»Der Humor ist das einzige, was mich bei der Stange hält.« |
||
Wallace & Gromit auf Kaninchenjagd |
Knetfiguren-Animation ist wie Schauspielen in extremster Zeitlupe: Jede winzige Nuance des Auftritts eines Charakters muss minutiös arrangiert werden, in 24 Einzelbildern für jede Sekunde Film. Und doch gilt es, die großen Bögen im Bewusstsein zu halten, die Psychologie und Emotion, die hinter der Bewegung steht.
Nick Park, der mit 12 Jahren anfing, Knetmännchen durch die Kamera zum Leben zu erwecken, und der als Filmstudent Jahre lang an dem ersten Wallace & Gromit Kurzfilm A Grand Day Out werkelte, der ihm Weltruhm einbringen sollte, befehligt heute für einen Film wie Wallace & Gromit: The Curse of the Were-Rabbit ein kleines Heer von Mitarbeitern. Dennoch macht er einen ungemein netten und schüchternen Eindruck, verhaspelt sich nicht selten beim Sprechen, schweift ab (was im Folgenden für bessere Lesbarkeit geglättet wurde) – und greift immer wieder zu der Gromit-Figur, die er mitgebracht hat, wenn ihm für einen Moment die Worte zu fehlen scheinen. Dann wird sein Gesicht noch lebendiger, wird man für einige Sekunden Zeuge einer wundersamen gegenseitigen Beseelung von Animator und Figur.
Animation ist eine einsame, mühselige und sehr kontrollierte Arbeit. Es ist wohl die introvertierteste Art, sich indirekt auf eine Art Bühne zu begeben: Es ist Schauspielerei für Menschen, die sich mit ihrem eigenen Körper nie vor eine Kamera, ein Publikum trauen würden. Nick Park MACHT nicht Wallace & Gromit – man bekommt den Eindruck, dass er Wallace & Gromit IST.
Mit dem Regisseur sprach Thomas Willmann .
artechock: Wie würden Sie die Beziehung zwischen Wallace und Gromit beschreiben?
Nick Park: Es war oft sehr hilfreich war, sie sich als ein altes Ehepaar vorzustellen, die viele Jahre zusammen sind und sich gegenseitig in- und auswendig kennen, und schon lange still aneinander leiden – besonders Gromit, der alles von Wallace hinnimmt. Gromit verbringt seine Zeit damit, vorsichtig zu sein und sensibel, und damit, auf Wallace aufzupassen. Aber Wallace kann sehr hart, sehr unsensibel sein. Er macht das nicht absichtlich. Aber er behandelt Gromit wie einen Hund. Obwohl Gromit emotional der menschlichere ist.
In diesem Film wollte ich diese Loyalität wirklich auf die Probe stellen. Sehen, wie weit wir gehen konnten mit Gromits Toleranz.
artechock: Haben Sie je daran gedacht, Gromit eine Stimme zu geben?
Nick Park: Ja, habe ich. Ich habe als Student angefangen, Wallace & Gromit zu machen. Und Gromit wollte ich in der Tat mit einem Mund haben; einige frühe Zeichnungen zeigen ihn mit einem Mund. Ich bin sogar so weit gegangen, eine Stimme für ihn aufzunehmen. Eine knurrende, menschliche Stimme, ein bisschen wie Scooby-Doo. Dann ging es an die erste Aufnahme für A Grand Day Out – Wallace baute die Rakete und benutzte dabei Gromit als Bock für die Tür, die er grade durchsägte – und ich machte Gromits allerersten Blick in die Kamera, seine Augen voll Verachtung darüber, so benutzt zu werden. Und ich entdeckte, dass er keinen Mund brauchte, dass er alles mit dem Ausdruck seiner Augen, nur mit der Bewegung seiner Augenbraue sagte. In dem Moment war Gromit geboren. Denn plötzlich wurde er ein introvertierter Hund, ein intelligenter Hund. In dem Moment geschah alles. Und es sparte eine Menge Arbeit... (lacht)
artechock: Gibt es für Wallace ein menschliches Vorbild?
Nick Park: Er ist nicht bewusst nach jemandem gestaltet. Aber er erinnert mich manchmal sehr an meinen Vater. Mein Vater verbrachte eine Menge Zeit im Gartenhäuschen und bastelte Dinge, vor allem aus Holz – er war ein echter Heimwerker. Und manchmal, wenn ich Wallace animiert habe, sah ich plötzlich einen Gesichtsausdruck von meinem Vater. Er hat fast eine Familienähnlichkeit.
