Safari durch den Moloch |
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Kgafela oa Magogodi/Jyoti Mistry »Itchy City« Video, 2010 © Kgafela oa Magogodi/Jyoti Mistry |
Von Sabine Matthes
Matatu sind Gerüchteküchen. Zu tausenden jagen diese Minibusse durch die Straßen Nairobis, immer frisch aufgemotzt nach den neuesten Trends in Design, Musik und Technik. Ihr Name ist von »30 Cent« abgeleitet, dem früheren Fahrpreis von Nairobi zu seinen Vororten. Nicht nur Banden wie die Taliban, die illegal die Routen kontrollieren und »Schutzgeld« erpressen, sind um diese Sammeltaxis herum entstanden, sondern auch eine legendäre Matatu-Kultur und -Textgattung. Unter anderem wegen der Konkurrenz dieser hippen, privat betriebenen, Matatu hat Kenia seit den 1990er Jahren kein öffentliches Nahverkehrssystem mehr. Wenn man in Sam Hopkins` Toninstallation »Roomah« einsteigt, taucht man in die urbane Mythologie ein, die um die Matatu entsteht. Hopkins koordiniert auch »Slum-TV«, ein 2006 gegründetes Kollektiv von Videoaktivisten in Nairobi, die Geschichten aus Mathare und anderen Slums dokumentieren und sie als Material für ein Archiv informeller Siedlungen sammeln. Ihre Videoinstallation »Upgradasion« zeigt die komplexen Machtverhältnisse und Ökonomien eines Slum-Entwicklungsprojekts, inszeniert im Stil zwischen Soap und Comic. Tatsächlich scheiterte das »Mathare 4 A Slum Upgrading Project«, das einem Elendsviertel mit über 500.000 Einwohnern zu Gute kommen sollte, absurderweise am Widerstand praktisch aller Betroffenen, von den Immobilienbesitzern bis zu den Armen.
Diese Verflechtung von künstlerischer Reflexion und wissenschaftlicher Dokumentation macht die Ausstellung (und den Katalog) »Afropolis. Stadt, Medien, Kunst« so spannend und lehrreich. Dem Phänomen der schrumpfenden Städte in Deutschland antwortet sie mit einem Reichtum urbaner Strategien und, in den letzten zwei Jahrzehnten sich dynamisch entwickelnden, Kunstszenen in den wachsenden afrikanischen Metropolen Kairo, Lagos, Nairobi, Kinshasa und Johannesburg. Wie funktionieren diese pulsierenden Megaorganismen, ohne ein alles zusammenhaltendes Herz? Was bewegt und bewegen ihre Bewohner? In einem Schlüsseltext der Afrika-Stadtforschung beschreibt der Soziologe AbdouMaliq Simone das, was er als das »Konzept Menschen als Infrastruktur« fasst. Wenn es keine tragfähige Infrastruktur und strengen Gesetze im westlichen Sinne gibt, dann bieten sich für die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Einwohner extrem mobile und provisorische Möglichkeiten, um sich den stetig wandelnden Umständen und Widerständen direkt anzupassen. Durch ihre unmittelbare Beteiligung an improvisierten, flüchtigen Arten sozialen Verhaltens erleben sie im urbanen Afrika neue Formen der Solidarität. Die Innenstadt von Johannesburg, im Zustand ständiger Bereitschaft und permanenter Rastlosigkeit, sieht Simone als »eine Art Zwitter: teils amerikanisch, teils afrikanisch«, wobei es vor allem die »amerikanischen« Merkmale seien, eine funktionierende physische Infrastruktur, soziale Anonymität und ein immenser Konsum, die Johannesburg für viele urbane Afrikaner so anziehend machten. Das Gedicht »Itchy City« des südafrikanischen Autors und Spoken-Word-Performers Kgafela oa Magogodi ist eine bildgewaltige Ode an den Wahnsinn des Molochs Johannesburg: »... and fire in the city of cold blood flows cheaply like pavement tomatoes the streets are red rivers dead bodies and gold-platted teeth five-star smile in the face of a corpse ...«. Ein fernes Echo von Allen Ginsbergs amerikanischem Großstadt-Albtraum »Howl«.
