F/Iran 1999 · 118 min. · FSK: ab 0 Regie: Abbas Kiarostami Drehbuch: Abbas Kiarostami Kamera: Mahmoud Kalari Darsteller: Behzad Dourani u.a. |
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Durch die wogende Weite der Felder |
Und wieder die Fahrt eines Range Rover durch die iranische Landschaft. Helles Korngelb und matt-glänzendes Olivgrün, sanfte Hügel. Der Wind wird uns tragen hebt an wie die farbengetränkte Fortsetzung von Der Geschmack der Kirsche, in dem ein Rover zwei Stunden lang sich den Weg durch die wüstenhafte Kargheit der iranischen Landschaft bahnte, vorbei an Fabriken und Städten. Nichts von diesem karstigen Realismus ist hier zu spüren. Während Der Geschmack der Kirsche seinen Blick klaustrophobisch auf den Fahrer des Range Rover konzentrierte, inszeniert hier die Kamera die Schönheit und Weitläufigkeit der Landschaft. Die Fahrt führt in das Schwarze Tal: ein weißes Treppendorf, das kurdische Siah Dareh, in den Hang hineingeschachtelt. Sie wären Schatzsucher, so erzählt einer der Rover-Insassen dem Jungen, der sie an einer Straßenkreuzung erwartet. Eine märchenhafte Überhöhung, passend zu dem Treppen-Labyrinth des Dorfes, in dem sich die Orientierung in escherhafter Manier auflöst.
Die Illusion von Scheherezade und 1001 Nacht jedoch ist bald dahin: Der eine der drei Insassen, ein Fotograf, wartet mit seinen Kollegen auf das Ableben einer Frau im besten biblischen Alter. Er belauert ihr Sterben, um die einmalige Totenzeremonie des Dorfes ablichten zu können. Der fotografische Erfolgsdruck diktiert ihm sein Interesse am Dahinsiechen der Frau. Auf diese pervertiert-großstädtische Neugier trifft die naive Gut-Gläubigkeit des Jungen, seinem Informanten in Sachen Fieberkurve, der ihm nicht gerade zu seinem Entzücken immer wieder neue gesundheitliche Besserungsberichte zuträgt. Ja, heute geht es ihr besser, sie hat von ihrer Suppe gegessen, hat sogar gesprochen.
Das Warten auf den Tod zieht sich in die Länge. Und es scheint, als würde sich mit dem Sterben der Tod dem Bild widersetzen wollen, so wie über dem ganzen Dorf ein Bildverbot verhängt ist. Keine Fotos, so die Betreiberin des Dorfcafés zu dem Fotografen, als dieser den Streit der Geschlechter um die dritte Arbeit dokumentieren möchte. Wer bedient wen, wenn es um die Sache körperlicher Wollust geht? Rackert sich der Mann für die Frau ab, oder ist diese auch hier wieder nur seine devote Dienerin? Und ist das Bedienen im Haus ein Zeichen weiblicher Untertänigkeit und das Servieren im Café emanzen-verdächtiger Aufstand? Denn entgegen dem Anschein idyllischer Sättigung des Dorfes, in dem traditionsgemäße Ordnung herrscht, ist das Schwarze Tal längst in den Sog des aufklärerischen Diskurs geraten. Allein die Medien sind aus dem Dorf gebannt: die Fotokamera muß liegenbleiben, und das Handy, das immer wieder in die erzwungene Untätigkeit des Fotografen hinein klingelt, hat keinen Empfang. Und jedesmal beginnt das Rennen gegen die mediale Enklave des Dorfes und für die Telekommunikation, hinauf auf das höchste Dach des Dorfes und in rasanter Fahrt im Rover auf die Anhöhe der Umgebung, den Friedhofshügel. Dort führt der Fotograf nicht nur Gespräche mit seiner Auftraggeberin, sondern auch mit einem Unsichtbaren, in einen Graben versenkt, den er am Randes des Friedhofs aushebt. Einziges sichtbares Zeichen seiner Präsenz: ein ausgegrabener Oberschenkelknochen, den sich der Fotograf auf die Ablage seines Rovers legt.
Allgegenwart des Todes und penible Abwesenheit des Sterbens. Die Zeit zieht sich in die Länge. Allein die Begegnungen mit dem Jungen bewirken eine anfänglich kaum zu spürende Veränderung. Hier zeigt sich, daß Der Wind wird uns tragen ähnlich wie Quer durch den Olivenhain zu den Kinderfilmen Kiarostamis zu rechnen ist. Der kindliche Glaube an eine Richtigkeit der Welt trägt das kritische Moment in die Handlung hinein und bricht die normativen Eindeutigkeiten des Bestehenden auf. Es ist die Einteilung in Gut und Böse, die den wunden Punkt des Daseins bedeutet. Die metaphysische Frage stellt sich als Aufgabe einer Schulprüfung, der sich der Junge unterzieht, und die er selbst nicht beantworten kann. Wie ist das mit dem Jüngsten Gericht? Was passiert mit den Guten und den Bösen?
