Jungs sind die besseren Väter |
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Die schöne Schwangere und der schwule Schwager |
Längst sind die Löcher des sozialen Auffangnetz großmaschiger geworden, die Gesellschaft selbst gerät mehr und mehr in Schieflage. Das ist vielerorts spürbar, egal auf welchem Kontinent. So studieren viele Regisseure, die mit ihren Werken zum Internationalen Filmfest München eingeladen waren, die Ur-Zelle Familie und rücken dabei die Kinder, insbesondere die Söhne, ins Zentrum ihrer Geschichten. In unterschiedlichen Genres erzählen sie, welches Gewicht auf diesen schmalen Schultern lastet, ohne jedoch filmisch Experimente einzugehen. Die vielschichtigen ökonomischen Faktoren, die für diese Miserie verantwortlich sind, bleiben außen vor, dennoch sind sie im Hintergrund allgegenwärtig und spürbar.
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Kann man seine Erinnerung an die Mutter, die ihre Kinder zur Adoption freigegeben hat, auslöschen? Thomas (Vincent Rottiers) gelingt es in Je suis heureux que ma mère soit vivante jedenfalls nicht. Als Vierjährigen hat Julie (Sophie Cattani) ihn und seinen jüngeren Bruder verlassen. Seitdem bedrängen ihn die Bilder, wie seine Mutter nachts bügelt, wie sich ein Liebhaber ihr nähert, wie sie lacht. Von Kindesbeinen an stellt dieses einschneidende Ereignis seine Identität in Frage. Was für ein Mensch ist Julie? Wer ist er? In seinem Gesicht spiegelt sich dieser Konflikt wider. Es ist ein störrischer, abweisender Blick, der sich auch gegen die Adoptiveltern richtet. Lediglich wenn sich Thomas um seinen kleineren Bruder kümmert, weicht dem aggressiven Blick ein fürsorglicher. Als Thomas 20 Jahre alt ist, fasst er endlich den Mut, seine leibliche Mutter mit einem Strauß Blumen in der Hand zu besuchen, und quartiert sich gleich für ein paar Tage bei ihr und seinem Halbbruder ein. Der ist von dem unvermittelt aufgetauchten Halbbruder, der ihn schützend umsorgt, begeistert.
Es ist berührend, wie Thomas seiner Mutter zur Seite springt, um den fehlenden Mann, sprich den Vater, im Haus zu ersetzen. Wie schon als Vierjähriger. Julie reagiert zunächst kühl und berechnend, zeitweise aber auch erleichtert. Eine Familienzusammenführung scheint möglich. Mit sicherer Hand gelingt es Regieduo Claude und Nathan Miller, dass sich Thomas' Kindheitserinnerungen und die Schilderung des authentischen Falls die Waage halten. Nebenszenen – wenn sich etwa der Halbbruder mit »Tschüss, ihr Turteltauben« von seiner Mutter und Thomas verabschiedet –, deuten an, auf welch wackeligem Boden diese neue Familie steht. Letztlich ist die Last auf Thomas Schultern zu erdrückend, die Spannung entlädt sich – zwangsläufig. Großartig, anschließend dem Duell der Mütter beizuwohnen, wie sich Julie und Adoptivmutter Madame Jouvet (Christine Citti) in einen Cafe erstmals gegenüberstehen, einander sprachlich attackieren und doch jede um Thomas kämpft.
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Ein ähnliche erdrückende Last bürdet sich ein kleiner mexikanischer Junge auf. Frisch aus der Psychiatrie entlassen, scheint der neunjährige Abel (Christopher Ruíz-Esparaz) nicht von dieser Welt. Er spricht nicht, nimmt seine Umwelt kaum wahr, sein Blick ist in sich gekehrt. Dafür schaut er Fernsehen – vorzugsweise alte mexikanische s/w Filme, die einen Vater-Sohn Konflikt thematisieren – und er studiert Fotos von seinem Vater, der die Familie – seine Mutter, seine ältere Schwester, ihn und den jüngeren Bruder – mir nichts dir nichts verlassen hat. Eines Tages beschließt er, das Oberhaupt dieser Familie zu sein. Abel steckt seiner Mutter kurzerhand einen Zuckering auf den Finger, zieht den Pyjama seines Vaters an und legt sich abends zu seiner Mutter ins Bett. Diese ist baff erstaunt. Da Abel wieder zu reden beginnt und das Leben energisch in die Hand nimmt, lässt sie ihn gewähren. Auch seine Geschwister gewöhnen sich an diesen neuen Abel, der streng ihre Hausaufgaben korrigiert und ihnen mit heiligem Ernst die Leviten liest. So absurd die Situation auch ist, tatsächlich kehrt Normalität und Stabilität in die Familie ein. Bis der 'echte' Vater nach Hause kommt und seinen Sohn in die Psychiatrie für Kinder schicken will.