Ich glaube, das geschieht von selbst.
Modellmacher machen oft unbewusst Figuren, die wie sie selbst aussehen. Es ist unglaublich, wie sehr das wahr ist.
Ich meine, mein Dad sah nicht AUS wie Wallace: Seine Augen haben sich nicht berührt, und sein Mund war nicht so breit. (Lacht) Es ist mehr seine Einstellung – fröhlich und einfach; er hat Ideen und setzt sie einfach um.
artechock: Erstmals müssen Wallace und Gromit in einem richtigen sozialen Umfeld mit anderen Menschen interagieren. Wie sind sie all diese neuen Charaktere angegangen?
Nick Park: Als Steve [Box – die Red.] und ich den Film schrieben, haben wir oft mit Ton gespielt, haben gezeichnet, haben wir oft Probemodelle der Figuren modelliert. Denn das hat Einfluss auf das Schreiben der Figuren. Für viele der Charaktere haben wir die alten Universal-Horrorfilme zum Vorbild genommen. Es gibt sehr typische Charaktere aus Horrorfilmen, auf die wir anspielen – der skeptische Polizist, der verrückte Priester, der die Welt vom Bösen befreien will und alles übernatürliche Wissen hat.
Wenn wir die Stimmen aufnehmen, hat das auch Einfluss auf das Figurendesign. Wir haben einen Test mit Helena [Bonham-Carter] gemacht – weil wir zuerst die Stimme brauchen, um es lippensynchron hinzubekommen. Und dann versuchte der Animator, Lady Tottingtons Kopf zu animieren, mit ihrer Stimme, und als es funktionierte, bekam sie die Rolle. Wir haben auch den Mund ein bisschen angepasst, um sie wie Helena sprechen zu lassen. Das selbe mit Ralph [Fiennes], und allen anderen Charakteren.
artechock: Wie lange dauert es, so eine Puppe zu modellieren?
Nick Park: Die Grundpuppe könnte ich an einem Tag aus Ton machen. Aber sie haben Metall-Armaturen drinnen für die Animation. Im College verwendete ich innen einfach Aluminiumdraht. Aber jetzt haben wir diese Metallgelenke, die unter Spannung stehen, für die Animatoren. Und Wallace hat Latex-Beine, um sich das remodellieren nach jeder Bewegung zu sparen.
artechock: Was mögen Sie so an Knetmasse?
Nick Park: Sie ist perfekt für mich, weil es die Art von Humor, Geschichtenerzählen und Stil rüberbringt, die ich wollte. Plastilin ist perfekt für menschlichen Ausdruck.
Ich habe mit 12 Jahren damit angefangen, weil es greifbar war und ein naheliegendes Material fürs Animieren. Vielleicht stand mir deswegen nie die Technik im Wege, ich hatte nie Angst wegen irgendwelcher technischen Details. Es ist einfach purer Charakter, an
dem ich interessiert bin. Ich mag Animation, wo ich mich ganz darauf konzentrieren kann, den Charakter zu animieren, statt mich um Dinge zu kümmern, die nicht wichtig sind. Deswegen hat Lady Tottington steifes Haar – weil es mich nicht interessiert, ob das alles fließt.
artechock: In diesem Film haben Sie aber auch Computergrafik zur Hilfe genommen.
Nick Park: Wir haben sie immer da eingesetzt, wo es unpraktikabel war, Plastilin oder Ton zu nehmen. Es gibt eine Szene im Film, wo Wallace den Staubsauger benutzt, den Bunvac 6000, und all die Kaninchen aufsaugt und sie alle in dessen Glasbehälter herumfliegen. Und das wäre mit Ton wirklich, wirklich schwierig zu machen gewesen, weil man all die Kaninchen in der Luft hätte halten müssen und dann sowieso die Halterungen digital herausretuschieren hätte müssen. Und es wäre unmöglich gewesen für den Animator, mit seiner Hand durch das Glas in den Bunvac-Behälter zu langen... Also haben wir gedacht: Warum nicht?