Unter dem kompromißlosen Verhalten des Jungen, der bald den wahren Auftrag des Fotografen erkennt, beginnt die innere Erosion des Fotografen. Er kann jetzt nicht mehr Freund des Jungen sein, der die Lügenhaftigkeit der Welt in unbestechlicher Weise sanktioniert. Unter der veränderten Haltung des Jungen beginnt seine Figur in ihrer vormals sympathischen Wertigkeit unsicher zu werden. Ist sein Ansinnen dokumentarische Aufgeschlossenheit gegenüber den Traditionen? Oder ist es sensationslüsterner Voyeurismus, der dem Tod sein Bild entreißen möchte? Die Glätte des Gesichts von Behzad Dourani ist wie geschaffen für das pro und contra von Anklage und Verteidigung. Ein Vexier-Charakter zeigt sich in ihm, der jenseits von Gut und Böse die Welt erkundet, ein fieser Typ oder gedankenloser und unschuldiger Fotograf, der mehr Naivität in sich trägt als der Junge. Und der doch so sympathisch ist.
In seinem Zentrum taucht der Film von der lichtgetränkten Oberfläche ab in die undurchdringliche Dunkelheit eines Stalls, der unterirdischen Milchquelle des Dorfes. Immer wieder bittet der Fotograf die Frau, die die Kuh melkt, ihren Namen zu sagen, ihr Gesicht zu zeigen. Es ist eine Szene verhaltener Verführung, ein Versuch, der Frau das Geheimnis ihrer Weiblichkeit aus der Dunkelheit des Tschadors zu entlocken. Das Licht, das von nun an auf die Landschaft fällt, ist ergraut. Und über diese Trübung wendet sich das Warten auf den Tod zu einer Besinnung auf das Leben.
Der Wind wird uns tragen inszeniert in wunderbarer Weise die Abwesenheit der Bilder. Fast alle Gesprächspartner des Fotografen agieren aus dem Off heraus, bleiben unsichtbar, dazu die Thematisierung der Bildverweigerung. Eine filmische Inszenierung des traditionellen Bildverbots im Islam, und zugleich Wahrung privater Unsichtbarkeit fern dogmatischer Religiösität. Öffentlich und Bild wird nur das, was sich bereitwillig zeigt. Auf der anderen Seite die auffällig fotografisch inszenierten Panorama-Landschaften und die im Close-Up herangezoomten Einwohner. Diese Bildpräsenz übersteigt jede dokumentarische Authentizität, auch wenn sich die Dorfbewohner, wie so oft bei Kiarostami, selbst spielen. Der Film erstellt Bilderlandschaften im Zeichen fotografischer Überhöhung, und steht damit im eigentümlichen Selbstwiderspruch zu seiner inszenierten Thematik: auf ästhetische Weise ergibt sich ein Überschuß, der gegen die Abwesenheit der kulturellen Bildseite antritt. Dies ist weniger dialektisches Vorhaben, als es erscheinen mag. Kiarostami geht es nicht darum, eine Totalität der Bildpräsenz zu forcieren, auch will er nicht die Welt der schönen Bilder in gute und böse einteilen. Ihm scheint gerade das Nebeneinander von Anwesenheit und Abwesenheit wichtig zu sein, ein unaufgelöster Gegensatz, der Teil seines „unvollendeten“ Kinos wird. Wie das nicht gezeigte Bild, das immer einen Teil des Filmes rätselhaft bleiben läßt, wird die Handlung nur in Fragmenten, in narrativen Ausschnitten erzählt. Und verweigert auch hier eine eindeutige Aussage über den Ausgang der Handlung. Auch wenn Der Wind wird uns tragen die Zeit des Wartens in die Länge zieht und in der ritualhaften Wiederholung immer gleicher Handlungseinheiten Längen provoziert, ist er einer der handlungsreichesten (und nebenbei einer der komischsten) Filme Kiarostamis, und es hat den Anschein, als wäre er auch einer seiner didaktischsten Filme. Die Präsenz der Schule, in die der Junge geht, die Frage nach dem Gut und Böse, die Abkehr des Jungen vom Fotografen, all dies scheint den Film eine klare moralische Richtung zu geben. Aber am Schluß zeigt sich doch wieder nur das Beharren in der Widersprüchlichkeit. Die aufgebaute moralische Suggestion hat sich nicht erfüllt.