USA 2006 · 117 min. · FSK: ab 16 Regie: Zack Snyder Drehbuchvorlage: Frank Miller Drehbuch: Zack Snyder, Kurt Johnstad Kamera: Larry Fong Darsteller: Gerard Butler, Lena Headey, Dominic West, David Wenham u.a. |
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Martialische Kitschpostkarte |
»This will not be over quick. And you will not enjoy it«, heißt es an einer zentralen Stelle dieses Films, einer schwülstigen Sexszene, in der ein böser opportunistischer Politiker und Verräter die hehre Spartanerkönigin von hinten vergewaltigt. Und so geht es auch dem Zuschauer: Alles dauert zu lang, und macht keinen Spaß.
300 barbarische Selbstmordkrieger aus einem totalitären Stadtstaat in Griechenland kämpfen gegen die Armee einer zahlenmäßig wie technisch
überlegenen, aber ein wenig verweichlichten Zivilisation aus dem Osten – so oder so ähnlich ist ungefähr der Plot von 300, Zack Snyders schepperndem Animationsspielfilm nach Frank Millers gleichnamigem Comic. Der Film ist vieles in allem: Martialische Schlachteplatte, verkappter Schwulensoftporno und Futter für Nerds, Kulturpessimisten und frustrierte Altphilologen gleichermaßen. Kurz: Hollywood am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Kein Wunder, dass sich jetzt auch die Iraner so richtig aufregen.
Achmed Dschihad, bei dem keiner so ganz sicher ist, ob es sich nicht eigentlich um eine Erfindung des Weißen Haus handelt, um Wahrheit also um Ben Stiller, der von einem Studio in der Wüste von Nevada aus im Auftrag der CIA den Erzfeind Amerikas gibt, der iranische Präsident also, hatte vergangene Woche wieder mal Grund, beleidigt zu sein. Ein »Propagandawerk zur Verunglimpfung des iranischen Volkes und der „persischen Kultur“« sei 300, behauptete die Regierung in Teheran, und warf dem Westen vor, mit diesem angeblich von der Bush-Regierung finanzierten Film „psychologische Kriegsführung“ zu betreiben, und die Kriegsstimmung in Amerika anzuheizen. Auf Teherans DVD-Schwarzmarkt sind Raubkopien von 300 zwar derzeit ein Hit. Doch mit der Begründung, Zack Snyders Film sei »untrennbar mit den konzertierten Bemühungen in bestimmten westlichen Interessenkreisen verbunden, die iranische Nation zu dämonisieren«, hat Teheran nun bei den Vereinten Nationen Protest eingelegt.
Da täte man Zack Sznyder allerdings echt etwas zu viel der Ehre an. Und solche Vorwürfe verraten letztlich vor allem etwas über den Iran, ein Land, das in punkto Überwachung und Totalitarismus, dem antiken Sparta, zumindest jenem Mythos im erschreckt faszinierten Spiegel des Humanismus, tatsächlich ähnlicher sieht, als Athen, Rom und seinen Nachfolgern. Ganz glaubhaft ist die Überraschung allerdings nicht, mit der die verantwortlichen Studiobosse jetzt auf die verschiedenen politisch kulturellen Lesarten des Films reagieren. Denn Sparta war schon immer eine beliebte politische Metapher.
Etwa im Fall des nackten Jungen und seiner jungen Mutter, die ihm lachend die Brust eincremt. Gleich läuft der kleine Krieger davon, vielleicht zu ein paar Kampfspielchen. Geschützt wird er durch »Sparta«, eine Creme aus dem Haus 4711, neu entwickelt im Jahr 1939, aus dem die beschriebene, von optimistischer Stimmung dominierte Anzeige stammt. Der Junge hat einen Spartanerhelm auf, und so ist der wenige Monate später kommende Weltkrieg schon präsent in Bild wie Sprache: Sparta
ist der Inbegriff einer am Ideal des Militärischen und der Opferbereitschaft orientierten Gesellschaft, ein repressiver, gleichgeschalteter Staat, eine Erziehungsdiktatur, eines, modern gesprochen, faschistischen Staat. Und als solcher ein »Mythos des Alltags« (Roland Barthes).