Aber wir wollten das Aussehen von Ton beibehalten, also haben wir ein kleines Häschen aus Ton gemacht und ließen ihn in den Computer einscannen, mit Fingerabdrücken und allem drum und dran. Und dann haben sie das Häschen vielfach geklont, und seine Farbe geändert, so dass sie viele Kaninchen hatten und sie alle animieren konnten. Und wir hatten kein Problem damit, dass es ein bisschen einen gewichtslosen, computerartigen Look hatte, weil es zu dieser speziellen
Szene passte.
Ich muss zugeben, dass es VIELE Einstellungen in dem Film gibt, die irgendeinen Digitaleffekt dabei haben wie z.B. Nebel, oder Dampf, der aus einem Kessel kommt.
artechock: Und das Fell des Werhasen?
Nick Park: Das hätten wir mit CGI machen können, weil man heutzutage tolle Felleffekte machen kann. Es ist allerdings sehr teuer. Wahrscheinlich hätten wir das Budget dafür zusammengekriegt. Aber um im Stil des Films zu bleiben und seinen Humor beizubehalten, machten wir es auf eine mehr authentisch altmodische Art. Wir bastelten einen großen Hasen als richtige Puppe – weil es Anspielungen sind auf King Kong und all die Ray Harryhausen-Filme, und um es im selben Geist zu belassen wie Wallace & Gromit.
artechock: Waren Sie schon immer Fan der alten Monsterfilme?
Nick Park: In gewisser Weise. Ich bin wohl ein bisschen ein Filmverrückter, und Steve Box, der Co-Regisseur, auch, und wir redeten oft über die Filme, die wir lieben. Als wir die Idee für den Wallace & Gromit-Langfilm suchten, haben wir erst nur mit der Idee von Häschen gespielt; Häschen, die Gemüse stehlen, und große Gemüse... das war die Basis der Idee. Und dann kam die große Idee. Ich dachte irgendwie: Wir haben in den bisherigen Wallace & Gromit-Filmen film noir gemacht, wir haben Hitchcock gemacht, Brief Encounter... Wo waren wir noch nicht? Und dann kam plötzlich der Gedanke: Werwolf-Filme, und all diese Monsterfilme der Universal-Studios. Was wäre, wenn es ein Werkaninchen wäre statt eines Werwolfs? Und dann kam alles in Rollen... Das wurde unser Haupt-Referenzpunkt.
artechock: An diesem Film haben 250 Leute gearbeitet. Wie behält man bei einem Projekt dieser Größe eine persönliche Vision bei?
Nick Park: Das ist schwierig. Man muss sehr wachsam sein, weil Dinge in eine gewisse Richtung driften können... Jeder besucht sehr strenge Wallace & Gromit-Modellier- und -Animierkurse. Man muss auch gewisse Schauspielkurse geben: Ein Hund folgt seiner Nase, aber Gromit folgt seinen Augen. Wenn Leute zum ersten Mal Gromit animieren, halten sie
üblicherweise seine Nase zu hoch. [Demonstriet es] Für mich macht er das nie. Es ist immer SO [demonstriert]. Das macht ihn menschlicher. Und seine Ohren federn auf eine ganz bestimmte Weise. Das sind alles wirklich obsessive Dinge. (Lacht)
Ich wollte nicht, dass es zu glatt wird. Wenn jede Menge Leute an etwas arbeiten, wollen sie alle es ganz besonders gut machen... Selbst in Chicken Run
dachten wir erst: Es ist für die große Leinwand, also müssen wir die Animation glatter machen... Mit diesem Film haben wir wieder unsere Stärken erkannt, und da wir die anderen Filme schon gemacht hatten wussten wir, dass wir auf heimischem Boden waren. Steve und ich wollten es wirklich im Geist der anderen Filme haben: Handgemacht...
Wenn Du versuchst, zu glatt damit zu sein, dann kannst Du genauso gut Computer benutzen. Und da gibt es so viele Leute, die das gut machen. Wir scheinen hier eine Nische gefunden zu haben.
Ich weiß nicht, ob es zu einem Trend wird. Es taugt uns. Für MICH ist es das perfekte Medium: Es erlaubt mir, Formen und Charaktere zu kreieren, die ich mag. Es ist sehr direkt. Man kann all diese subtilen Nuancen erreichen mit Gromits Gesicht und mit menschlichen Gesichtsausdrücken. Der Animator ist in direktem Kontakt mit dem Plastilin, dem Metallgerüst – das hat eine Direktheit.
artechock: Ist solche Handarbeit heute teurer als Computeranimation?
