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besprechung
filme in pastell

die erste einzelaustellung außerhalb südafrikas william kentridge

eine ausstellung im Münchner Kunstverein

Wenn von einem menschlichen Körper eine Kernspin-Computertomographie vorgenommen wird, mag man erwarten, daß auch dunkelste Ecken ausgeleuchtet werden können, um Klarheit über innere Verfassung zu erlangen. Doch zeigt das Ergebnis in Wirklichkeit nichts, was in einem Menschen vorgeht, nicht einmal Spuren von dem sind zu erahnen, was letztendlich über das Leben entscheidet: die Psyche beherrscht auch die Physiologie.
Pastellgezeichnete Filme von William Kentridge, die jetzt im Kunstverein zu sehen sind, sind deshalb naturwissenschaftlicher Technik haushoch überlegen. Der Regisseur hat die Macht, selbst bei einer Tomographie das Wesentliche ans Licht zu holen. Er verwendet dieses Verfahren, um das rigide Sezieren des Bewußtseins zu karikieren: „Was ist unter der Haut verborgen, und ist unsere diesbezügliche Bildheit mit unserer Bildheit in bezug auf die Auswirkungen unseres Handelns zu vergleichen?“ fragt er und läßt Gedankenfetzen in den scheibchenweisen Gehirnaufnahmen Gestalt annehmen, Szenerien längst vergangener Tage aufblitzen, wieder verschwinden, pulsierend von Körper und Geist Besitz ergreifen (History of the Main Complaint, 1996).
Diesem Rhythmus entspricht die Geschwindigkeit der Filme, die das Auge nicht mit der gewohnten Realzeittäuschung versorgen, sondern ihren eigenen Tempus ausbilden, der in musikalischer Begleitung den Betrachter zum Ausharren anhält. Die flackernden Bilder geben die einzigartige Möglichkeit, dem Prozess des Zeichnens beizuwohnen, zu sehen, wie sich Striche zum Ganzen fügen. Das mag entfernt an Dokumentaraufnahmen erinnern, wie sie beispielsweise von Kandinsky oder Picasso vorgenommen wurden. Doch was bei ihnen dem Zauber des Werkes eher geschadet hat, läßt bei William Kentridge ein in sich abgeschlossenes Universum entstehen. Der Verlauf ist wichtiger als das Resultat, alle Ereignisse, die die Zeichnungen ereilen, werden als Spur Teil des Bildes in Bewegung. Handlungen ziehen Folgen nach sich, auch wenn sie kausal nicht unmittelbar zu verknüfen sind.
Sieht man mehrere der insgesamt acht gezeigten Filme, läßt sich ein gewisses poetisches Vokabular ausmachen: Ein Mann, eine Frau, flutartige Überschwemmungen der Szenen, aus denen immer wieder etwas neues entsteht. Bilder werden zu Spiegel, Spiegel zu Fenstern (Felix Exile, 1993/94). Ding und Leben kommunizieren im selben Raum, sind beide Teil einer Geschichte. Daß es sich dabei um eine persönlich empfundene, erlebte Sphäre handelt, darüber gibt eine bedrohliche, düstere Atmosphäre Auskunft: marschierende Menschentrauben mit Transparenten, Hochhäuser, die diese Ströme schlucken, als würde es sich nur um antropomorphes Material handeln, Bohrtürme, die wie gesprengt ausradiert werden...

film, bühne und kunst

William Kentridge lebt und arbeitet in Johannesburg in einer Umgebung, in der persönliches und politisches untrennbar verwoben ist. Er studierte Politik und African Studies, daraufhin an der Johannesburg Art Foundation, wo er selber unterrichtete. Es folgte die Tätigkeit als Regisseur, Schauspieler sowie Bühnenbildner in Paris und Südafrika. Kentridge gelang es schließlich, bildnerische und darstellende Kunst zu vereinen, indem er in Zusammenarbeit mit der Handspring Puppet Company Marionetten und Akteure vor projezierten Filmen auftreten ließ. Mit dieser Truppe hatte er bereits Uraufführungen in ganz Europa erlebt. 1997 wurden seine Filme auf der dokumenta X gezeigt; die erste Einzelausstellung außerhalb Südafrikas, in München, die nach Graz weiterwandern wird, knüpft direkt an diesen Achtungserfolg an.

milena greif





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