Zugleich aber auch historische Wahrheit. »Heftig erpicht auf den Feind« seien die in Phalanxformation aufgestellten Hopliten, so sang Tyrtaios im 7. Jahrhundert vor Christus. Ein Ort der
Künste war Sparta nie, ebenso wenig einer der Freiheit und des Intellekt, und so gibt es an seinem Untergang eigentlich nicht viel zu bedauern. Und dieses Sparta soll jetzt auf einmal unser Identifikationspool und Ideal sein?
Kulturpessimismus ist letztlich eine ziemlich doofe Sache, und das ist, alles in allem, der Hauptgrund, warum Zack Snyders 300 auch ein ziemlich doofer Film ist. Interessant ist der Film allerdings auch, und das nicht nur, weil er ein Symptom ist für eine allgemeinere, ganz interessante Entwicklung. Nachdem schon seit knapp zehn Jahren – vgl. Braveheart, Gladiator, Patriot bis hin zur Verherrlichung der edlen Wilden in Mel Gibsons Apocalypto – die barbarischen Helden in Hollywood Konjunktur haben, entdeckt die Filmindustrie derzeit gerade ganz allgemein den diskreten Charme des Spartanischen und den Spartaner als Helden: Mit dem geknechteten Einzelkämpfer in David Mamets Spartan fing es, noch auf Arthouse-Ebene, an. Es folgten Robert De Niros The Good Shepherd über einen CIA-Agenten, der im Dienst für die Nation und gegen die bösen Kommunisten sein Privat- und sein Gefühlsleben opfert, sowie Clint Eastwoods Kriegsfilm Letters from Iwo Jima. Eastwood zeigt die einstigen Kriegsgegner aus Japan einerseits zwar als leidende, Schmutz und Qualen ausgesetzte Frontschweine, aber doch gewissermaßen pathetisch in ihrer Würde, in ihrem todesmutigen Pathos in den antiquierten, an Samurai-Ideale angelehnten Ritualen. Wer ein bisschen weiß von Japans Krieg in den 30ern und 40ern, der mag aber schon hier nicht mehr mitgehen, der mag nicht mit ansehen, wie Eastwood implizit das faschistische Japan verklärt.
Alle diese Figuren legen ähnliche Verhaltensweisen an den Tag: Sie sind überaus hart und gnadenlos gegen ihre Gegner, aber – und das ist das Entscheidende – kaum weniger gegen sich selbst. Zucht und Ordnung, Disziplin und Härte gegen alles »Schwache«, Schwächelnde und zwar zugunsten »höherer«, in jedem Fall abstrakter Ideale.
Das fügt sich in die allgemeine politisch-gesellschaftlich-kulturelle Landschaft, in der Sicherheit mehr gilt als Freiheit, in der Gleichheit
und Gleichmacherei eine neue Konjunktur erleben, in der aber auch das sanfte Bürgertum plötzlich Hedonismus und Spaßkultur ad acta legt und einer »Kultur des Verzichts« das Wort redet: Rauchverbote, die aktuelle Klimaschutzdebatte mit ihren rituellen Verzichtsappellen und dem altväterlichen »Weniger-ist-mehr«-Gerede, alltägliche Ernährungs-, Diät- und Schlankheitsdiskurse, Gesundheitswahn und Fitnesshysterie, reduzierter Datenschutz und ausgedehnter Überwachungsstaat
– all das ist die alltägliche andere Seite der Medaille »Sparta«.
