China/D 2000 · 83 min. · FSK: ab 6 Regie: Lou Ye Drehbuch: Lou Ye Kamera: Wang Yu Darsteller: Zhou Xun, Jia Hongsheng, Hua Zhongkai, Yao Anlian u.a. |
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Das Leben ist ein kurzer, grauer Fluß |
Ein breiter Fluß: grau, trüb, schmutzig. Das ist Suzhou He, der Strom, der mitten durch Shanghai fließt und der dem Film seinen Namen gibt. Doch dieses Bild, das in seinem sozialen Realismus, den Momentaufnahmen der halbfertigen Wohnhäuser, der heruntergekommenen Fabrikgebäude und Baracken am Ufer auch einer Dokumentation entstammen könnte ist ein Einstieg, der in die Irre führt. Er lokalisiert nur eine Handlung, die sich im Folgenden vor allem nachts, in den Bars, Spielhöllen und Spelunken der Hafenstadt, in engen, unübersichtlichen Gassen ereignet. Dabei beschwört Regisseur Lou Ye den Mythos der Metropole, die wie Brecht auch andere westliche Künstler inspirierte und die einst vielen europäischen Emigranten zur zeitweisen Zuflucht wurde, ebenso sehr, wie er ihn in seiner Wirklichkeit zeigt, und dadurch in seine Einzelteile zerlegt.
Suzhou River zeigt eine verwirrende, anonyme Großstadt, einen Ort des illegalen Glücksspiels und der Gangster, in dem Romantik und Desillusionierung eng zusammengehören. Vom Himmel regnet es fast ununterbrochen, das einzige, das strahlt, sind die Neonlichter. Ein Erzähler führt ein in diese fremde Welt, erzählt, während die Kamera stellvertretend für seinen Blick steht – ihn selbst sehen wir nie –, von einer verdeckten Ermittlung: Mit der Videokamera zieht er wie ein Detektiv durch die Stadt, untersucht noch kleinste Spuren, auf der Suche nach Meimei, seiner Freundin, die gelegentlich für ein paar Tage verschwindet. Eines Tages trifft er auf Madar, einen Motoradkurier. Der erzählt von Moudan, die er einst liebte. Vor Jahren wurde sie gekidnapped, später sprang sie mit gebrochenem Herzen in den Suzhou-Fluß. Madar ist überzeugt, dass sie noch lebt, er glaubt, dass Meimei Moudan sein muss... Eine märchenhafte fragmentarische Lovestory voller Melancholie, die bis zum Schluß ihr Geheimnis wahrt.
Die Poesie des film noir, die Romantik der frühen Nouvelle Vague und die Bildsprache Wong Kar-weis mischen sich in der von Lou Ye geschaffenen Atmosphäre: die Großstadt hat sich zum flirrenden, irrealen, hypnotischen Raum verflüchtigt, nicht anders als Meimei/Moudan, in deren Erscheinung man leicht die Traumfrau aus Hitchcocks Vertigo wiedererkennt. Dabei ist Suzhou River alles andere als nostalgisch, vielmehr ein durch und durch zeitgenössischer Film von untergründiger politischer Brisanz, künstlerisch ein zwingendes, anspruchsvolles, eingängiges Stück chinesischer Pop-Moderne. Man kann ihm nicht genug Zuschauer wünschen.