Geschändet und zu Tode gequält |
||
Reiten auf der »grausamen Welle« |
Von Ulrich Mannes
Anfangs entsprach die Karriere des österreichischen Schauspielers Adrian Hoven dem »Traumbuch vieler junger Männer« (1). Zeitweise war er der begehrteste Filmstar der 50er Jahre und »Liebling aller Frauen zwischen sechzehn und sechzig«. Er bediente souverän die publikumsträchtigen Genres, den Heimat- und Schlagerfilm, spielte an der Seite von Romy Schneider in Mädchenjahre einer Königin, reihte sich in die „Große Starparade“ ein, gehörte zu den »dreien von der Tankstelle«, er »küßte und liebte in Tirol«, fand in »Wien die Stadt seiner Träume« usw. In den 60er Jahren bekam aber auch er die Launen der grassierenden Kinokrise zu spüren. Mit Engagements für die etwas härteren Genres, für Krimis und Western, konnte er sich zwar dem »Sammetkästchen jungmännlicher Wohlerzogenheit« entziehen, aber nicht an die alten Erfolge anknüpfen. Klammheimlich nahm er Mitte der 60er Jahre das Heft selbst in die Hand und gründete eine eigene Produktionsfirma namens Aquilla, für die er mit hohem Einsatz und einem aufrechten Gespür fürs Abgründige einige denkwürdige Filme verantwortete. Seine erste Regiearbeit, Das Mädchen mit dem Seidenschal (1965), ein in den düsteren Ecken von Wien spielender Polizeikrimi, floppte noch gewaltig. Erst mit den Produktionen Necronomicon und Rote Lippen, in denen sich ein gewisser Jess Franco mit seinen ganz eigenen Sadomaso-Phantasien aus dem Genregetto befreite, erzielte Hoven beachtliche Erfolge. In Zeitungsinterviews beruhigte Hoven seine Fans, dass er keineswegs die Absicht habe »ausschließlich im Sumpf zu wühlen«.
Dennoch ritt er 1969 erst mal weiter auf der „grausamen Welle“ und widmete sich mit dem Film Hexen bis aufs Blut gequält der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung, Hexen waren in den späten 60ern nämlich die Bringer im Exploitationkino. Und im Herzen Österreichs fand Hoven eine inspirierende Location: das Schloss Moosham im Lungau, wo im 17. Jahrhundert tatsächlich Hexenprozesse stattfanden. Das Schloss bot das perfekte Setting: Räume, Möbel und Requisiten von historischer Echtheit, eine alte Gerichtsstube sowie einen bestens ausgerüsteten Folterkeller.
Davon konnten sich vor gut drei Wochen die Teilnehmer eines filmhistorischen Symposiums überzeugen, das im nahegelegenen Tamsweg veranstaltet und mit einer Führung durch eben dieses Schloss am Ende aufgelockert wurde. Man könnte sich fragen, welches der beiden Vorhaben man eines Tages als das aberwitzigere einordnen wird: Einen Expoloitationfilm zu drehen (2), dessen »Besetzung auch heute noch wirkt, als wäre sie im Forum einer fiktiven Fantasy Filmmaking League entstanden« (Vice), oder das nun 45 Jahre später nachgereichte Symposium, wofür der Veranstalter Andreas Ehrenreich, gestützt vom Wiener Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften, die Salzburger Wirtschaftskammer als Sponsor gewinnen konnte.
Und so näherten sich in den Räumen der Tamsweger Wirtschaftskammer-Depandance zwei Tage lang Wissenschaftler aus dem deutschsprachigen und angloamerikanischen Raum (3) diesem cineastischen Wunderwerk (englisch: Mark of the Devil) und nebenbei noch dem drei Jahre später ebenfalls von Hoven im Lungau gedrehten Sequel Hexen – Geschändet und zu Tode gequält (das eigentlich eine Variation des ersten Teils ist und nur titelmäßig an der Eskalationsschraube dreht). Aber nicht allein die beiden Filme, der ganze akademische Hexenkosmos kam mit Hilfe angesagter interdisziplinärer Codes zu seinem Recht. Der Bogen wurde also crossmedial und munter assoziativ gespannt, er reichte von Georges Bataille und seiner „Philosophie der Transgression“ bis zur Analyse der Einflüsse des Genrekinos auf das politische Klima in den 70er Jahren. Es ging um Parallelen zu aktuellen US-Serials, um weibliche Sterotypen, um Märtyrertum und Voyeurismus. Es wurden theologische, ikonographische, rechts- und zensurgeschichtliche, gender- und queer-theoretische Referenzen aufgefahren. So rückte der Film manchmal etwas aus dem Blickfeld um plötzlich doch wieder ganz konkret diskutiert zu werden, z.B. mit der Frage, wer bei der komplizierten Produktionsgeschichte nun eigentlich die Autorenschaft des Films für sich beanspruchen kann. Nur ein Teilnehmer positionierte sich als radikaler Außenseiter und überschrieb seine Präsentation über »Self Narrative, Canon Construction, and Audience Analysis« so: »Why Have I Never Seen Mark of the Devil?«
Diese Frage dürfte sich am Ende für alle Anwesenden erübrigt haben: Während der zwei Symposiumstage gab es natürlich beide Hexen-Filme zu sehen – als abendliche Videovorführungen, zu denen sich sogar ein paar einheimische Zuschauer gesellten. Und es gab Ehrengäste: Am ersten Abend kam Schlagerstar Michael Holm, der für die Filmmusik von Teil 1 verantwortlich war. Am zweiten Abend stießen die Gallo-Ikone Erica Blanc und Adrian Hovens Sohn Percy dazu, die sich im zweiten Teil als Mutter und Sohn den Folterqualen der Hexenjäger aussetzen lassen mußten. Die anschließenden Publikumsgespräche boten viel Anekdotisches: Michel Holm erzählte, daß er den Deal mit Adrian Hoven im Lärm einer Münchner Disco gemacht hat – ohne wirklich zu wissen, worauf er sich eingelassen. Percy Hoven feierte mit Erica Blanc ein fröhliches Wiedersehen und erinnerte sich, daß er als damals Achtjähriger als Gage ein Bonanzafahrrad erhalten hatte (4).
Ob nun dieses Symposium zu einer Umwidmung oder Neubewertung der beiden Hexenfilme führen wird, das soll erst entschieden werden, wenn die angekündigte Publikation dazu herausgekommen ist. Für Adrian Hoven standen die Hexenprojekte allerdings unter keinem guten Stern: Das Geschäft für den überaus erfolgreichen ersten Teil machten allein seine Coproduzenten, und während der Dreharbeiten des zweiten Teils ereilte ihn ein Herzinfarkt. Er ging also finanziell und gesundheitlich schwer derangiert aus dem Abenteuer hervor, drehte danach noch ein paar Filme (darunter Pusteblume mit Rutger Hauer), fand dann Anschluß an die Fassbinderstockkompanie und starb 1981 nach einem abermaligen Herzinfarkt mit erst 58 Jahren.
(1) Alle Zitate stammen aus zeitgenössischen Presseartikeln.
(2) Zum ersten Hexenfilm gibt es einen vorbildlichen Wikipedia-Eintrag.
(3) Wer wissen will, wer alles am Symposium teilgenommen hat und wie die Präsentationen im einzelnen überschrieben waren, der geht am besten auf die Webseite des Kongresses.
(4) Noch mehr Anekdoten bietet ein VICE- Artikel