Ganz neu ist das auch im konkret Politischen nicht, zumindest nicht außerhalb des Spektrums westlicher Demokratien. Dort war »Sparta« schon lange eine politische Metapher. Genau genommen ist sie das bereits spätesten seit dem preußischen Soldatenkönig, der aus seinem Land eine europäische Großmacht schuf, aber mittels eines »Vandalenregiments« (Voltaire), das Berlin »vom nordischen Athen zu dessen Sparta« (Friedrich der Große) werden ließ. Die Opposition Athen vs. Sparta
stammt schon von Thukydides und dort kommt Sparta erwartungsgemäß nicht gut weg. Recht zeitgemäß wirkt dessen Charakteristik im Hinblick auf heutige Großmächte:
»Denn die Lakedaimonier handeln für sich und für die Einrichtungen ihres eigenen Staates meistens mit Edelmut. Dazu aber, wie sie sich gegen die anderen verhalten, wäre viel zu sagen. Ganz kurz zusammengefasst kann man behaupten, dass sie, wie es nirgends, soweit wir wissen, so offenkundig geschieht, das Angenehme für
schön und das Vorteilhafte für gerecht halten... Jedenfalls greifen sie aus mangelndem Vertrauen in ihre eigene Streitmacht andere nur zusammen mit vielen Bundesgenossen an.«
So ging es weiter, bis hin zu den Spartakiaden und den Sportvereinen des Ostblocks, Sparta Prag, Sparta Sofia. Sparta war die DDR der Antike.
Beliebter als alles andere war in diesem Zusammenhang die Schlacht an den Thermophylen. Nach Überlieferung des griechischen Historikers Herodot stellten sich hier am 18. August 480 v. Chr. unter Führung des Spartanerkönigs Leonidas genau 300 Spartaner (und etwa 7000 Bundesgenossen) bei den Thermophylen der massiven Übermacht des vom Perserkönig Xerxes angeführten Perserheeres entgegen, und hielten die Perser zwei Tage lang auf. Am Ende waren alle Spartaner tot, doch die gewonnene Zeit gab den Griechen unter Athener Führung Gelegenheit, sich zum Gegenschlag zu sammeln. Der Perserkrieg endete mit Athens Sieg bei der Seeschlacht von Salamis; die Thermophylenschlacht aber begründete den Mythos des Spartanertums, und ist bis heute eine Metapher für positiv verstandene Disziplin und Opferbereitschaft.
Schon der griechische Dichter Simonides feierte sie im 5. Jahrhundert v. Chr., Friedrich Schiller übersetzte sein berühmtes Epigramm ins Deutsche: »Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest /Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.« Und formulierte so den soldatischen Ehrenkodex wie die Vollendung männlichen Daseins in Kampf und Tod. Und 150 Jahre später schrieb der Kommentar des »Völkischen Beobachter« am 18. April 1945 über die Oder-Offensive der Roten Armee: »Hier kämpft Europa in einer Front mit allen seinen großen Geistern der Vergangenheit. Hier steht das antike Griechenland wieder bei den Thermopylen und bei Salamis in seinem Entscheidungskampf gegen den persischen Osten«
Für die Nachwelt steht die Schlacht für das sinnvolle Sterben, den siegreichen Tod, den Kampf für die Freiheit Griechenlands gegen die anstürmenden Barbaren aus dem Osten.
Es ist exakt diese Geschichte, die US-Regisseur Zack Snyder bekannt durch den Horrorfilm Dawn of the Dead, nun erzählt, dabei ganz konzentriert auf die spartanische Seite. Beginnend mit Persiens Gesandten, über Spartas Weigerung zu Konzessionen, innerspartanischen Disputen steuert alles auf die Schlacht zu, die eine gute Stunde des Films einnimmt, breit, in leuchtenden Farben und plastischen Effekten ausgemalt wie ein barockes Schlachtengemälde, ergänzt um einen Epilog, der die Verbindung zur Gegenwart herstellt, sozusagen die Moral von der Geschichte ausbreitet.
Aber nicht erst hier, während der Moralpredigt, fangen die Probleme an. Dramaturgisch gibt es von Anfang an ein offenkundiges Dilemma: Jeder halbwegs gebildete Zuschauer kennt die Fakten, weiß von Anfang an, wie es ausgeht, ist sich bewusst, dass alle Figuren die eingeführt und in bombastischer, reichlich unsubtiler Bildsprache zu Helden stilisiert werden, todgeweiht sind. Das ist nicht spannend und nicht schön, es distanziert, erst recht weil man sich instinktiv der allzu platten Parteinahme des Films widersetzt, sich den aufoktoierten Haltungen widersetzt.
