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wirklich

Eine Ausstellung junger Photographen im Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum

„Ohne Zweifel ist die Welt eine völlig imaginäre, aber eng verwandt mit der wirklichen Welt“ schrieb Isaac Bashevis Singer. Das Verhältnis der photographierten Welt zur Wirklichkeit ist das Thema der Ausstellung „Wirklich“ im Münchener Fotomuseum. Sieben junge Photographen präsentieren ihre Auseinandersetzung mit der Realität und stellen klar: Mit der Wirklichkeit haben sie nichts am Hut.

Das Konzept der Ausstellung wurde von der Museumsleitung mit den Münchener Photographen Eva Leitolf, Martin Fengel und Armin Smailovic gemeinsam erstellt. Diese luden weitere Ausstellungsteilnehmer hinzu. So entstand ein relativ heterogenes Gesamtgefüge, das dennoch auf gleichen Ausgangspunkten basiert: Es handelt sich durchweg um Bilder der unmittelbaren Gegenwart, die die Künstler inszeniert, gesammelt, arrangiert haben. Außer der Verwendung des gleichen Mediums beschränken sich alle auf die verfügbaren bildnerischen Mittel der Photographie. Technische Manipulation interessiert sie nicht, denn es genügt bereits der Akt der Abbildung um die Welt zu manipulieren.

Insbesondere die Arbeiten von Eva Leitolf verunsichern. Sie zeigen Räume, leere Räume und Spuren der Abwesenheit. Wer dort wohnt und wer den Raum verlassen hat, erfährt der Betrachter nicht. Dann wird plötzlich eine monumentale Photographie zum Teil des (Ausstellungs)raumes, die Wahrnehmung gerät für einen kurzen Augenblick ins Wanken. Weist man den photographierten Vorhang vorm Fenster wieder in die illusionäre Bildfläche zurück, bleibt doch die Wirkung bestehen.
Auch die Aufnahmen von Karin Apollonia Müller sind nicht durch einen Rahmen als bildnerische Gegenwelt ausgeschildert. Im immer gleichen Format hat sie diejenige Seite von Los Angeles eingefangen, die man gerne übersieht: die Rückseite. Diesiger Verkehrsdschungel, Parkplätze, Abfall und dann liegt dort ein Mensch unter einer Plane... ein Tatort? Ein Obdachloser? Inszenierung? Auf dem nächsten Photo saß da eben noch eine Familie am Strand, baute eine Sandburg. Nun: Gähnende Leere. Haben die Wellen sie verschluckt oder wurde sie von Außerirdischen entführt?
Martin Fengel nimmt die Definition vorweg: Er nennt seine Serie von Reproduktionen schlicht und ergreifend „Die Welt“. Ein schaukelnder Hase findet daraufhin seinen Platz neben der Baumblüte im Gebirge. Daß Strandliegen aus Kunststoff das Blau des Himmels annehmen können, machen zwei weitere Bilder deutlich. Die Rasterpunkte der Auflösung täuschen aufgrund der starken Vergrößerung das Auge nicht mehr: Alle Bilder setzen sich aus den gleichen Punkten zusammen, und sieht man nur kurz weg, dann verwandelt sich der Wolkenkratzer schon mal in ein tunesisches Café.
In die Farben des Druckes hat daher Katharina Bosse ihre Aufnahmen „zerlegt“. Jede Farbe ein Bild, jedes Bild aus Farben. Blaue Achselhaare und gelbe Brustwarzen, Hochglanz und überhohe Hängung geben die Warnung ab: Keine realen Personen, sondern deren Spiegelung in der photographischen Emulsion sind zu sehen. Weitere Porträts wirken zunächst provozierend banal: Die Titel „Mädchen mit Telefon“, „Asiatin in der U-Bahn“ scheinen den Betrachter für blöd zu verkaufen - das sieht er doch selbst. Was er nicht sehen kann: Warum ausgerechnet diese Personen ausgewählt wurden, wer sie sind, und ob sie überhaupt sind oder doch auch nur Bilder?
Leichter zugänglich macht Albrecht Fuchs seine Porträts: Konsequent im Magazinformat, ordentlich mit Passepartouts gerahmt, alle Dargestellten mit Namen versehen. Künstler zumeist, Persönlichkeiten mit auffallender Ausstrahlung. Vielleicht hat ihnen aber nur das Spiegelbild der Linse diese Wirkung verpaßt? Die Ausstrahlung des Photographen verschwindet dahinter.
Die Photographien von Armin Smailovic lassen dagegen viele Besucher ratlos stehen. Der Bildtitel „Der Wille zum Glück“ (frei nach Nietzsche) hilft einem beim besten Willen nicht. Der Wille zur Deutung macht ebenfalls nicht glücklich. Dabei steckt doch nichts unbekanntes dahinter: Fernsehbilder, Waldlichtungen, verschwommene Porträts und ein rotes Herz an der Wand. Es handelt sich um ein visuelles Angebot, das einer vorgegebenen Auslegung schlichtweg nicht bedarf.
Last but not least müssen die Photos von Jochen Lempert hervorgehoben werden, die im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Rahmen fallen: Mit Reißzwecken hat er sie an die Wand gepint. Die Materialästhetik kommt ohne Allüren aus. Schwarzweiß und im Profil kehren die Porträts ausgestopfter Vögel eine bisher ungekannte Schönheit heraus. Der Photograph sammelt und ordnet die „365 Tafeln zur Naturgeschichte“ nach neuen Gesichtspunkten und stellt so die homozentrisch übergestülpte Hierarchie in Frage.

die eigene haut




Bedauerlicherweise hat ein achter Photograph keinen Platz mehr im Reigen gefunden. Die Arbeiten von Andreas Mader hängen fernab in der sog. „Eingangsgalerie“ zwischen Treppenhaus und Aufzug. Die Trennung von der Sehweise der anderen vollzieht sich aber auch durch sein Werk, das er mit dem Titel „Die eigene Haut“ überschrieb (nach John Berger). Photographiert hat er seine Freunde, die Menschen mit denen er lebt. Sie schlafen, lachen, starren in die Leere, sehen in die Kamera. Der Photograph spiegelt sich in ihrem Angesicht wider: sie sind er, seine Welt; verändert er sich, verändern sie sich mit ihm. Der intimen Selbstbespiegelung liegt ein Buch bei, das poetische Briefe an die Dargestellten enthält. Das unangenehme Gefühl, in private Sphären eingedrungen zu sein vertauscht sich mit der Zeit in Einsicht: Nicht „nur“ seine Sicht der Welt, sondern den Photographen lernt man kennen.

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, der konzeptionell nicht nur dokumentieren, sondern auch als Buch funktionieren soll. Jeder Photograph hatte bei der Auswahl seiner Arbeiten freie Hand. Museal ungewöhnlich ist auch der beigegebene Essay des Filmkritikers Michael Althen, der die Werke von einer subjektiven Perspektive aus beleuchtet.

Die Ausstellung ist bis zum 7.September im Münchner Stadtmuseum am Jakobsplatz zu sehen. Der Katalog kostet 28,- DM.

Ein Großteil der Photographen sind im übrigen auch bei der Ausstellung „contemporary german photography“, die derzeit in der Galerie Wittenbrink in München zu sehen ist, mit Werken vertreten.

Milena Greif





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