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deep storage
arsenale der erinnerung
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von susanna ott |
Einen Zugang zu dieser Ausstellung zu finden, ist zunächst
im gar nicht übertragenen Sinn schwerer
als gewohnt: Der Wärter reißt
zwar freundlich die Eintrittskarte ab, aber bis an die Türschwelle
des
gewohnten Eingangs ist der Boden des Ausstellungsbereiches
gleichmäßig mit Gegenständen bedeckt.
Kunst? Da muß man durch. Ein Holzsteg
kann ohne Eingreifen des Aufsichtspersonals bestiegen
werden und schon ist man auf dem richtigen
Weg oder besser gesagt gleich mitten drin im Werk des
1960 geborenen Frankfurters Karsten Bott,
der hier einen auf die Ausstellungsgegebenheiten angpaßten
Teil seines seit zehn Jahren geführten
"Archives für Gegenwarts-Geschichte" präsentiert. "Von
Jedem
Eins" (1986-97) ist ein Sammelsurium von
Alltagsgegenständen - Konservendosen, Kleidungsstücke,
Marienbildchen, Schallplatten und Pornohefte,
Souvenirs und Fernseher, eben von jedem eins oder auch
mehrere. Die geordnete Masse fasziniert
sofort. Ein Prinzip ist dahinter, die Sachen sind klassifiziert
und in Gruppen angerichtet, die Archivierung
eines Lebens könnte es sein, in der Phantasie des
Betrachters entstehen Geschichten und jeder
wird einen Gegenstand finden, den er selbst so einmal
besessen oder gesehen hat. "Sammeln, Speichern, Archivieren in der Kunst" lautet der Untertitel der Ausstellung, die vor allem in der Gegenwartskunst fündig geworden ist. Die Ortsmetaphern Archiv/Sammlung, Atelier, Kiste und Datenraum helfen bei der Orientierung und zahlreiche Texttafeln zu den einzelnen Werken befriedigen das offensichtlich hoch eingeschätzte Informationsbedürfnis der Besucher. Konzeptuell geht es weiter mit Hanne Darbovens "Wunschkonzert - 144 Gedichte" (1984), für das die Künstlerin die Verslängen der Gedichte in ein musikalisches Notensystem übertragen hat. Dieses logische Gedankenpiel steht in Opposition zu Andy Warhols "Time Capsules" (1964-1987), die eigentlich aus Pappkartons bestehen, in denen der Pop-Papst all die Dinge verpackte, von denen er sich nicht trennen wollte. Einpacken gehört untrennbar zum Sammeln dazu, das ist eigentlich jedem klar, doch in dieser Ausstellung wird deutlich, das der Verpackung in der Kunst ein eigener Stellenwert zukommt. Bei Richard Artschwager kann sie sogar zum Selbstzweck werden. Transportkisten für Ausstellungsstücke zeigt er - aber es sind keine Kunstwerke drinnen, ist anzunehmen. Bei Wilhelm Mundt weiß man, was drin ist: Müll. In den "Trashstones" wird in Plastik eingeschweißter Ateliermüll entsorgt. Sehen will man den vielleicht gar nicht, aber man kommt nicht darum herum, denn gleich gegenüber steht Armans "Poubelle" (1971), immer wieder eklig, und man fragt sich, durch wieviele Ausstellungen dieser Abfall noch wandern soll, bevor er anfängt zu stinken. Ästhetik des Häßlichen. |
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Beschaulicher ist da schon Claes Oldenburgs "Mouse Museum" (1965-77).
Als Museum im Museum
auf dem Grundriß einer Mickey Mouse
werden dem Betrachter 385 vom Künstler zusammengetragene
Objekte zur Schau gestellt. Poppige Ready-Mades
wie Salzstreuer und Plastikblumen, die die
amerikanische Alltagskultur widerspiegeln
werden durch Skulpturenentwürfe und andere Arbeiten
Oldenburgs ergänzt, und im Gegensatz
zu der gewohnten Übergröße seiner Werke ist es
gerade die
Miniaturhaftigkeit dieser Nippsachen, die
ihnen die magische Aura von Kinderspielzeug verleiht. Doch auch Ernstes hat "Deep Storage" zu bieten. Piero Steinles und Julian Rosenfeldts Gemeinschaftsarbeit "Detonation Deutschland" erregte bereits 1996 in der Münchner Orangerie Aufsehen. Die Videoinstallation zeigt auf sieben Leinwänden im abgedunkelten Raum Gebäudesprengungen in Deutschland, chronologisch sortiert von 1945 bis heute (Bild). Die dokumentarische Zusammenfassung verzichtet auf Stilisierung und fasziniert durch die Visualisierung der Katastrophe. Geschichte wird wachgerufen und Gedanken über die Vergänglichkeit ebenso wie Gefühle des Verlustes. Bernd und Hilla Bechers "Wassertürme" (1963-93) als Antithese können im Anschluß an dieses Erlebnis nur steril wirken. Christian Boltanskis beklemmende Installation "Archives of the Carnegie International 1896-1991" (1991), leitet durch einen schmalen Gang von deckenhoch aufgetürmten rostigen Blechkisten mit unzähligen Künstlernamen und weckt Friedhofsatmosphäre. Erinnern wird hier vom Kollektiven zum Persönlichen geleitet und führt hin zu der dokumentarischen Fotoserie Ute Weiss-Leders "Intimate Spaces - Chicago" (1995), für die Fotografien von Tätowierungen mit Bildern der Küchen des Tätowierten kombiniert wurden. Die "Camera Silens" Olaf Arndts und Rob Moonens (1994) zwingt den reizüberfluteten Betrachter an dieser Stelle zum Nullpunkt. Eine schallgedämpfte Stahlkammer erlaubt es einzelnen Besuchern, auf einem Zahnarztstuhl zwischen weißen Schaumstoffwänden Abstand zu nehmen. Das Anti-Archiv bietet die Möglichkeit, einen Ausgangspunkt für eigene Erinnerungs- und Sammeltätigkeit zu finden. Die Künstler empfehlen eine durchschnittliche Verweildauer von 10 Minuten - wenig Zeit, um sich nach einer solchen Fülle von Information zu sammeln, sollte man meinen; doch noch vor Ablauf der Zeit wird die absolute Stille unerträglich und der Rückschritt in die Bilderwelt dieser erlebenswerten Ausstellung zur Erleichterung. |
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