Neverland |
||
Like Twenty Impossibles |
Von Sabine Matthes
Wie fühlt es sich an, Palästinenser zu sein? Hätten Jackson Pollock und Samuel Beckett die Frage mit den Mitteln des Action paintings und des absurden Theaters beantwortet, sähe das Ergebnis wohl aus, wie Manar Zuabis Video »In Between« (2005). Die in Nazareth lebende Performance- und Installationskünstlerin komprimiert die über 60 Jahre andauernde Leiderfahrung der Palästinenser in ihrem 3-Minuten Video zu einem kraftvollen Bild. In einem erdrückend engen weißen Raum steht
sie barfuß in einer glitschig ölschwarzen Pfütze und versucht sich, mit vergeblicher Beharrlichkeit, seilspringend daraus zu erheben. Die zähe Flüßigkeit hält sie am Boden, die niedere Decke verhindert den Spaß sich freizufliegen. Mühsam und umständlich, um nicht auszurutschen, steigt sie über das Seil, das dann wie Peitschen- und Pinselhiebe gegen die Wände knallt und alles mit dem schwarzen Etwas besudelt, in das sie immer mehr zu versinken droht, je verzweifelter sie sich
daraus zu befreien versucht. Die Kraft eines unermüdlichen Lebensdrangs, der sich gegen widrigste Umstände behauptet, steckt auch in Zuabis Installation »Green Green Grass« (2008). Wie Gras schlängeln sich rote Kabelfäden durch feinste Mauerritzen ihren Weg ins Freie, ganz ohne Erlaubnis.
Welche Erniedrigungen und Strapazen die Menschen tatsächlich auf sich nehmen müßen, dokumentiert Khaled Jarrars Video »Journey 110« (2009, 12 Min.). Heimlich schleichen sie, gefilmt
während des Ramadan, durch die stinkende Dunkelheit eines 110 Meter langen Abwasserkanals von der abgeriegelten Westbank zu ihren Familien, Freunden und Feierlichkeiten nach Jerusalem. Taschen und Kinder an sich gepresst, Schuhe und Beine notdürftig mit blauen Plastiksäcken umwickelt, ballancieren sie von Stein zu Stein durch die ekelige Sauce einem entfernten Lichtschein entgegen, als wäre es ein Todestunnel in einem Alptraum von Hieronymus Bosch. Die unheimliche Stille wird
durch »Soldaten ... Soldaten ... geht zurück!«-Rufe unterbrochen. Inzwischen ist der Tunnel geschlossen, aber Jarrar hat beobachtet, wie ihn 500 bis 600 Menschen in drei Stunden benutzten.
Für den in Jenin geborenen Fotografen, Video- und Performance-Künstler sind Fragen von Bewegungsfreiheit und Beschränkung zentral. So parodiert Jarrar das israelische Grenzregime, wenn er im zentralen Busbahnhof von Ramallah in die Pässe der Touristen als Willkommensgeste seinen »State
of Palestine« Stempel drückt: einen nektarnaschenden Kolibri, der auf Englisch »Palestine Sunbird« heißt. Es soll eine Demonstration gegen Besatzung, gegen die Teilung Palästinas und für eine Ein-Staat-Lösung sein. Vielleicht war es diese subversive Unschuld künstlerischer Amtsanmaßung, die auch Slavoj Zizek, den slowenischen Philosophen, gereizt hat, seinen Pass stempeln zu lassen und damit am Ben Gurion Flughafen eine Irritation zu provozieren. Letzten Juli stempelte Jarrar
Pässe am Berliner Checkpoint Charlie. Für die diesjährige 7.Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst hat er sein Palästina Logo auf deutsche 0,55-Euro-Briefmarken drucken lassen, die man erwerben und verwenden kann.
Wenn Kunst Wünsche wahr machen soll, kann sie vielleicht auch Unerwünschtes verschwinden lassen. So dachte sich der 1961 in Jerusalem geborene, in Ramallah lebende, Künstler und Kurator Khalil Rabah, als er bei einem Berlin Besuch die Reste der Mauer als Souvenirs
sah, daß er »seine« Mauer in Israel/Palästina bei einer Auktion einfach weg-verkaufen sollte. Am 13. März 2004 wurden in dem von ihm gegründeten »Palestinian Museum of Natural History and Humankind« in Ramallah acht Objekte versteigert, die natürliche und künstliche Materialien aus der Mauerzone enthielten. Sein Dokumentar-Video »The 3rd Wall Zone Auction« (2004, 6 Min.) zeigt die Auktion, wobei die Grenze zwischen Realität und Performance verschwimmt. Man sieht den Auktionator in
Aktion: »Wer bietet 100.- Dollar? ... Ein bedeutendes Stück Geschichte Palästinas von direkt unterhalb der Mauer für 300.- Dollar!«; draußen wartet der Lieferwagen mit den ersteigerten Kisten auf den Abtransport. Soll hier der Ausverkauf Palästinas gezeigt oder die Wiedervereinigung a la Deutschland vorweggenommen werden? Zeigt sich hier die Metamorphose des konkreten Lebensraums Palästina in ein abstraktes, mythisch aufgeladenes Kunstprodukt, eine Fiktion die nicht mehr
und noch nicht existiert? Die Irrealität dieses Schwebezustands zwischen Wunschtraum und Wirklichkeit, dieses zur Permanenz verdammten Provisoriums? Das Surreale des geographischen Konstrukts, wo die Palästinenser in der Westbank gleichzeitig innerhalb israelischer Grenzen eingeschlossen sind, aber – wie in Apartheid-Südafrika – außerhalb des israelischen Staatssystems leben? Los Nr.448 heißt »ALESTINIAN« und besteht aus elf Olivenbäumen. Anwesenheit,
Abwesenheit und Verdrängung sind bei Rabah wiederkehrende Themen, wobei für ihn der Olivenbaum als Verkörperung eines Museums der Seele fungiert. In einer Zeit, wo tausende Olivenbäume für israelische Siedlungen, Umgehungsstraßen und die Mauer entwurzelt werden, versetzte er einige palästinensische Olivenbäume nach Genf und pflanzte sie vor dem Hauptquartier der Vereinten Nationen wieder ein – als eine Kunstform die ständig lebt und gedeiht.
