03.12.2015

Kino Asyl – Komm und sieh'

Aujourd'hui
Ein Film, der das Leben feiert, obwohl der Tod von der ersten Sekunde an alles bestimmt: Aujourd'hui

Von Natascha Gerold

Der Titel ist durchaus doppel­deutig. „Kino Asyl“ ist im engeren Sinn eine erstmalig statt­fin­dende Veran­stal­tung, bei der Menschen, die in München eine neue Heimat suchen oder sie bereits gefunden haben, als „Festival-Programmer“ fungieren und Filme aus Ländern zeigen, die ihre erste Heimat waren, die sie nicht vergessen wollen und können. Im weiteren Sinn könnte man in „Kino Asyl“ auch die kultu­relle Darstel­lungs­form des Filme­ma­chens als Möglich­keit der Zuflucht sehen: Das, was schwer zu erklären ist, findet nicht selten im bewegten Bild den passenden Ort. Hier wird verstanden.

Das Jahr geht zu Ende – und unser Land ist um circa eine Million Neubürger reicher. „Inte­gra­tion ist eine Frage der Fantasie“, so die Forderung des Jour­na­listen Heribert Prantl an die poli­ti­schen Parteien in unserem Land. Doch das gilt nicht allein für sie, sondern für die gesamte Gesell­schaft. Und wo ist es wichtiger, bisher Unge­dachtes zu denken und ungeahnte M öglich­keiten zu finden als beim Filme­ma­chen?

In drei Kinos – Import Export, Kino Maxim und Gasteig – präsen­tiert jeder der 15 in München lebenden Jugend­li­chen jeweils einen Film, der ihm oder ihr besonders am Herzen liegt, den sie mit ihrem Leben vor der Flucht verbinden, der besser und präziser über ihre Herkunft Auskunft gibt als Schlag­zeilen oder Vorträge. Tatkräftig unter­s­tützt von einem eigens gegrün­deten „Kino Asyl Team“, dem Günther Anfang und Thomas Kupser (beide Medi­en­zen­trum München des JFF), Max Kratzer und Verena Wilkes­mann (beide Mitglie­dern des Vereins Icoya), Sarah Bomkampre Kamara und Mohammed Koroma (beide Sonne Magazin) sowie Caroline Bader, Marei Bauer und Tobias Rehm angehören, ist dieser inter­na­tio­nalen Gruppe ein erstaun­li­ches und abwechs­lungs­rei­ches Festival-Programm gelungen, das mit dem sene­ga­le­si­schen Kurzfilm Deweneti (6.12., 19 Uhr, Import Export; 7.12., 21 Uhr, Kino Maxim) von Dyana Gaye beginnt. Ein gewitzter kleiner Koran­schüler erbettelt auf origi­nelle Weise auf den Straßen Dakars Almosen und zeigt, dass Wünsche wahr werden können – ein wunderbar hoff­nungs­voller und zugleich unsen­ti­men­taler Auftakt.