Die Vorlage für 300 bildet zudem beileibe nicht allein Herodot, sondern vor allem die gleichnamige Graphic Novel, die von Frank Miller stammt, einem der bekanntesten und einflussreichsten Comic-Autoren der Welt, und die wiederum angeblich vom Kino inspiriert wurde: von Rudolph Matés The 300 Spartans (»Der Löwe von Sparta«). Auf Millers »The Dark Knight Returns« (1986) geht die Wiederbelebung der Batman-Figur und die Kinofilme Tim Burtons zurück, ebenfalls verfilmt wurden Daredevil und zuletzt Sin City. Immer wieder war Millers Werk mit dem Vorwurf konfrontiert, gewaltverherrlichend an niedere Instinkte appellierend, politisch reaktionär zu sein, und nie fiel es so schwer, es dagegen zu verteidigen, wie hier.
Denn Snyder fehlt das Können und vor allem der Geschmack eines Tim Burton und Robert Rodriguez (Sin City), deren Lust an Brüchen und Differenzierung. Er simplifiziert die nicht sehr subtilen Botschaften Millers noch weiter. Das gilt nicht allein für den eigentlichen Plot und die ebenso schlichten wie platten Dialoge, »Spartans prepare for Glory«, pathetischer Scheiß wie »no place for weakness only the hard and the strong«, der nur selten den sprichwörtlich »lakonischen« Spartanercharme entfaltet: »Unsere Pfeile werden den Himmel verdunkeln.« – »Dann kämpfen wir im Schatten.« Es gilt auch fürs Ästhetische, für Stil und Look des Ganzen: Keine Sekunde lässt 300 vergessen, dass die Darsteller im Studio vor blauer Leinwand agierten, alle Hintergründe und Statisten per Computer eingefügt wurde. So billig wie auf einer Kitschpostkarte sehen die Kulissen aus. Und auch die weitgehend unbekannten Darsteller mussten ihre Körper nachcolorieren und um virtuelle Muskelpakete erweitern lassen. Nun bleibt ihnen die Ausdruckskraft von Pornodarstellern. Ihr blutleeres Spiel wirkt tatsächlich so starr wie das von Plastikfiguren, und jedes Wort ihrer Sätze fällt wie ein nasser Sack zu Boden: »Das! Ist!! Sparta!!!«.
Das Ergebnis schillert zwischen Herr der Ringe-Sumpf und Riefenstahl-Ödnis, ein Propagandafilm übelster Sorte – wenn er nicht auch noch dumm wäre. Durchhaltekino mit offenkundiger, auf den Irak-Krieg gemünzter Botschaft. Ärgerlich, wie plump der Film auf seiner wertenden Entgegensetzung Orient-Okzident herumreitet, wie rassistisch und politisch reaktionär der Film ist, in seiner Zeichnung der Orientalen als degenerierte Krüppel, tuntig-dekadente Perverslinge und aller Nicht-Kämpfer als implizite Verräter, d.h. als Leute, die politischen Lösungen den Vorzug vor militärischen geben.
Aber ist doch alles nur Unterhaltung? Kann man immer sagen. Aber wenn Filmregisseure sagen, »Wir wollen unterhalten. Sonst nichts«, wird es immer gefährlich. Denn dann kann man sicher sein: Der Film ist mehr als Unterhaltung und wahrscheinlich ist er auch noch schlecht. 300 lebt von der Behauptung »dass Freiheit nicht umsonst zu haben ist«. Sie ist ebenso wahr, wie allgemein und nicht neu. Sparta ist zu ihrem Beleg ein denkbar falsches Beispiel. Die Spartaner, jedenfalls die des Films, sind kriegs- und todessehnsüchtige Spinner, deren Leben auf den »schönen Tod«, sprich das »Fallen« in der Schlacht ausgerichtet ist, ein »Sein zum Tode«.
Man könnte nun also lange darüber debattieren, ob dies nun ein US-amerikanischer Wehrertüchtigungsfilm zu Hard-Rock-Musik ist, rassistisches Propagandakino, das Iraner beleidigten und auf den nächsten Krieg einstimmen will, oder ob hier nicht vielmehr die Spartaner als rückwärtsgewandte fanatisierte Selbstmordkämpfer erscheinen und die Perser als zivilisatorisch haushoch überlegene, aber ein wenig dekadente Macht, die sich von ein paar wenigen Entschlossenen aus dem Konzept bringen lässt.