Das Gefühl von
Verlust und Sehnsucht, Nostalgie und Melancholie, für etwas auf immer Verlorenes, wird in den poetisch-mysteriösen Videos von Basma Alsharif greifbar bewußt. »Everywhere was the same« (2007, 11 Min.) erzählt in einer Diaprojektion mit Untertiteln die imaginäre Geschichte zweier Mädchen, die am Ufer eines präapokalyptischen Paradieses Zeugen eines Massakers werden. Bilder verlassener Orte mischen sich mit der eloquenten Eröffnungsrede von Haidar Abdel-Shafi bei den Madrider
Friedensverhandlungen. Ein herzzerreißender Song von Fairuz gleitet über eine palästinensische Stickerei. Die Stärke des Videos liegt in der Andeutung all seiner möglichen Interpretationen, von der blutigen Vertreibung der Palästinenser 1948, bis zu dem Massaker im Sommer 2006 an einer Familie, die am Strand von Gaza picknickte.
Die 28-jährige Basma Alsharif ist in Kuwait geboren, in Frankreich aufgewachsen, studierte in Chicago, lebte in Kairo und zog nach Beirut,
aber ihre halbe Familie ist aus Gaza. So waren die Videobilder des Massakers, das bei einer Explosion auf einen Schlag sieben Mitglieder einer einzigen Familie tötete und das 10-jährige Mädchen Huda Ghalia alleine, weinend und verzweifelt am Strand umherrennend, zurückließ, besonders prägend für sie. Variationen von Ghalias Tragödie sind auch in die komplexen Schichten anderer Arbeiten verwebt. In »We Began by Measuring Distance« (2009, 19 Min.) klingen ihre stechenden Schreie wie eine
unheilvolle Warnung zu den ruhigen Bildern einer brennenden Sonne, die sich über einer chaotischen Stadt am Meer wie in einer Sonnenfinsternis zu einem Mond verdunkelt. Eine anonyme Gruppe misst zum Zeitvertreib Entfernungen, die ihren unschuldigen Charakter verlieren und politische Brisanz gewinnen. Die Bilder oszillieren in verführerischer Ambivalenz , rosa Quallen schweben verletzlich und verletzend durchs Wasser, Feuerwerke oder Bombenexplosionen erleuchten eine
nächtliche Stadt, ein durch Zeitlupe zum Lachen oder Schreien verzerrtes Gesicht läuft uns entgegen. »An einem Tag wie jedem anderen,« sagt eine tiefe männliche Stimme, »würden all unsere Erinnerungen nur im Rückblick bedeutsam werden.«
Die Frage, was es bedeutet, an einen Ort, ein Narrativ, eine Idee gebunden zu sein, an etwas das nicht wirklich existiert, steckte in all den Arbeiten der Ausstellung »Navigations: Palestinian Video Art, 1988-2011«. Insgesamt wurden damit im
Londoner Barbican Centre 15 Arbeiten von 12 Künstlern gezeigt. Es war die fünfte jährliche Ausstellung, die das »Palestine Film Festival« in London begleitete und die erste, die sich palästinensischer Video Kunst widmete.
Auf dem »Palestine Film Festival« gab es über 50 Arbeiten aus 16 Ländern zu entdecken – von seltenem Archivmaterial aus der Zeit britischer Kolonialherrschaft in Palästina, über Susan Sontags einzigen Dokumentarfilm »Promised Lands« (1974), einer
eindrücklichen Meditation über Zionismus, Militarismus und Trauma, die in Folge des Oktober-Kriegs von 1973 entstand und zunächst von der israelischen Zensur verboten wurde, bis zu Tawfik Abu Waels heiß erwartetem Nachfolgerfilm seines preisgekrönten Debüts »Atash« (Durst). Nabil Ayouchs Dokumentarfilm »My Land« (2010) zielte, ganz im Sinne der isralischen Gruppe »Zochrot«, auf den Kern des Konflikts: er konfrontiert jüdische Israelis mit den Videozeugnissen
palästinensischer Flüchtlinge, deren Land und Häuser sie in Besitz genommen haben. Unter den Rednern des Festivals waren Karma Nabulsi, Ilan Pappe, Eyal Sivan und Ella Shohat, die eine Neuauflage ihres von Edward Said geprießenen Buchs »Israeli Cinema« vorstellte – eine Analyse, wie Film zionistische Politik und Kultur über ein Jahrhundert vermittelt, verbreitet oder gebrochen hat.