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235 29|05|2002 | besprechung das zweite gesicht - zwischen kunst und wissenschaft
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Seit dem 8. Mai sind im Deutschen Museum zwischen den Abteilungen für Textil- und Drucktechnik 105 Arbeiten von 70 Künstlern zu sehen. Bei den Exponaten handelt es sich vor allem um Fotografien, zum Teil aber auch um Videoinstallationen. Das Thema mit dem sich all diese Arbeiten auseinandersetzen, ist das menschliche Antlitz. Primäres Erkennungsmerkmal eines jeden zeigt sich im Gesicht nicht nur die Individualität, sondern auch der Ausdruck verschiedener, diverser, ja divergierender Gemütsstimmungen, deren Interpretation in gewissen Momenten unentbehrlich sein kann. Aus diesem Grund spielt das Gesicht des Menschen im alltäglichen Leben auch eine besondere Rolle und zieht wie kein anderes Objekt das Interesse der Künstler auf sich. Nur der Künstler? Nein, denn auch gewisse Zweige der Psychologie haben die besondere Rolle des edelsten Teiles des Menschen erkannt, und sei es nur, um ein Phantombild zu erstellen. | |
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Um dieser Fülle - nicht nur derjenigen der zahllosen Künstler - gerecht zu werden, haben sich die Ausstellungsmacher entschlossen, konstruktive Schwerpunkte zu setzen. Unter Kategorien wie Defiguration, Abstraktion, Überlagerung, Rekombination und Animation wird der überquellenden Pluralität Einhalt geboten, wird ein didaktischer Überbau geschaffen, der das ansonsten chaotische und damit unübersichtliche Feld strukturieren und zugänglich machen soll. Doch mit dieser Maßnahme haben die Kuratoren nicht nur bewiesen, dass sie in der Lage sind, eine Ausstellung zu schaffen, die sich gänzlich in die allgemeine Konzeption des Deutschen Museums integriert, sie haben auch indirekt auf eine gewisse Unversöhnlichkeit zwischen Kunst und Wissenschaft verwiesen. Denn in der Weise, mit der Künstler gewollt oder ungewollt technische Errungenschaften gebrauchen und auch missbrauchen, um neue Ausdrucksformen zu finden oder bereits bestehende nachhaltiger darzustellen, in gleicher Weise bedient sich die Wissenschaft künstlerischer Ausdrucksformen zur Darstellung experimenteller Anordnungen. Hierin eine gegenseitige Befruchtung sehen zu wollen, ist genauso irreführend, wie käufliche Liebe mit wahrer Liebe zu verwechseln. |
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Wenngleich die Ausstellung "Das Zweite Gesicht" daher nicht
wirklich in der Lage ist, über den bloßen Anblick hinaus eine vertiefte
Einsicht in individuelle Darstellungsformen des Menschen und seines
Gegenüber zu geben, so weist sie sich im gleichen Atemzug dennoch
dadurch aus, dass sie die verschiedenen Darstellungstechniken in einer
thematisch wertvoll strukturierten Übersichtsschau aufzuzeichnen vermag.
So ist denn "Das Zweite Gesicht" unter dem Aspekt einer primär
kunstwissenschaftlichen Ausstellung in vielerlei Hinsicht lohnenswert:
Nicht nur zeigt sie die diversen Verfremdungstechniken auf, die mit
der Fotografie möglich sind, sondern erklärt auch deren Entstehungsweise.
Nicht nur steht das technische Verfahren im Vordergrund, sondern wird
auch ein zeitliche Bezug hergestellt, der die einzelnen Werke in einen
historischen Kontext einbindet. Nicht nur die künstlerische Aneignung
neuer Techniken, sondern auch die wissenschaftliche Auswertung wird
berücksichtigt. Wer daher die Ausstellung "Das Zweite Gesicht"
nicht wie eine gewöhnliche Kunstausstellung besucht, sondern als eine
eigenständige Abteilung, eingefügt zwischen jener für Textil- und
jener für Drucktechnik, wird gewiss um einiges Wissen bereichert werden.
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