Nick Park: Es gibt diesen verbreiteten Mythos, dass Computer irgendwie schneller und einfacher sind. Aber ich kenne eine Menge Leute, die an Shrek und so gearbeitet haben... In Wirklichkeit braucht es ungefähr die selbe Zeit.
Was ich an Claymation liebe ist: Man arbeitet die ganze Zeit vor der Kamera. Der Prozess kommt einem nicht
in die Quere. Es ist eine Performance – es mag Einzelbild für Einzelbild sein, aber es ist eine Performance. Du musst nicht ewig daran arbeiten, verschiedene Ebenen und verschiedene Aspekte richtig hinzubekommen.
artechock: Welches war für die Animatoren die schwierigste Szene?
Nick Park: Wenn eine Menge Charaktere im Bild sind – das ist immer eine Herausforderung. Besonders die Versammlung in der Kirche. Es dauerte die ganzen Dreharbeiten durch, diese Szene zu drehen. [Es wurde an bis zu 30 »Sets« gleichzeitig gedreht – die Red.] Die Continuity, mit 50 Charakteren auf dem Set... Dass der Animator sich daran erinnern kann, wer sich in welche Richtung bewegt, welcher Arm hoch ging, welcher runter... Das ist ein ziemlicher Albtraum.
artechock: Fast gleichzeitig mit Curse of the Were-Rabbit kommt auch Tim Burtons neuer Animationsfilm, Corpse Bride in die Kinos. Sehen sie den als Konkurrenz?
Nick Park: Wir sind sehr verschieden. Ich habe mit Tim Burton und Helena [Bonham-Carter, die mit Burton liiert ist und ihre Stimme auch der Titelfigur von Corpse Bride leiht] vor zwei Wochen in Toronto zu Abend gegessen. Wir bewundern uns gegenseitig. Ich habe Tim Burton-Filme immer geliebt. Aber wir sehen uns selbst als solch verschiedene künstlerische
Persönlichkeiten [»sensibilities«].
Es ist aber ein lustiger Zufall, dass diese beiden Stopframe-Animationsfilme, in denen beiden Helena dabei ist und die beide Halloween-artige Themen haben, gleichzeitig herauskommen.
artechock: Dass in dem Film »Stinking Bishop«-Käse prominent vorkommt, hat in England ein bisschen Staub aufgewirbelt...?
Nick Park: Als Wallace in A Close Shave Wenslydale-Käse erwähnt hat, hat es die Firma gerettet. Sie war kurz davor, dicht zu machen. Und es gab ihnen einen richtigen Schub. Wir scheinen diesen Ruf zu haben, Käsehersteller zu retten. (Lacht)
Wir brauchten einfach einen stinkigen Käse, und wir riefen den Produzenten von »Stinking Bishop« an und baten ihn,
uns jede Menge Käse zu schicken. Der riecht sehr stark... (Lacht) Aber dann hat die Presse in England davon Wind bekommen, drehte es hin, als wollten wir den Hersteller retten, und er sagte: »Nein, ich möchte nicht gerettet werden.« Dieser Typ ist sehr zufrieden damit, nur 50 Käse im Jahr zu produzieren. Also hoffe ich, dass wir nicht sein Leben ruiniert haben...
artechock: Sie haben insgesamt fünf Jahre an diesem Film gearbeitet. Hatten Sie da irgendwann mal von Wallace & Gromit die Nase voll?
Nick Park: Ich dachte, das würde kommen. Aber selbst jetzt kann ich gar nicht anders als an neue Ideen denken. Jeder Film scheint der Anfang der nächsten Idee zu sein.
artechock: Können wir uns also auf einen weiteren Wallace & Gromit-Langfilm freuen?
Nick Park: Ich weiß nicht. Ich glaube, ich muss eine Pause machen. Und mich fragen: Mache ich etwas anderes? Ich möchte Wallace & Gromit nicht nur wegen kommerzieller Nachfrage machen.
artechock: Und wie wäre es mal mit einem ernsten Film?
Nick Park: Man braucht bei so einem Projekt etwas, um einen bei der Stange zu halten. Und der Humor ist das einzige, was mich bei der Stange hält.