27.01.2011

Der letzte Tycoon

Bernd Eichinger
Sebstbewusster Macher: Bernd Eichinger gewinnt 2010 den Ehren-Lola für sein Lebenswerk

Von Rüdiger Suchsland

Zum Tod des großen Münchner Film­pro­du­zenten und Kino­ma­niacs Bernd Eichinger

Das war ein Schock und ist ein überaus herber Verlust für das deutsche Kino – der völlig über­ra­schende Tod des Münchner Film­pro­du­zenten, Regis­seurs und Dreh­buch­au­tors Bernd Eichinger trifft die einhei­mi­sche Film­branche denkbar unvor­be­reitet. Eichinger verstarb am Montag­abend in Los Angeles so, wie er gelebt hatte: Beim Essen und Trinken, in einer fröh­li­chen Runde aus Freunden und Familie und überaus schnell – an einem Herz­in­farkt.

Drei Erin­ne­rungen:
München, 10. April 1999, Parkcafé: Ein Sonn­tag­morgen, kurz nach Mitter­nacht. Seit ein paar Minuten ist es Eichin­gers 50er Geburtstag. Präsen­tiert wird ein Geburts­tags­film von Julia Volk, die damals an der HFF studierte, und heute immer noch in München als Produ­zentin arbeitet. Mir fallen seine irgendwie alter­tüm­li­chen Formu­lie­rungen auf, wie »mein alter Freund und Kupfer­ste­cher«. Und seine Schüch­tern­heit. Eichinger ist berührbar und sichtlich gerührt.

Berlin, Bundes­film­preis 2007: Eichinger auf der Bühne. Gerade hat er, nachdem Das Parfum in allen möglichen Neben­ka­te­go­rien gewonnen hatte, als Produzent den Filmpreis in Silber bekommen. Nur in Silber. Nicht in Gold. Den bekam Sekunden später der Student Marcus H. Rosen­müller für einen Film, der tatsäch­lich einfach nicht auf Augenhöhe lag. Der Ärger war ihm in seiner sympa­thi­schen, den Ärger kaum verheh­lenden, trotzdem würde­vollen Dankes­rede über­deut­lich anzu­merken. Es stand auch in seinem Gesicht geschrieben: Die Zwerge des deutschen Kinos hatten wieder einmal trium­phiert. Man meinte sie in seinen Zügen lesen zu können, die Einsicht, dass Demo­kratie in der Kunst meistens nicht recht hat, und die Trauer darüber, dass die Branche nicht endlich einmal über ihren Schatten springen und eine außer­ge­wöhn­liche Leistung aner­kennen kann, in diesem Fall die Produ­zen­ten­leis­tung, die immensen, alle deutschen Etats spren­genden Produk­ti­ons­kosten überhaupt zu finan­zieren, und so einen Film in Deutsch­land zu stemmen. Der falsche Konsens hatte über das richtige Kino gesiegt. Da saß Bernd Eichinger endlich einmal mit der Berliner Schule in einem Boot.

Berlin, vor ziemlich genau einem Jahr, Anfang Februar. Es ist der Abend der Premiere des Bushido-Films, Zeiten ändern Dich, nicht gerade ein Höhepunkt von Eichin­gers Produ­zen­ten­leben. Irgend­wann gegen halb drei steigen Paula, die mich mitge­nommen hatte, und ich ins Taxi. Direkt hinter uns Bernd Eichinger mit seiner Frau. Sie im Abend­kleid, er: Weißer Schal über schwarzem Jackett, helle Jeans, weiße Turn­schuhe. Die Fahrt geht aus Berlin-Schö­ne­berg zurück nach Mitte, die Taxi­fahrer liefern sich ein kleines Wett­rennen. Als beide gleich auf sind, schaut Eichinger rüber, mustert uns inter­es­siert, besonders Paula, lächelt, und winkt mit der Hand grüßend hinüber zu uns, von denen er eigent­lich nur wissen kann, dass wir auch auf seiner Party waren. Dann, kurz darauf, rauscht der Wagen davon, und gerade kann man noch sehen, dass er von der Fried­rich­straße abbiegt und vor dem »Borchardt« zum Stehen kommt. Die Nacht war für Eichinger noch lange nicht zuende; so wie diese wurden die Nächte immer in vollen Zügen genossen. Keine Frage: Der Mann hat gelebt.