Aber vielleicht tut man dem Film mit alldem einfach nur viel zuviel Ehre an. 300 ist schlechtes Kino, das kaum die Qualität der berüchtigten italienischen Sandalenfilme aus den 60er Jahren erreicht, nicht romantisch, sondern nüchtern betrachtet nur albern und unfreiwillig lächerlich.
Sind Sie ein 13-jähriger Zahnarzt und Heavy-Metal-Fan mit NPD-Parteibuch und unterdrückten homoerotischen Neigungen? Nein? Zu schade – Sie wären genau die Zielgruppe für diesen Film gewesen.
Wie, das leuchtet Ihnen jetzt nicht spontan ein? Bei einem Film über die historische Schlacht von Thermopylae, wo 300 Spartaner sich gegen Abertausende Perser gestellt haben sollen?
Muss man denn wieder alles erklären? Ja? Na gut...
Also: Wenn Sie schon mal Bilder aus dem Film gesehen haben, dann verstehen Sie vielleicht wenigstens schon mal das mit dem 13-jährigen Heavy-Metal-Fan. Wo die Comicvorlage zwar vielleicht nicht Frank Millers größtes zeichnerisches Meisterwerk ist, hat sie doch immerhin einen schön dunkel-schattenreichen, grobkantigen, »schmutzigen« Stil. Nachdem dieser für diesen Film durch die digitale Bildermühle gedreht wurde, bleiben davon vor allem die matschigbraunen Farben. Der Rest aber hat plötzlich die pubertäre Ästhetik von schlechten Mitt-80er-Jahre Metal-Albumcovern angenommen: Dreiviertelnackte Männer mit unnatürlichen Muskelbergen, die geifernden Monstern ihre Schwerter entgegenstrecken. Das sieht alles eher nach dem Frazetta als dem Miller Frank aus, oder nach Boris Vallejo.
Und es schrammt nur ganz knapp am Computer-Zeichentrickfilm vorbei: Grade noch die Protagonisten sind überwiegend und weitgehend »real« – und selbst denen hat man am Rechner die ein oder andere Muskelwulst mehr in den Waschbrettbauch manipuliert. Für einen Film, in dem es so viel um Körper geht, ist das oft eine seltsam körperlose Angelegenheit; eigenartig distanzierend liegt der High Tech-Firnis über dem antiken Lo Tech-Gemetzel.
Eins aber ist durch und durch
und ganz und gar pures Comic: Gerard Butler. Die alte Knallcharge (Dracula 2000, The Phantom of the Opera) lässt mit seiner Interpretation des König Leonidas noch jeden durchschnittlichen Militärausbilder wie einen subtilen, nuancierten Shakespeare-Mimen wirken. Seine einzige Art, Sätze
vorzutragen, läßt den Verdacht aufkommen, er wolle vor allem eine Ferndiagnose seines kompletten Gebisses ermöglichen. Er fletscht die Zähne und beißt sie zusammen und reißt das Mäulchen auf, um seine Spartacken voranzubrüllen – und man sitzt da und denkt: »Ach schau, Vierer oben links, kariös.« (Man muss zu des Armen Ehrenrettung fairerweise sagen: Die Sätze, die ihm das Drehbuch in den Mund legt, sind freilich kaum dazu angetan, anders artikuliert zu werden...)
Womit
jedenfalls auch der Zahnarzt erklärt wäre.
Das alles wäre erstmal nicht weiter schlimm oder sonderlich erwähnenswert, teilweise durchaus von unfreiwillig trashigem Unterhaltungswert, und letztlich auch Geschmackssache.
Wo’s dann schon ein bisserl unangenehmer wird ist, wenn man sich zwischenzeitlich doch von der dentalen Präokkupation losreißt und lauscht, was der Herr Butler da so zwischen seinen Beissern mit monotoner Emphase hervorstößt.
