»Man darf sich nicht schützen« |
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Werner Schroeter (vorne) mit Rosa von Praunheim |
2008 kehrte er an die Lido zurück, begrüßt wie ein alter Bekannter und doch in der heutigen Filmwelt fast ein Debütant: Werner Schroeter, in Georgenthal geboren und in Mannheim aufgewachsen, gehört zu den wichtigsten und einflussreichsten Künstlern der Bundesrepublik und des Nachkriegskinos. Zusammen mit Alexander Kluge, Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog und Volker Schlöndorff ist er eine Schlüsselfigur des „Neuen Deutschen Films“ zwischen 1970 und 1980.
»Ich suche in meiner Arbeit nach den vitalen Kräften Liebe, Tod und Leben, ich benutze Phantasmagorien und Utopien« – Schroeter begann mit Experimentalfilmen über Maria Callas auf Super 8 und eignete sich schon früh seinen unverwechselbaren Stil an: Stilisierte, melodramatische, in ihrer hochgeradig gekünstelten Ästhetik, in der Bilder, Musik und Sprache gleichberechtigt existieren, erinnern seine Filme die Beobachter an Opern, obwohl Schroeter dies, wie auch den Bezug auf die Idee des Gesamtkunstwerks, immer zurückgewiesen hat. Am ehesten vergleichbar mit und ein europäisches Pendant zum Werk Andy Warhols hat Schroeter seinen eigenen, sonambulen Kosmos erschaffen, der seinen eigenen Ort in Zeit und Raum hat, nur nach eigenen Regeln funktioniert, phantastische Filme in der Tradition des frühen Kinos. Aber diese erträumte Welt ist nur eine Seite von Schroeters Sehnsuchts-Kino: Die andere ist gekennzeichnet durch radikalen Realismus, eine fast dokumentarische Direktheit und Welterfahrung.
Neurasia (1968), Argila (1968), Der Bomberpilot (1970), Neapolitanische Geschwister (1978), Palermo oder Wolfsburg (1980), für den er den Goldenen Bär gewann, Das Liebeskonzil (1981), Der Rosenkönig (1986), Malina (1990) mag man in unserer Gesellschaft des Kurzzeitgedächtnisses kaum noch kennen – seinerzeit waren sie berühmt, preisgekrönt und größere Publikumserfolge.
Zuletzt ist er mit der Verfilmung einer Erzählung des Uruguayers Juan Carlos Onetti ins Kino zurückgekehrt: Para esta noche (Nuit de chien oder Diese Nacht). »Meiner Ansicht nach« sagte Schroeter zu diesem Projekt, »hat das Kino die Aufgabe, Utopien zu errichten, unsere inneren Tiefen auszuloten, und die Komplexität der Natur zu erkunden.« Es ist ihm oft gelungen, und des war immer spannend. Mit 65 Jahren ist Schroeter, bis zuletzt aktiv in der Arbeit stehend, am Montag gestorben.
Das nachfolgende Interview ist der Teil eines mehrtägigen Gesprächs über Schroeters Werk und Kunstauffassung, das im März 2009 begann, und im Juni und September weitergeführt wurde. Teil 1 erschien letzte Woche. Von Rüdiger Suchsland.
artechock: Sie inszenieren viel auf der Bühne. Wie stehen für Sie selbst die verschiedenen Felder Ihrer Arbeit zueinander in Beziehung?
Werner Schroeter: Ich sehe mich als musikalischen Regisseur, egal, was ich gerade inszeniere. Ich habe ja viel mehr Theaterstücke inszeniert, als Opern. Trotzdem glauben viele, ich sei vor allem ein Opernregisseur. Opern sind für mich mitunter eine Erlösung gewesen, weil die Opernsänger im Vergleich zu Schauspielern eine große Sicherheit ausstrahlen. Ich habe mich in der Opernregie aber immer darum bemüht, sehr reduziert zu arbeiten. Dieses Klischee „opernhaft“, das an mir dranklebt, ist aber eigentlich eine Unverschämtheit – obwohl ich das Beiwort richtig benutzt schätze: Weil es eigentlich eine der komplettesten Kunstformen meint: Bildende Kunst, Gesang, die Worte werden ihrer Banalität enthoben. Unter dem Aspekt lasse ich mich gerne opernhaft nennen. Aber nicht, wenn es heißt, bei mir sei alles Kitsch und bunt. Was meinen Sie, was ich da schon gehört habe – das ist Blödsinn.