Er war eine schil­lernde Persön­lich­keit von großer persön­li­cher Ausstrah­lung. Er hat provo­ziert, hat auch provo­zieren wollen. »Viel Feind viel Ehr'« hat er gern gesagt. An Eichinger haben sich viele gerieben, und man konnte schon verstehen, warum. Aber verrücken konnte man ihn nicht. Er hatte Konse­quenz. Trotzdem war Bernd Eichinger kein schwerer Klotz, sondern viel feiner und sensibler, als es auf den ersten Blick wirkte, ein persön­lich großzügiger und freund­li­cher, meistens gut gelaunter Mensch, ein Mann mit über­ra­schendem Charme, dem fast alle erlagen – nicht nur einige der schönsten Frauen des deutschen Films: Unter anderem Hannelore Elsner, Barbara Rudnik, Katja Flint und Corinna Harfouch waren seine Lebens­ge­fähr­tinnen.

Eichinger war ein Beses­sener, eine Kino-Verrückter im besten Sinn, einer, der den Traum vom großen Kino, das bigger than life ist, noch nicht ausge­träumt hatte, der wusste, dass gutes Kino weder von digitalen Bildern, noch von 3D-Brillen, noch von Spezi­al­ef­fekten abhängt, sondern von starken Geschichten, von Stars, von den Gedanken und Gefühlen, die sie auslösen.

Und dieses Kino und nichts außerdem wollte Eichinger von Anfang an: Mit 21 ging er, geboren am 11. April 1949 in Neuburg an der Donau, auf die Münchner Film­hoch­schule. Schnell begab er sich in die Fittiche des damals schon greisen Luggi Wald­leitner, der in München so ziemlich alles produ­zierte, zwischen Leder­hosen-Pornos und Fass­binder-Filmen. Dort lernte er das Geschäft und bekam die Kontakte. Und Eichinger, später als Groß­pro­du­zent berühmt, gründete mit nur 23 seine erste eigene Firma und produ­zierte Auto­ren­filme von Wim Wenders, Hans Jürgen Syberberg, Edgar Reitz und Alexander Kluge. 1979 setzte er dann alles, oder jeden­falls sehr viel Geld, auf eine Karte: Er kaufte die »Constantin Film«, und mit der abge­wrackten Plei­te­firma, die er als »Neue Constantin« wieder­grün­dete, einen guten Namen und einige Film­rechte. Dann folgte ein beispiel­loser Aufstieg und eine Kette von Erfolgen: Fast immer ökono­misch, oft auch künst­le­risch: Chris­tiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, Das Boot, Die unend­liche Geschichte, Der Name der Rose, Last Exit Brooklyn, Das Geis­ter­haus.

Eichinger spielte Hollywood in Geisel­gas­teig bei München, und gerade im letzten Jahrzehnt gelang es ihm – natürlich nur mit Hilfe vieler Gelder aus Privat-Börsen und öffent­li­chen Förder­töpfen – einige inter­na­tio­nale Erfolge zu produ­zieren: Der Untergang und Der Baader Meinhof Komplex waren die wohl wich­tigsten von ihnen. Sie entstanden nach Eichin­gers Drehbuch. Daneben produ­zierte er Filme mit Caroline Link, Tom Tykwer und Oskar Roehler. Oft waren es Best­seller wie die Bücher, auf denen sie basierten, wie Das Parfum und Elemen­tar­teil­chen.