Denn das kennt man sonst mit texanischem Akzent: In circa jedem
zweiten Satz fällt die Worthülse »Freedom«, und dauernd wird erklärt, wie wichtig es wäre, die heimischen, »zivilisierten« Werte gegen die bösen Angreifer mit militärischen Mitteln und bereits auf fremdem Territorium frontzuverteidigen. Wie sehr das der Rhetorik von George W. Bush gleicht, kann einfach kein Zufall sein. (Zumal das Gerede von Freiheit und Demokratie ja im totalitären Staat der Spartassen noch deplazierter ist als in Bushs Amerika.) Dass die schlimmen, schlimmen
Feinde und Freiheitsbedroher dabei just die Perser sind, also die Vorfahren der heutigen Iraner... Ein Schelm, der Böses dabei denkt?
Aber auch das würde man vielleicht mit nur ein bisschen Bauchgrimmen hinnehmen. Wäre 300 eben nur militaristisch, oder hauruck-patriotisch, oder sehr amerikanisch rechtskonservativ.
Doch der Film ist mehr, und er ist es derart lehrbuchmäßig, dass es fast schon wieder komisch sein könnte, wenn’s nicht so traurig wäre: 300 ist im vollen, exakten und engen Sinn der Definition faschistisch. Er wirkt dabei manchmal, als
hätte ihn sich Klaus Theweleit persönlich bestellt, weil er’s leid war, für seine Faschismusanalysen immer auf eine ganze Reihe von Beispielen zurückgreifen zu müssen, und er jetzt endlich mal alle wesentlichen Merkmale in einem einzigen handlichen Filmpäckchen zum Mitnehmen haben wollte.
Und lang warten muss man dabei auch nicht: Es geht gleich los damit, dass die »lebensunwerten«, weil nicht dem soldatischen Übermenschen-Ideal der Spartanesen entsprechenden Neugeborenen im Abgrund entsorgt werden. (»Ja, aber,« höre ich’s aus den hinteren Reihen grummeln, »das war halt damals so, das haben die Spartakisten doch so gemacht«. Und wenn? Dann bleibt ja immer noch die Frage, wie man’s darstellt, wie man sich selbst dazu verhält. Es gäbe ja auch zwanglos die Möglichkeit, so eine »rassenhygenische« Babytötung anders rüberzubringen als in düster-ehrfurchtsgebietendem, heldischem Raunen. Oder drehen wir demnächst Dritte Reich-Filme, in denen der Holocaust als schon irgendwie hart, aber halt auch notwendig gezeigt wird, weil »Das war halt damals so, die Nazis haben das so gesehen«?)
Falls jemand Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme hegen sollte: Der Film führt als Figur einen Mißgebildeten ein, der durch eine List seiner Eltern diesen Euthanasie-Maßnahmen entkommen ist. Der ist dann auch gleich nicht einfach so ein bisserl krummer gewachsen, nein, der ist ein buckliges, klumpiges Monster. Das sich auch noch anmaßt, mitmachen zu wollen bei den ranken, kraftstrotzenden Kriegern.
Da ist dann, gottseidank!, Leonidas vor, der umgehend erklärt, warum das
nie und nimmer geht: Der arme Krüppel kann seinen Arm nicht hoch genug heben, um sein Schild in der (aus Asterix wohlbekannten) Formation des »Schildkrötenpanzers« nahtlos in die anderen einzureihen – wodurch sich eine inakzeptable Lücke in der Deckung böte.
Das allerdings ist nun wirklich großartig. Sinnfälliger hat noch kaum jemand faschistische Ideologie in ein konkretes Bild gefasst: Das Individuum, der einzelne Körper, hat völlig aufzugehen in der
gleichgeschalteten Masse, und noch die kleinste Abweichung in der Masse, jedes Anzeichen von Andersartigkeit, ist sofort eine tödliche Bedrohung für den gesamten »Volkskörper«, muss ausgesondert werden.
Spätestens seit den ‘70er Jahren und noch bis vor Kurzem wäre der Weg einer solchen Figur im US-Mainstream-Kino ziemlich eindeutig vorgezeichnet gewesen: Aufgrund ihrer körperlichen Behinderung von der Gemeinschaft verstoßen, hätte sie eine Möglichkeit gefunden, ihren
Wert auf eigene Faust zu beweisen, hätte am Ende doch überraschend irgendeinen kleinen, rettenden Beitrag geleistet.
