Weckruf |
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Beobachtet oder gestellt? Fuchs vor Hühnerstall – Miguel Gomes' Dieser schöne Monat August | ||
(Foto: Viennale | Miguel Gomes) |
Von Dunja Bialas
Der Regisseur Miguel Gomes hat dieses Jahr in Cannes für Furore gesorgt. Mit seinem fast dreistündigen, semi-dokumentarischem Film Aquele Querido Mês de Agosto (Our Beloved Month of August), der in der »Quinzaine des réalisateurs« seine Weltpremiere feierte, brachte er das Schubladendenken der anwesenden Filmkritiker gehörig durcheinander. Zugleich setzte er einen Meilenstein, indem er anscheinend aus der Not leichtfüßig eine Tugend werden und nebenbei auch noch das herkömmliche Erzählkino ziemlich alt aussehen ließ.
Die Viennale hat dem 36-jährigen Miguel Gomes dieses Jahr ein Special gewidmet und sein noch sehr übersichtliches Filmwerk bekannt gemacht. Zwei abendfüllende Filme hat er bislang realisiert, dazu kommen eine Handvoll Kurzfilme, in denen sich schon die unbeschwerte Leichtigkeit seines gefeierten Cannes-Films abzeichnet.
Dass Gomes von der Viennale als Regisseur angekündigt wurde, der seit 2004 fiktionale mit dokumentarischer Erzählweise verbindet, kann als Missverständnis über seine Filmuniversen angesehen werden, und trifft sein Filmschaffen dennoch wiederum, vielleicht fälschlich, auf den Punkt. Gomes' Filmuniversen sind hoch artifizielle Systeme, in denen er seine Figuren in reinen Konstellationen agieren lässt, und die dargestellte Welt deutlich überzeichnet. Knallig bunt geht es in seinen Filmen zu, Figuren verbinden sich nur noch in angedeuteten Geschichten zueinander, populäre Songs werden zum roten Faden, der das Filmgerüst zusammenhält. Dort, wo nicht mehr im klassischen Sinne erzählt wird, ergeben sich Momente eines souveränen Kinos, eines, dessen Bilderpräsenz für sich steht und doch in den Zwischenräumen imaginäre Geschichten zulässt. Wie in seinem ersten Kurzfilm Entranto von 1999, dem Gomes den Untertitel einer »musikalischen Romanze« gegeben hat. Lose erzählt er eine Coming-of-Age-Geschichte, in der ein sehr androgynes Mädchen, Rita, zwischen zwei Jungs, Rui und Nuno, steht. Eine unterschwellige Anziehungskraft verbindet die drei zu einer menage à trois, ohne dass dennoch viel zwischen ihnen passieren würde. Die Bilder erzählen von einem statisch-dynamischen Miteinander, mal liegen sie eng aneinandergerückt zu Dritt am Strand, mal sehen wir Rita entrückt und allein auf einem Dorfball tanzen. Der Film erscheint wie eine Aneinanderreihung schon fast surrealer, nicht mehr auf eine reale Welt rückbeziehbarer Momente – wie etwa wenn von einem Flugzeug aus rote Werbeflyer herabregnen und sich auf den hellen Sand legen wie Rosenblätter aus dem All. Falls Gomes durch diese Filmtableaus überhaupt erzählt, dann ist es eine äußerst lakonische Erzählweise, die getragen wird von Musikstücken, die immer wieder in die Abfolge der Szenen eingeflochten werden und den denkbar schlechtesten Dorfdiskos entstammen. Gomes lässt durch seine lückenhafte, fragmentarische Darstellungsweise ein höchst sommerliches Gefühl entstehen, unverbunden und intensiv wie das Erleben eines Abends im Süden, nachdem man sich einen leichten Sonnenstich geholt hat.
Ein leichter Sonnenstich der Absurdität durchdringt in positiver Weise auch den in Cannes gefeierten Aquele Querido Mês de Agosto. Gomes scheint mit ihm in Vielem an seinen ersten Kurzfilm anzuknüpfen. Wieder geht es um eine Coming-of-Age-Geschichte (diesmal ist es eine bande à quatre, die sich im Verwirrspiel der Liebe wiederfindet), dazu kommt noch die Möglichkeit eines inzestuösen Verhältnisses zwischen Vater und Tochter, die ihrer verschwundenen Mutter zum Verwechseln ähnlich sieht. Die Figurenkonstellation löst sich schließlich wie in einer klassischem Komödie zugunsten der jungen Liebenden (Cousin und Cousine) und gegen die »dummen« Alten auf. Aber nicht diese von Abgründigkeit durchsetzte Feuilleton-Geschichte macht den Film aus; will man von ihm sprechen, so muss ein völlig anderer Zugang gewählt werden, um das unfassbar Schöne, den reinen Sonnenschein, den der Film ausstrahlt, zu begreifen.