Er produ­zierte aber auch Manta Manta, Werner – Beinhart, Das Superweib, Baller­mann 6, Nackt, Der Schuh des Manitu, Zeiten ändern Dich, Die Super­bullen. Wegen solcher Filme, und andere, für die er indirekt mitver­ant­wort­lich war, wie Harte Jungs und Mädchen Mädchen gab es auch immer wieder Verach­tung durch die Kritik – um die er ja ande­rer­seits gebuhlt hat. Das gerade sollte man nicht vergessen: Im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen und Epigonen wusste Eichinger immer, was Film-Kunst ist, dass das Kino immer auch Kunst sein muss. Darum hat er die Kritik geschätzt, hat, wenn ein neuer Film von ihm herauskam am Morgen am Münchner Haupt­bahnhof gestanden, um auf die ersten Zeitungen zu warten und dann als erstes nach­zu­lesen, was Ponkie in der »AZ« geschrieben hatte – und zu wissen, dass er etwas falsch gemacht hatte, wenn sie den Film nicht gut fand.

Nicht allen seiner Kumpels hat er das, hat er diesen Respekt vor der Kunst vermit­telt, und manche werden erst jetzt merken, wie sehr ihnen sein Rat und seine Unter­s­tüt­zung, seine Gunst auch, fehlen werden: Solchen Knall­tüten wie Til Schweiger fehlt der Ratgeber, und für solche irgendwie doch gnadenlos Über­schätzten wie einem Dennis Gansel, wird das Eis jeden­falls dünner werden.

Eichinger, ein »man’s man«, der trank, rauchte und auch andere Genüsse nicht verschmähte, ein begeis­te­rungs­fähiger ewiger Junge, auch mit 60 noch gern Jeans und Turn­schuhe trug, stand vor allem für Indus­trie­kino, das im Film vor allem ein Geschäft sieht. Für einen soge­nannten »starken« Produ­zenten, der den Regis­seuren viel reinredet, und letztlich der ist, der die Entschei­dungen trifft. Er stand für die Gründung der Deutschen Film­aka­demie, die in der Branche umstritten ist, weil viele in ihr nur eine Lobby für die Großen sehen, und fürchten, das unab­hän­gige Kino geriete mit ihr nun endgültig unter die Räder. Man sollte aber nicht vergessen, dass Eichinger der seltene Fall eines kreativen Produ­zenten war, der in seinen Filmen eigene Visionen verwirk­lichte. Und gerade durch die Konse­quenz, mit der er seine Visionen verfolgte, provo­zierte er umgekehrt auch die deutschen Auto­ren­filmer, dagegen zu halten, und es ihm zu zeigen.

Man tut Eichinger Unrecht, mit diesen weich­ge­spülten Lobes­hymnen, die jetzt leider oft zu lesen sind, in denen nur Schönes zu lesen ist, und alles unter den Tisch fällt, was manchen anstößig war, womit er die Leute auch geärgert hat. Das hätte er selbst nicht gewollt, und das hat er auch nicht verdient. Zum Respekt gehört auch die Kritik, Eichinger wusste das viel viel besser, als all seine Epigonen. Wenn man ihm jetzt den Respekt nicht verwei­gern will, sollte man auch nichts unter­schlagen.

So ist manches, was jetzt geschrieben wird, natürlich einfach maßlos über­trieben. So ist es Unsinn, wenn Berlinale-Chef Dieter Kosslick im Deutsch­land­funk erklärt, Eichinger habe »den deutschen Filmpreis erfunden«, denn den gab es schon lange vor Eichinger. Oder wenn es heißt, Eichinger habe »dem deutschen Film wieder ein Gesicht gegeben«. Das ist alles Legen­den­bil­dung – der deutsche Film hatte auch vor Eichinger viele Gesichter, und wird die auch danach haben.

Seine zweite Regie­ar­beit, nach dem SAT-1-»German Classics«-Film Das Mädchen Rosemarie, bei dem er Nina Hoss entdeckte, war die Helmut Krausser-Verfil­mung Der grosse Bagarozy. Der erzählt von einem faus­ti­schen Teufels­pakt. Das war es wohl. Bernd Eichinger, der letzte Tycoon des deutschen Kinos, wird diesem fehlen.