Nicht so in 300: Hier wird sie nach der Zurückweisung prompt zum üblen Verräter, läuft zum Feind über und ist die verhassteste, verachtetste Figur im ganzen Film.
300 ist eine einzige Feier des soldatischen Leibs. Der ist ihm das Höchste, das Schönste, das Geilste, das einzig Wahre.
Grade mal mit gutmütig mildem Lächeln nimmt er es hin, wenn sich auch Amateure (Bauern, Handwerker oder, huch, Geistesmenschen) am Krieg versuchen, und lässt sie halt ein bisserl mitspielen, so gut sie können. So ein Volkssturm ist ja doch was Nettes, und wie bei einem Drittliga-Verein im DFB-Pokal kann da purer Enthusiasmus schon mal
halbwegs weit tragen – aber auf Dauer, das ist klar, haben nur die Vollprofis was auf dem Schlachtfeld verloren.
Nein, am liebsten sind die Elite-Soldaten unter sich, und man wird das Gefühl nicht, dass das mit mehr als nur ihrem Handwerk zu tun hat. Denn die gestählten Kerle in ihren Lederbikinihöschen haben, wie sie da in Reih und Glied einhermarschieren, mehr als nur ein bisschen Männerbündisches mit gewissen Untertönen an sich.
Auch das ist purer
Lehrbuch-Faschismus: Die latente Homoerotik des Leibes – die selbstverständlich unausgesprochen und (offiziell) unausgelebt bleiben muss. Und gerade deswegen als eines der schlimmsten Feindbilder das hat, was sie sich selbst versagt.
Wie der Film das inszeniert, ist fast schon wieder großer Camp: Denn die bösen Perser, angeführt von ihrem lasziv-androgynen, schwarzen König Xerxes zeigt er allesamt als offen schwul, oder bi, oder polymorph pervers. Was soll man noch viel
sagen über einen Film, in dessen Abspann solche Rollenbezeichnungen stehen: »Transsexual #1 (Arabian), Transsexual #2 (Arabian), Transsexual #3 (Asian)«. (Und ist es nicht wieder entzückend, wie sich da bei den Persern einfach alles tummelt, was für die Spartaküsse irgendwie »fremd«, »anders« ist? Selbst historisch verfeindete Nationalitäten?)
Zum Glück bin ich kein Freudianer, sonst gäb’s jetzt auch noch einen Absatz darüber, warum Leonidas am Ende Xerxes seinen Speer
ausgerechnet in den Mund zu schleudern versucht.
Gegenüber dem Comic ist der Film insgesamt viel mehr auf die spartastische Gesellschaft insgesamt fixiert als auf das bloße Schlachterlebnis der Soldaten. Hier wird die Heimatfront zum ausführlichen Nebenschauplatz. Auf dem vorgeführt wird, was von Leuten zu halten ist, die anfangen, die einmütige Zustimmung des Parlaments zum Kriegseinsatz in Frage zu stellen. Solche Volksverräter und Störenfriede sind, man hat es ja schon immer geahnt, lüsterne, hintertriebene und in Wahrheit allein auf die eigene Macht bedachte Schweine. Der Tod ist grade gut genug für sie. Eine Opposition mit echten Argumenten kennt 300 selbstverständlich nicht.
Und à propos Tod: 300 hätte das kleine 1x1 des faschistischen Films freilich niemals vollständig durchexerziert, stünde am Ende der Triumph in Form eines tatsächlichen Siegs. Nein, das weiß jeder: Was dem Durchschnittsmenschen sein Orgasmus, ist dem Faschisten seine todessehnsüchtige Untergangsfantasie. Nichts geht über einen zünftigen Heldentod. Denn nur darin findet sich die vollste Erfüllung. Ein siegreich aus der Schlacht heimkehrender Soldat
ist nichtmal halbsoviel wert wie ein auf dem »Feld der Ehre« für »Volk und Vaterland« dahingeschiedener.
Und auch in dieser Hinsicht macht 300 brav sein Häkchen hinter das Kästchen auf der Checkliste.