artechock: Alexander Kluge, der lange ein Weggefährte war, betont gern die Ähnlichkeiten zwischen Kino und Oper. Berühmt ist seine Formulierung vom „Kraftwerk der Gefühle“…
Schroeter: Das hat er übrigens von mir, der Kluge. Kluge war einer der ersten, der Ende der 60er anfing, meine Arbeit zu schätzen, insoweit er die Lyrik und das Musikalische mochte. Er hat er auch immer gesagt, dass ich ihn mit zum Kino hin gebracht hätte. Am besten finde ich eigentlich seine Formulierung »In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod«, die er von Andreas Gryphius her hat. Aber »Kraftwerk der Gefühle« stimmt in jedem Fall. Das ist die einzige Waffe, die wir haben in einem Land, in dem Gefühle als Schande gesehen werden, und ihre Verkarstung als Weg zur Vergeistigung. Ohne Herzensbildung kommt man nicht voran. Das Gefühl als Träger des Ausdrucks ist eigentlich die humanste Idee, natürlich immer gekoppelt mit dem Denken.
artechock: Kann man das zusammenfassen: Was Sie mit Ihrer Arbeit letzten Endes bezwecken? Was alles vereint?
Schroeter: Eine Reaktion hervorzurufen, die zum Denken und Mitfühlen führt – ohne eine Wertung darüber abzugeben. Man muss die Augen öffnen. Kunstwirklichkeit hat nur Sinn, wenn sie die Wahrhaftigkeit der Welt, in der wir uns bewegen, trifft.
artechock: Ist Kunst eine Überlebenshilfe?
Schroeter: Ich finde, das Geschenk, das man kreativ sein darf, ist ein enormes Geschenk. Das ist ein Privileg, das hat man nicht verdient, das hat man geschenkt bekommen. Und das kreative Leben ist das Schönste, was es gibt. Das überträgt sich auch zurück auf die Beziehung zum Menschen. Die Phantasie in der Gestaltung von Beziehung wächst ja auch wenn man sich dauernd beschäftigt mit diesem ausdrücken-müssen, mit diesem zueinander-finden, diesem – nicht Zwang –, dieser Dringlichkeit. »Una necessitá interiore.« Und es ist einfach schön. Man soll das nicht verklausulieren oder codieren: Es ist einfach eine wunderbare Aufgabe.
artechock: Kunst kann einen stark machen, andererseits macht sie einen aber ja auch – oder ist das eine Täuschung – verletzlich…
Schroeter: Extrem. Das ist ja auch gut so. Die Offenheit, die erzwungen wird. Man muss sehr sehr sehr offen sein, man darf kein Selbstmitleid haben, man darf sich nicht sehr schützen. Braucht man auch nicht, wenn man ehrlich mit sich ist. Warum muss man sich dann so schützen?
artechock: Ihr letzter Film, Diese Nacht, gedreht nach einem Roman von Juan Carlos Onetti, Para esta noche, „Für diese Nacht“. Nuit de chien ist der französische Titel. Es handelt sich ja um eine einzige Nacht, in der der Film spielt. Und um eine Erzählung, die 1942 geschrieben wurde…
Schroeter: Da muss ich etwas ausholen: Ich habe eine sehr starke Beziehung zur lateinamerikanischen Kultur. Ich habe Lateinamerika und die dortige Lebensart für mein Herz und meinen Kopf erobert, und eine besondere Beziehung dazu entwickelt. Ich habe 1983 an der Universität von Buenos Aires ein Seminar geleitet. Das war noch in den letzten Krämpfen der dortigen Militärdiktatur. Diese Erfahrung endete schrecklich: Das ganze Seminar wurde mit dem Leben bedroht, ich bekam Anrufe, in denen eine unbekannte Stimme sagte »Aquii habla es muerte« »Hier spricht der Tod.«. Das haben wir eine Weile durchgehalten, dann verließ ich das Land. Ich wich der Gewalt. Es war ein unglaublich trauriger und pathetischer Abschied – das einzige Mal, dass ich öffentlich geweint habe.
Das war eine wichtige Erfahrung von Energie und Mut und Humor im Angesicht echter direkter Bedrohungen. Mich hat der Lebensmut dieser Menschen dort beeindruckt, die in einem »Dennoch« und in einem »Trotzdem« so starke Hoffnungen entwickeln. Das hat mein Verhältnis zu diesen Menschen über die Jahre gestärkt. Und dieser profunder Boden ist der Ausgangspunkt von Diese
Nacht.
Ich hatte beim Lesen das Gefühl: Das bin ja ich, diese Hauptfigur, dieser Künstler. Die Stadt in Buch und Film gibt es nicht, das ist die Essenz alle möglichen Stadtkulturen, ein Idealort.
