabella klement



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