"Jeder, der diesen Jahrgang verpasst hat, hat ein Stück
Filmgeschichte versäumt", resümiert Festivaldirektor
Fred Gehler. Die Leipziger ließen sich die gebotenen
Highlights jedenfalls nicht entgehen: Mit 20.500 Besuchern
gab es in diesem Jahr einen neuen Rekord.
Einen großen Anteil daran hat die jüngere Rubrik
Animationsfilm mit 4.500 Fans. Die Goldene Taube für
dieses phantastische Genre flatterte Chris Hinton für
seinen Film FLUX ins Haus, ein "spleeniges Stück
über Liebe, Entropie und den unerbittlichen Lauf der
Zeit."
Eine Bestandsaufnahme vom Stand der Dinge bot der Wettbewerb
im Dokumentarfilmsektor. Sowohl der derzeitige Trend zur filmischen
Aufarbeitung persönlicher Schicksale, als auch die zunehmende
Bedeutung genreüberschreitender Erzählformen waren
zu besichtigen. Dazu zählt der schwedische Beitrag BOOGIE
WOOGIE DADDY, eine Art zum Leben erwachte Photocollage. Mit
couragierter Zärtlichkeit deckt Filmemacher Erik Bäfving
das tragische Schicksal seines Vaters auf. Zur Belohnung gab's
die Goldene Taube für den besten Dokumentarfilm unter
45 min. Die Silberne Taube in dieser Kategorie ging an einen
Beitrag, der formal das genaue Gegenteil versucht: PORTRÄT
von Sergej Loznika wagt sich mit seinen fast unbewegten Bildern
von Menschen aus der russischen Provinz an die Grenze zur
Fotografie.
Ebenfalls im Wettbewerb EXIL IN SEDAN, ein Film des Deutschfranzosen
Michaël Gaumnitz. Gaumnitz spürt dem schrecklichen
Kriegsgeheimnis seines Vaters nach, das noch immer wie ein
dunkler Schatten über der Familie liegt. Unfilmbares
aus seinem Leben setzt er in suggestive computeranimierte
Sequenzen um. Für diesen kreativen Genremix gab es gleich
zwei Preise, den der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft
(ver.di) und den der Fédération Internationale
de la Presse Cinématographique (FICC).
Trotz vieler Beispiele für aktuelle Strömungen
war es dann aber ein ganz klassischer Dokumentarfilm, der
die wichtigste Auszeichnung, die Goldene Taube in der Kategorie
Langmetrage, mit nach Hause nahm. Erich Langjahr, Urgestein
des Schweizer Dokumentarfilms, hat sich mit HIRTENREISE INS
DRITTE JAHRTAUSEND auf eine Spurensuche nach bester Dokumentarfilmtradition
begeben.
Die Silberne Taube in dieser Kategorie nahm ein weiterer
alter Bekannter entgegen: Thomas Heise legt mit VATERLAND
die archäologische Bestandaufnahme eines vergessenen
Dorfes in Sachsen-Anhalt vor. Ein Ort, der so wenig Zukunftsperspektiven
bietet, dass die Vergangenheit gegenwärtig bleibt. Mehr
von Heise zeigte eine Sonderveranstaltung des Dokumentarfilmsenders
Planet. Anlässlich einer aktuellen Reihe mit Produktionen
aus der Schatzkammer der DEFA präsentierte man in authentischer
Mitropakulisse mit LEIPZIG IM HERBST und IMBISS SPEZIAL, rare
Momentaufnahmen aus der Wendezeit.
Obwohl mit der Retrospektive "Frauen-Film-Frauen"
eine längst überfällige Hommage an die großen
Filmfrauen dieses Jahrhunderts geboten wurde, gingen die wichtigsten
Tauben allesamt an Männer. Das wird mit Sicherheit nicht
so bleiben. In der beliebten Nacht des jungen Films am Freitag
stammten die pfiffigsten Beiträge von jungen Filmemacherinnen
wie Neelesha Barthel mit FIFTY FIFTY oder Sonja Heiss und
Vanessa van Houten mit KARMA COWBOY. Letztere gewannen für
ihr fiktives Dok-Roadmovie bereits beim Bayerischen Dokumentarfilmpreis
vor einem halben Jahr einen "Jungen Löwen".
Damit nicht genug: Auch die drei übrigen Exemplare dieses
renommierten Nachwuchspreises gingen an Frauen.
Nani Fux
Texte zu einzelnen Filmen
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