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„Der Kunstanspruch der Medienkünste" hätte eigentlich das Thema
des Vortrags von Diedrich Diedrichsen in der Rathausgalerie lauten
sollen. Er hat es aber flugs umformuliert in „Kunst versus Nichtkunst
– Die Unterscheidung in Bezug auf Netzkunst".
Überrascht stelle er fest, dass auch im Netz der Begriff des Originals
noch eine Rolle spiele, ebenso der Wunsch nach traditionellen Werten.
Im Sinne der „Visual Culture" seien derartige Maßstäbe aber völlig
unbrauchbar, sogar irrelevant, weswegen er auf Erörterung dieser Wertigkeiten
verzichte. Das Wehren gegen den Verdacht der Überholtheit des Kunstbegriffs
ist heutzutage defensiv. Ebenso überholt ist der singuläre Anspruch,
wie es ihn in den achtziger Jahren noch gab, als sogar Werbung noch
Kunst sein wollte. Immer noch besser wollte die Kunst werden, immer
bessere Begründungen für ihre Existenz finden. Das Nüchterne der Kunst
sollte das Leben überformen, anstatt das Nüchterne des Lebens ausmerzen.
Das Internet schafft nun neue Bedingungen. Erst seit es kommerziell
genutzt wird, tritt dort auch dieses Problem der Legitimierung nichtkommerzieller
Ziele auf. Obwohl es doch gerade dort unkonventionelle Möglichkeiten
innerhalb unökonomischer Sphären gibt. Aber jeder nichtmaterielle
Wert braucht die Aura unbezahlbar zu sein, damit er als Kunst erkannt
oder anerkannt wird. Nur diese Konstruktion versichert dem Konsumenten
– Käufer wie Betrachter-, dass es sich nicht um Willkür handelt, der
er sich aussetzt. Autorität und Kapital treffen sich im Kunstwerk
und vereinbaren seine Wertigkeit. Dies ist notwendig, seit Kunst meist
in ihrer Funktion als Vertretung von etwas Abwesendem auftritt, von
Leben, Gott, Liebe etc. Und seit Kunst in der Regel eine Hereinholung
von etwas aus dem Außenraum bedeutet, deutlich geworden am Ready-Made.
Aber auch Schlingensiefs Aktionen funktionieren immer so, dass er
etwas, was die öffentliche Wahrnehmung ausgegrenzt hat, wieder in
ihre Mitte stellt. Der Substanz gewordene Außenraum im Innenraum ist
die Kunst, bzw. die Kunst ist nur das Symbol dafür. Dieses Symbol
ist den folgenden Gefahren ausgeliefert: der durchschaubaren Beliebigkeit,
der Erschöpfung, des einseitigen Profits, zu hoher Investition. Die
Kunst im Innenraum fungiert deshalb meist als Bearbeitung bisheriger
Öffnungen zwischen Innen und Außen, die tatsächliche Öffnung findet
nur selten statt. Das Kunstobjekt ist ästhetischer Alltag, nutzlos,
legitimierungsbedürftig, hochangesehen wie verachtet. Künstler, Galeristen
und Kuratoren sind die neue Lumpenaristokratie der Bohème. Was hat
das nun mit dem Internet, mit Medienkunst zu tun?
Im Internet gelten die herkömmlichen Grenzen nicht mehr, zwischen
Außen und Innen, zwischen Dargestelltem und Darstellendem. Das führt
zu dem Problem, dass innen dasselbe wie außen passiert. Das außen,
das wovon Kunst sich abgrenzt, um per definitionem Kunst überhaupt
erst zu sein, wird immer weniger. Früheres Unterbinden von Kunst wird
immer weniger, heute herrscht das postbürgerliche Nurzulassen und
nimmt der Kunst die Relevanz. Um Kunst im heutigen anything goes orten
zu können, sollte man folgender Formel folgen: Kunst ist nur noch,
was aus außerkünstlerischem Grund etwas zu sagen hat. Die ästhetische
Erscheinung muss diese Inhalte extrem genau formulieren. Es geht also
um ein formales Verfahren, das auf nichtformale Inhalte angewendet
wird. Dieses bedarf der Kritik, womit man auf ein weiteres Problem
stößt: Die Kritik wurde gesellschaftlich geschwächt und neuerdings
durch das Netz ausgeschlossen. Sprachliche Kritik kann sowieso kaum
mehr die Behandlung visueller Phänomene leisten. Nur Visuelles kann
Visuelles kritisieren, vielfach schon geschehen, selten aber mit potentieller
Macht. Oft würden Hüllen nur positivistisch wiederholt, anstatt mit
Kritik gefüllt werden. Um auf die Eingangsfrage nach der ästhetischen
Urteilskraft zur Bestimmung von Kunst im Netz zurückzukommen: Ein
Kunstwerk der neuen Medien muß sein Material beherrschen, und das
neue daran ist: es besteht aus Technik und aus Soziologie.
zusammengefaßt von milena
greif
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