Lagos, mit seinen geschätzten 15 Millionen Einwohnern und der Prognose, 2020 die drittgrößte Stadt der Welt zu sein, galt als Sinnbild der Vergeblichkeit urbaner Planung. Als Ikone des Schreckens und Projektionsfläche westlicher Zukunftsängste. Und damit als ideales Laboratorium für den holländischen Architekten und Stadttheoretiker Rem Koolhaas, der mit seinem Lagos-Projekt Ein- und Ausblicke auf die Welt von morgen gewinnen wollte. In Koolhaas` Analyse enthüllte das vermeintliche Chaos eine verborgene Ordnung, organisiert und zusammengehalten nicht von einem durch Korruption, Gewalt und Misswirtschaft paralysierten Staat, sondern von dessen Individuen mit ihrer Kreativität, Improvisation und Handlungsmacht. Koolhaas` »Lobrede auf die Selbstorganisation der Gesellschaft« wurde als euphemistisch und unpolitisch kritisiert. Trotzdem gibt es dafür eindeutige Erfolgsbeispiele. So haben sich somalische Flüchtlinge in Eastleigh, Nairobi, aus Not und wirtschaftlichem Interesse, als perfekte Raumplaner der Praxis erwiesen, lange bevor die verkrustete Stadtverwaltung dazu kam. Als illegale Stadtbewohner bauten sie dieses einzigartige Viertel als eine Art extraterritoriale Hauptstadt, als Außenposten und Versorgungsbasis der Flüchtlingslager, und als eines der wichtigsten Handelszentren für ganz Ostafrika auf. Zwischen den extravagantesten Shopping Malls, samt Reisebüros und Klinik, leben heute etwa 100.000 Menschen in diesem »Klein-Mogadischu«.
Der »radikalste urbane Zustand« scheint, wo auch sonst, im Kongo zu herrschen. Sowohl das belgische Kolonialregime als auch Mobutus Schreckensherrschaft schweben wie ein Spuk über Kinshasa und haben die doppelt traumatisierte Stadt zum Absturz gebracht. Am Beginn einer bizarren Chronik des Wahnwitzes stehen belgische Missionare, die unter anderem mit Cowboy-Filmen die jungen Kongolesen zu disziplinieren versuchten. Dies aber beflügelte die Jugendgewalt, nach dem Vorbild von Buffalo Bill formierten sich Banden, die Bills, deren Männlichkeitskult die Jugend Kinshasas bis heute prägt. Mobutus Machtergreifung 1965 war das Ende der Bill-Bewegung, viele ehemalige Bills rekrutierte er für Schlüsselpositionen in Militär und Regierung, andere Bills gaben ihr Bandendasein unter dem Einfluss von Pater Buffalos Erlösungspredigten auf, der Jesus als den »Grand Bill« schlechthin gepriesen hatte. Heute leben die Lebenden auf dem Friedhof Kintambo neben den Toten, und die Jugendlichen, die sich selbst als »Kinder der Unordnung« bezeichnen, setzen auf dem Friedhof und im Rest der Stadt ihre eigenen Gesetze, die »Herrschaft« der Unordnung durch. Bei Beerdigungen bemächtigen sie sich der Verstorbenen, spielerisch, gewaltsam und exaltiert, tanzend, mit obszönen Gesten, sexuellen Liedern oder entblößten Genitalien, als könnten sie damit der Ohnmacht in die Fresse schlagen und sich in ihrem verwilderten Staat über die Allgegenwart des Todes erheben. Man kann den Friedhof von Kintambo als »Metapher für den zombifizierten Zustand einer Stadt und eines Landes« (Filip De Boeck) sehen. Dem müssen die Künstler in Kinshasa die verwegensten aller Utopien entgegenträumen. Bienvenue Nanga erschafft außerirdische Dörfer aus Materialien der Straße, mit dem 2006 gegründeten Kollektiv »Mowoso« aus Künstlern und Wissenschaftlern konstruierte er eine afrofuturistische Maschine aus Videos, Robotern und Raumschiffen, deren Koordinaten Kinshasa mit der Wunschwelt Paris verbinden. Sollte Die Touristenstadt von Pume Bylex einmal Realität werden, dann wäre man bestens aufgehoben in dem roten Hotel, mit Anti-Kamikaze-Sicherheits-System.
»Afropolis. Stadt, Medien, Kunst«, bis 13.3.2011 Rautenstrauch-Joest-Museum Kulturen der Welt, Köln, danach Iwalewa-Haus der Universität Bayreuth