Auch wenn Abel um ein ähnliches Thema wie in dem Drama Je suis heureux que ma mère soit vivante kreist, schlägt Regisseur Diego Luna in seinem Spielfilmdebüt eine völlig andere Tonart an. Die Tragikomödie ist von leichter Hand gedreht, Szenen und Dialoge sind mit Humor gespickt. Wunderbar ist etwa die Nebenszene, wo sich Abel seine neue Vaterrolle in vergilbten, mexikanischen Melodramen ab guckt. Eine Szene, die im Subtext auch als Parodie auf den Machismo gelesen werden kann. Doch der größer Erfolg des Films ist dem Protagonisten selbst zuzusprechen. Christopher Ruíz-Esparaz spielt Abel mit solch einer tiefen Ernsthaftigkeit, wie man sie nur von Kindern kennt und der man sich nur schwer entziehen kann. Die Geschichte ist originell und berührend, aber von der Machart eher kommerziell gedreht. Doch trotz der Leichtigkeit vergisst man nie, wie bedrückend die Situation an sich ist und dass sie jederzeit kippen kann. So holt am Ende die Realität seine Protagonisten gnadenlos ein. Und man ist sich als Zuschauer sicher, diese Realität soll nicht zur Normalität werden.
Regisseur François Ozon geht in seinem Spielfilm Le refuge gleich zurück auf Null: zur Schwangerschaft selbst. Er hinterfragt direkt, was dieser Zustand bei der Frau, aber auch bei anderen Menschen auslöst. Einem verheirateten Mann etwa, einer Spaziergängerin am Strand oder anderen Zufallsbegegnungen. Differenzierter geht Ozon diesen Schwingungen in der Beziehung zwischen der schwangeren Mousse (Isabelle Carré) und ihrem Schwager Paul (Louis-Ronan Choisy) nach. Nach dem Tod ihres Mannes Louis hatte sich Mousse in einem Haus am Meer zurückgezogen. Hier will sie mit sich und der neuen Situation, verlassen und zugleich schwanger zu sein, ins Reine kommen. Da besucht sie Paul in ihren Refugium für ein paar Tage.
Die Begegnung zwischen Mousse und Paul ist existentiell, sinnlich und zum Glück wird man nicht mit Schwangerschaftswehwehchen belästigt. Le refuge ist ein leicht gedrehter Film, schön anzuschauen. Am Ende wird man überrascht, wem und wieso ihm die Vaterrolle zugedacht wird (mehr sei hier nicht verraten). Aber dieses 'Happy-End' hat auch seinen Preis, einen sehr hohen sogar. Letztlich aber ist Le refuge von seiner Substanz, dem Beziehungsgeflecht zwischen Maud und Paul, zu dünn. Daher reicht er nicht an die Tiefgründigkeit oder Komplexität von Ozons filigranes Drama Unter dem Sand heran.
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Erstaunlich, in wie vielen Spielfilmen auf dem Filmfest München die Familie in den Mittelpunkt steht. Vielseitig wird thematisiert, dass die Familie auseinander bricht und die Söhne in die Bresche springen. Sie versuchen, die Leerstelle Ehemann zu füllen und eine zeitlang sind Jungs tatsächlich die besseren Väter. Diese Umverteilung funktioniert anfänglich, das Familienglück ist vorerst gewährt. Allerdings kann dies kein Gesellschaftsmodell auf Dauer sein, denn die Jungs brechen unweigerlich unter dieser enormen Last zusammen. Es zerstört ihr Leben und die familiären Strukturen. Da machen die Regisseure einem nichts vor.