Der Film erzählt – wie schon der Kurzfilm – nicht auf konventionelle Weise. Vielmehr ist mehr als sein Drittel ein fast unverbundenes Aneinanderreihen von eingefangenen, scheinbar oder anscheinend (je nachdem, welche Intentionalität man dem Regisseur unterstellen mag) dokumentarischen Momenten: ein Hühnergehege, um das der Fuchs schleicht und plötzlich mit einem Satz die Hühner in alle Richtungen fliehen lässt; ein gejagtes Wildschwein, dem man beginnt, das Fell abzuziehen; ein hinkender Dorfbursche, der von seinem alljährlichen Sprung von der Brücke in den Fluss beim Dorf Arganil berichtet; das Interview des Filmemachers mit einem Engländer, der sich in dem portugiesischen Dorf niedergelassen hat, weil er es für das immerwährende Urlaubsparadies hält, während seine weibliche Begleitung beharrlich von Ressentiments und Rassismus gegenüber Fremden spricht. Die Momentaufnahmen sommerlichen Tuns oder Nichttuns rhythmisiert Gomes durch die Auftritte von Dorfbands und Karaoke-Abende, deren Namen in dokumentarischer Manier eingeblendet werden. Die Musik ist eher trashig, oft melancholisch, versonnen und hoffend. Mittelmäßige Kapellen spielen hier vergnügungs- und liebeshungrigen Dorfbewohnern ein Ständchen und bringen sie mit den schnulzigen Texte ihrer Lieder zum Träumen.
Gomes hat diesen ersten Part des Films, der mehr als eine Stunde einnimmt, aus einer Art Verlegenheit heraus gedreht. So jedenfalls will es die Legende, die sich um die Entstehung des Films rankt, und die im Film selbst thematisiert wird. Gomes kam im August 2006 in das Städtchen Arganil in Zentralportugal, einer Gegend, die ihm seit seiner Kindheit bekannt ist für das ausgelassene Abfeiern im Monat August. Vor der karnevalesken Kulisse der Sommerferien wollte er ein musikalisches Melodram drehen mit der oben skizzierten Coming-of-Age-/Inzest-Geschichte. Nur hatte er leider zu wenig Mittel für seinen Film auftreiben können, und kam also mit seinem Filmteam an den Ort ohne die Möglichkeit, Schauspieler engagieren zu können. Aus Verlegenheit – »und weil man nun mal schon da war« – so wird gesagt, begann er, seine Umgebung dokumentarisch abzufilmen. In der Montage hat er dieses Material der Wirklichkeit zu unverbundenen szenischen Momenten zusammengeschnitten, ein postkartenartiges Aufbewahren von Erlebnissen, die er in diesem Drehmonat hatte.
Der Film thematisiert die Misere, kein Geld für Schauspieler zu haben und dem eigentlichen Filmprojekt nicht gerecht zu werden, auf einer Meta-Ebene, einem Film-im-Film, in dem Regisseur und Produzent zusammen an einem Tisch sitzen, der Produzent sorgenvoll über das Drehbuch gebeugt, der Regisseur zerknirscht sein Vorgehen erläuternd. Eine dieser Metaszenen wird dann Scharnierfunktion übernehmen, und in der Frage nach den Schauspielern, die aufgrund mangelnder Gelder nicht gecastet werden können, in den gespielten Teil des Films überleiten.
Diesen zweiten Teil realisierte Gomes dann ein Jahr später, wieder im August, am selben Fleck. Seine finanzielle Not hat sich nur zum Teil gelöst. Professionelle Schauspieler wurden nicht gefunden, der Produzenten spielt höchstpersönlich den unter Inzestverdacht stehenden Vater, und die beiden Mädels, die im Film agieren, stammen selbst aus dem Dorf. Sie bewarben sich infolge eines Casting-Aufrufs, was im Film miterzählt wird. Diese selbstreflexive Brechung der Spielhandlung wird immer wieder als Hinweise auf den Akt des Filmens aufgegriffen: des öfteren sind Tonarme im Bild zu sehen, der Kameramann wird von den Protagonisten erwähnt. Die erzählte Ebene wird damit immer wieder verlassen und von außen angeblickt, woraus ein leichtfüßiges Sich-nicht-ernst-Nehmen des Films entsteht.
Es dauert lange, bis sich aus den eher unverbundenen Momentaufnahmen des Dorfgeschehens und den vielen potentiellen Protagonisten die eigentlichen Handlungsträger und ihre Geschichte herausschälen. Gomes kommt auch hier immer wieder auf seine dokumentarische »Exposition« zurück, indem Motive oder Gesprächsthemen wie ein Echo wiederkehren, und vor allem, indem er die Hauptfigur, Tânia, Popstar des Dorfes sein lässt. Sie lässt, wie die dokumentarischen Bands zuvor, die Dorfbewohner durch die Texte ihrer Lieder träumen, und Gomes lässt sie mit ihren Texten zugleich auch die melodramatische Handlung des Films kommentieren, gleich einem antiken Chor, der von außen auf das Geschehen blickt und dem Ganzen ein zusätzliches Durchschlupfloch bietet, um der Fiktion zu entkommen.
In Aquele Querido Mês de Agosto ist alles erlaubt: von den dokumentarischen Bildern in die Fiktion hineinzugleiten, und wieder zurück; aus den gefilmten Bildern herauszutreten in die Ebene des Filmens, und einfach wieder hinein (wie ein Blick in und hinter den Spiegel). Was dabei Ernst ist, also uninszenierte, dokumentarische, »echte« Wirklichkeit, und was Spaß, also freies Spiel der Inszenierung, das bleibt letztlich schwer entscheidbar. Wie im Vexierbild, je nachdem, welche Ebene fokussiert wird, erscheint das eine oder das andere mehr plausibel. Fest steht: das Verwirrspiel mit den Ebenen des Realen und des Fiktiven hat die narrativen Konventionen aus ihrem Korsett befreit, und das Jonglieren mit den dokumentarischen Versatzstücken ist die geniale Voraussetzung für diesen sommerleichten Film.