Das Genre Kurzfilm wurde öfter von den Festi­val­ma­chern gewählt: So entschied sich Ameen Nasir aus Syrien für Raqqah, Ba'athism to the Caliphate (7.12., 21 Uhr, Kino Maxim) von Taher Moqresh und Mhanad Mansour. Sie setzen vor allem den Bewohnern der Stadt ein Denkmal, die einst friedlich für Menschen­rechte in den Straßen demons­triert haben und die heute für den Traum vom Leben in Freiheit permanent in Lebens­ge­fahr schweben. »Ich will den Film zeigen, weil die Auswahl in Syrien nicht zwischen Al Assad und IS sein sollte, sondern für Demo­kratie und Frieden«, begründet der junge Festi­val­ma­cher seine Wahl. Ein Serienhit aus Mali ist Die Könige Von Ségou, mit dem der erfolg­reiche malische Regisseur Boubacar Sidibé Aufstieg und Nieder­gang des großen mächtigen König­reichs von Ségou erzählt, das vom 17. bis 19. Jahr­hun­dert zu einem Großteil im heutigen Mali lag. Die Saga ist nicht nur mindes­tens genauso spannend wie Game of Thrones, sondern hat noch einen weiteren Hinter­grund. Es sei ihm daran gelegen, seinen Lands­leuten die eigene Geschichte näher zu bringen, so Sidibé. Die Welt sei alt, aber die Zukunft in der Vergan­gen­heit vorbe­stimmt. Eine 26-minütige Folge von die könige von Ségou ist am 6.12. um 19.30 Uhr im Import Export zu sehen.
Kein Film­fes­tival ohne richtige Premiere – das gilt auch für KINO ASYL. So präsen­tiert Eunice Tulia Binti Mabuka den Film Mein Geliebtes Land (7.12., 21 Uhr, Kino Maxim). Das Besondere: Dieses fünf­minü­tige Doku­mentar-Porträt ist das Werk der Kongo­lesin selbst, die seit neun Monaten in Deutsch­land lebt.

Ein Spielfilm, der das Leben feiert, obwohl der Tod von der ersten Sekunde an alles bestimmt: Aujourd'hui‘ (7.12., 19 Uhr, Kino Maxim) von Alain Gomis ist die Geschichte der letzten Stunden im Leben von Satché (gespielt vom ameri­ka­ni­schen Poetry Slammer Saul Williams), einem jungen Mann, der aus Amerika nach Hause zurück­kommt und der um sein Schicksal weiß. Poeti­scher und trost­rei­cher kann ein „Memento mori“ nicht sein. Aujourd'hui‘ ist ein weiterer Film, den der Sene­ga­lese Lamin Kinteh neben Deweneti präsen­tiert und empfiehlt.

Gleich an zwei Tagen von Kino Asyl findet jeweils um 10 Uhr eine Matinee statt: Im Vortrags­saal der Biblio­thek im Gasteig ist am 7.12. die israe­li­sche Tragi­komödie Mein Herz tanzt zu sehen, in der es laut Regisseur Eran Riklis nicht um Politik geht, sondern darum, wie sie das Leben der Menschen beein­flusst – in seinem Fall das des jungen israe­li­schen Paläs­ti­nen­sers Eyad, der mit Köpfchen und großem Herzen alle Hinder­nisse über­windet – das höchste jedoch steht ihm noch bevor, als er seiner ersten große Liebe begegnet. Am 8.12. gehört der Vortrags­saal Sayed Sayedy und Abid Amin, wenn sie Samira Makhmalbafs Fünf Uhr am Nach­mittag präsen­tieren. Die Iranerin erzählt darin den steinigen Weg einer jungen Afghanin, die sich in ihrem Hunger nach Wissen und Bildung von niemanden aufhalten lässt – Ein Wille, der an die Afghanin Shirin-Gol erinnert, die Siba Shakib, ebenfalls iranische Filme­ma­cherin, vor 14 Jahren ergrei­fend in ihrer Biografie „Nach Afgha­ni­stan kommt Gott nur noch zum Weinen“ porträ­tierte. In solch einer prekären Lage befinden sich Millionen Frauen auf der Welt – eine Tatsache, auf die KINO ASYL bei seiner Film­aus­wahl eindring­lich hinweist, nicht zuletzt mit Aminata (9. Dezember, 19 Uhr, Kino Maxim) von Jimmy Bagura. Auch seine Heldin, die 14-jährige Aminata, erduldet unsag­bares Leid, ohne ihren Wunsch nach Bildung aufzu­geben. Mit diesem Spielfilm aus Sierra Leone endet das Festival der beson­deren Art. Seine Wirkung wird es nicht verfehlen

KINO ASYL findet vom 6. Bis 9. Dezember im Import Export, Kino Maxim und dem Vortrags­saal der Biblio­thek im Gasteig statt.