Was Onetti an dem Stoff fasziniert hat, ist nicht das Konkrete – obwohl das nahegelegen hätte. Das Buch ist ja 1942 geschrieben, auf dem Höhepunkt des schrecklichen Zweiten Weltkriegs. Aber Onetti ist mit diesem Buch ins Universale gegangen, ins Kosmische fast, indem er in keiner Weise auf Hitler und Mussolini oder den spanischen Bürgerkrieg entwickelt, sondern die Dystopie einer nicht mehr lebbaren Stadtkultur zeichnet, in der eigentlich alle ehemals positiven Eigenschaften des Menschen sich in ihr Gegenteil verkehren, und alles in einem gegenseitigen Gemetzel endet – körperlich und psychologisch.
Aus dem Guten entsteht das Schlechte. In der Hilflosigkeit des sich nicht mehr befreien können vom Negativen bricht das ganze System zusammen. Eine Desasterstadt. Auch die letzte Hoffnung stirbt. Das ist so die Lebenssicht von Onetti, der auf der einen Seite ein großer Poet und Schriftsteller war, auf der anderen ein mitunter zynischer Nihilist. Diese Seite Onettis kann ich nicht teilen. Woraufhin es Reaktionen aus Uruguay gab, ich hätte endlich Onetti von seinem Zynismus befreit, ohne seinen scharfen Esprit zu verleugnen.
artechock: Das nehmen Sie natürlich als Kompliment…
Schroeter: Ja sicher. Für mich ist ja die Übertragung eines literarischen Werks in ein anderes Medium muss ja eine Verwandlung sein, es muss eine Neuschöpfung sein. Sonst tut man dem Autor keine Ehre an. Wenn man anfängt, so einen Film zu drehen, muss man das verdaut haben, was er geschrieben hat, und es gar nicht mehr Wort für Wort in Betracht ziehen müssen. Dieses Neue zu schaffen ist das Eigentliche sodass etwas Eigenes, Zeitgemäßes entsteht. Das ist für mich eine mögliche Übertragung. Das Nachstottern dieser Literatur, wie ich es gerade zuletzt in Deutschland gesehen habe – mit den neuen Buddenbrooks oder der zigsten Verfilmung von Effi Briest – das ist keine statthafte künstlerische Arbeit. Es geht um Neuschöpfung. Wenn ich ein Schriftsteller wäre und würde mich verfilmt sehen: Nachstottern Wort für Wort, dann würde ich mich ärgern. Ich würde mich auch freuen, wenn jemand etwas Neues damit anfängt.
artechock: Der Film handelt auch vom Tod. War es das, was Sie interessiert hat?
Schroeter: Ja, das ist zentral, und dass es mich interessiert hat, hat nicht nur mit meiner Krebserkrankung zu tun. Das Motto, das ich dem Film vorangestellt habe, spreche ich dort selber. Es stammt aus Shakespeares Julius Caesar, er sagt es in er Nacht vor seinem Tod: »Von allen Wundern, die ich je gehört, scheint mir das Größte, dass sich Menschen fürchten, da sie doch sehen, der Tod, das Schicksal aller, kommt, wenn er kommen soll.«
Ich glaube diese Art von Offenheit gegenüber der Todesidee, dieser grundsätzliche Existentialismus ist sicher stark bei Onetti vorhanden – aber eben gekoppelt mit diesem Humor. Schwarzer Humor ist ein gutes Mittel der Angstüberwindung. Aber der ist gar nicht mal schwarz, sondern violett. Das heißt: Hinter dem Humor steht eigentlich das Gegenteil von Nihilismus, nämlich Hoffnung. Seit meinen frühesten Tagen ist Ernst Blochs »Prinzip Hoffnung« für mich eine zentrale Lektüre gewesen. Ich komme immer wieder darauf zurück.
artechock: Trotzdem dominiert in diesem Film die Endzeitsituation. Spiegelt sich darin unsere Gegenwart? Sehen Sie unsere Zivilisation in ähnlicher Lage?
Schroeter: Ja. Was Mitteleuropa angeht, gibt es hier zwar sinnvoll gelebte Demokratien, aber doch eine große psychische Zerstörung. Die Wirtschaftskrise ist, wenn Sie so wollen, ein Ausdruck davon. Der Kapitalismus im Kopf ist in Lateinamerika – wo solche Krisen der Dauerzustand sind – nicht so weit hochgestiegen, dass er das Leben als solches infiziert. Das Kapitalverbrechen bei uns ist das Kapital selber – wenn es im Kopf festsitzt als dessen einziger Inhalt. Es ist banal, was ich sage, aber es ist wahr: In Afrika herrschen heute natürlich Zustände, die denen im Film sehr konkret nahe kommen.
Zugleich gilt: Es ist eine conditio humana, dass nichts wirklich gelingen kann. Es ist sozusagen eine Aufgabe, die uns Gott gestellt hat: Wie kann ich ein sinnvolles Gemeinwesen gründen? Wie kann man überhaupt jedem Menschen und seinem Recht zu leben, gerecht werden?