»It’s not bad, but a bit too dramatic« |
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Bleibt schön auf dem Teppich: THE FATHER CARE PIECE PIECE, Highlight des Festivals (Foto: Freischwimmer) |
Von Dunja Bialas
Die gute Nachricht zuerst. Seit diesem Jahr hat die freie Tanz- und Theaterszene Münchens die Möglichkeit, bei den Kammerspielen Fördergelder zu beantragen. Intendant Matthias Lilienthal, der sich in der Vergangenheit durch performative Stücke in die traditionellen Hoheitsgebiete der freien Szene hinauswagte und sich dadurch Schimpfe (seitens der Abonnenten) und Unmut (seitens der freien Szene) eingehandelt hat, hat aus seinem städtischen Etat von 23 Millionen Euro nun 500.000 Euro freigemacht.
Dies war die große Überraschung des Podiums, das im Rahmen des »Freischwimmer«-Festivals in den Münchner Kammerspielen abgehalten wurde. Versammelt hatten sich die Repräsentanten der Häuser, die das erstmals in München gastierende Festival der freien Szene zeigten: das Pathos-Theater (Angelika Fink), das letztes Jahr in den Räumen des ehemaligen i-camp eröffnete HochX (Ute Gröbel) und die Münchner Kammerspiele (Christoph Gurk). Neben den Leitern der stadteigenen Festivals »Spielart« (Tilmann Broszat) und »Rodeo« (Sarah Israel) war auch Mathias Pees vom Frankfurter Mousonturm zugegen, der seit 2009 beim Festival dabei ist und die Besonderheit von »Freischwimmer« erklärte: Alle gezeigten Stücke sind neue Projekte, die in einem Open Call eingereicht und von Abspielhäusern der freien Szene co-produziert werden, was eine einzigartige Konstellation sei. Die Produktionen touren dann in allen mitwirkenden Häusern, so dass es zu einem regen überregionalen Austausch der freien Tanz-, Theater- und Performance-Szene kommen kann.
Es verwundert, dass München noch nie mitgewirkt hat. Die Einladung von »Freischwimmer« als Gastspiel kann wie die freigemachten 500.000 Euro der Kammerspiele gedeutet werden, dass jemand in München erkannt haben muss, dass mehr für die hiesige Szene, die im Süden der Bundesrepublik ein relativ isoliertes Dasein fristet, getan werden muss. München ist nunmal nicht bekannt für »die Szene«, die großen Häuser des bürgerlichen Theaters scheinen da überregional wichtiger. Insofern ist es natürlich ein Glücksfall, dass Matthias Lilienthal mit seiner Intendanz den Aufmerksamkeitsfokus ordentlich durcheinander bringt.
Die bei »Freischwimmer« präsentierten Stücke aus dem deutschsprachigen Raum (co-produziert von Sophiensaele Berlin, Mousonturm Frankfurt, dem FFT Düsseldorf, dem brut Wien und der Gessnerallee Zürich) waren unterschiedliche Formationen der Performance-Kunst, die selbst nicht alle an die Idee der »Bühne« gebunden sind. Abgesehen von dem eher furchteinflößenden physischen Workshop-Theater LOVE FICTION – HUMAN PROCESS INTERVENTIONS BY RYLON, das den Teilnehmenden empfahl, eine »comfy Kleidung und eine basale emotionale Elastizität« mitzubringen, und dem »Wir bauen eine Stadt«-Selfmade-by-Spectators-Theater WIE WIR ES WOLLEN, das die Besucher qua Mitwirkende etwas ratlos zurückließ, stachen zwei Produktionen heraus, die performative Vielfalt zeigten. DAME GOTHEL… IT HURTS TO BE BEAUTIFUL von Anna Natt (Sophiensaele Berlin) war ein Stück ohne Worte, das ganz auf seine bilderstarke Bühnensprache vertrauen konnte und sich in kleinen Performance-Vignetten vollzog. Anna Natt, ausgebildete Flamencotänzerin, setzte musikalisch-physikalisch an, um ihre Assoziationen zum Rapunzel-Märchen und dem Schönheitsdiktat mitzuteilen. In hautfarbenen Latex gezurrt, zog sie sich eine blonde Rapunzel-lass-dein-Haar-herunter-Perücke über und sprang wie eine aufgezogene Puppe über den Bühnenraum. An einer Seite waren, sehr geheimnisvoll, drei Harfenistinnen mit ihren Instrumenten geparkt, die immer wieder zu einem Percussion-modernisierten und auch dissonanten Harfenspiel anhoben, einmal auch, ein sehr starkes Bild, zu einem Live-Playback mit Anna Natt, die in einem Lichtkegel Harfenspiel simulierte, während ihr Haar gülden leuchtete. Die Harfen und ihre Spielerinnen wuchsen während des Stücks zu den eigentlichen Protagonistinnen heran, eroberten in einem eindrucksvoll choreographierten Gang die Bühne, indem sie abwechselnd die Instrumente bewegten, wie in einer buchstäblich genommenen Poesis. Das Finale gab der groteske Walk von Anna Natt auf zwei gigantischen High-Heels-Prothesen. Allein mit Assoziationen schaffte DAME GOTHEL… einen bilderstarken, dabei wohltuend ereignislosen und keinesfalls auserzählten Gedankenraum.
Glanzstück des »Freischwimmer«-Festivals war Veza María Fernández Ramos’ (brut Wien) ganz und gar leichtes, wie improvisiert wirkendes, dabei in jedem Fall gestagetes THE FATHER CARE PIECE PIECE ODER: KEINE ANGST, PAPA SPIELT THEATER! Ihr Ansatz erinnerte stark an das amerikanische Mumblecore à la Mike Ott (California Dreams): Immer wieder wird die vierte Wand durchbrochen, der Zuschauer direkt angesprochen, das Bühnengeschehen in Frage gestellt. Anders als das bemühte Workshop-Theater aber entfaltete sich hier zwischen den Darstellern ein leichtsinniges und befreites Spiel, dem auch großer Ernst anhaftete. Grob gesagt ging es um eine junge Frau und drei Vatermodelle, dem Lieblingsvater, dem künstlerischen Vater, dem leiblichen Vater, freudianische Interpretationen und Assoziationen inbegriffen. Die Spanierin Fernández Ramos hielt hier die Fäden in der Hand, zeigte sich als heitere Dompteurin der Vater-alten Männer. Von der Off-Balance wechselte die Modern-Dance-Performerin zu Hebefiguren eines gewagten »Freudian hug«, nahm sich eine Gitarre und sang mit einem ihrer Wahl-Väter in spielerischer Improvisationsleichtigkeit »This is a father’s song«. Immer wieder gab es auch Meta-Talking, in dem das eigene Spiel in Frage gestellt wurde: »I’m a very cheap actress. I just can play myself«, hieß es einmal, ein anderes Mal: »This is not bad, but a bit too dramatic.« Zwischendurch raufte man sich auf einem Perserteppich und nutzte die Zentrifugalkraft von Stühlen, indem man sich mit ihnen drehte. Am Ende dominierte melancholische Happiness. Im Programmheft war über das leichte Stück übrigens zu lesen: »Im Mikrokosmos der inzestuösen Theaterfamilie werden drängende gesellschaftliche Fragen nach alternativen Arbeitsstrukturen und Konstellationen bearbeitet, denn vielleicht besteht ja die Möglichkeit eines Zusammenlebens jenseits von Rollenbildern!«
Freischwimmer 2016/17. Neues aus Theater, Performance und Live-Art. Thema: Family Affairs.