Man wäre also eigentlich relativ bald fertig mit diesem Man'o'War-meets-Veit Harlan-Spektakel (und mit der Welt, angesichts dessen unbeeindruckten Erfolgs). Gäbe es da nicht noch eine potentiell interessante Aussage des Regisseurs zu dem ganzen Thema.
Jetzt ist es freilich grundsätzlich nicht ausschlaggebend, was ein Künstler vorgibt, gewollt zu haben, sondern letztlich einzig, was er wirklich gemacht hat. Und bei seinen öffentlichen Auftritten auf der Berlinale und in
einigen Interviews spielte Jack Znyder sowieso stets den Unreflektierten. Nun gut, der Mann will ja weiter in Hollywood arbeiten, und er dürfte ziemlich genau wissen, was Studios ab einem gewissen Budget von Regisseuren halten, die zuviel denken. Oder die gar anfingen, öffentlich in Zusammenhang mit ihren Filmen von Politik oder Faschismus zu sprechen.
Jedoch: Leute, die mit Znyder während der Berlinale privat und »off the record« gesprochen haben, haben mir aber glaubhaft
versichert, dass er da andere Töne anschlug. Okay, ich war nicht dabei, und, gut, seine Interviews liefern Indizien, dass Znyder einfach immer gerade das erzählt, was sein jeweiliger Gesprächspartner offenbar hören will. Aber jedenfalls: Da hätte Znyder gemeint, 300 sei halt ein Promo-Video für die Spartaner aus Sicht der Spartaner. Es sei jedoch wohl von Minute eins an, wenn die Babys ausselektiert werden, offensichtlich, dass die Spartaner faschistische
Ärsche wären und man sich als denkender Mensch keinesfalls auf ihre Seite schlagen soll.
Je nun. Auf Letzteres können wir uns zwanglos einigen. Aber wenn wir jetzt mal davon ausgehen, dass die Komik von Gerard Butlers Spiel und des Trash-Appeals der pubertären Metal-Ästhetik tatsächlich unfreiwillig ist. Wo wäre dann in dem ganzen Film irgendwo das Moment, das mir nahelegt, dass er eine innere Distanz zum Dargestellten hat. Die Inszenierung, die Actionszenen, die Musik, der ganze Tonfall scheinen nie etwas anderes zu wollen, als einen in ihren Bann zu ziehen.
Und da
kann ich einfach nicht erkennen, wo im Endergebnis der große Unterschied sein soll zu einem Fascho-Promo-Video, das von authentischen Faschisten gemacht wurde.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es geht weder darum, der Popkultur die Darstellung von oder Auseinandersetzung mit faschistischen Welten zu untersagen. Noch um die Forderung, da solle dann bitte gefälligst jemand mit erhobenem Zeigefinger schön brav explizit in die Kamera sagen: »Faschismus ist fei böse! Nicht nachmachen, liebe Kinderlein!«
Nein – aber was mir schon unerlässlich scheint ist, dass auf irgendeine Weise spürbar wird, dass man ein Problem mit der
gezeigten Welt haben darf und soll. Im Gegensatz zu einer Doku scheint es mir für einen Actionfilm eine aussichtslose Strategie, auf Selbstentlarvung des Gezeigten zu setzen, wenn man es zugleich möglichst anziehend inszeniert.
Der Vergleich ist instruktiv mit der bisher wohl gelungensten Auseinandersetzung des Hollywood-Actionkinos mit (seinen teils eigenen) faschistischen Tendenzen: Paul Verhoevens großartigem Starship Troopers.
Auch da gibt es keine Instanz im Film, die ausdrücklich eine Gegenposition zu dem seine Welt beherrschenden Faschismus einnimmt. Und der versteht es, durchaus auch den Reiz faschistischer (Über-)Machtfantasien und lustvoller Zerstörung, Vernichtung zu zelebrieren. Grade dass er diesen nicht naiv leugnet, macht ihn so spannend. Aber Starship Troopers ist zugleich jederzeit erkennbar eine finstere (und saukomische) Satire auf eine faschistische Gesellschaft, und er hat ein Auge dafür, wo deren Schwachstellen, Knackpunkte sind. Das ist es, was 300 völlig fehlt.
»Ja, aber,« melden sich schon die ganze Zeit wieder die Leute aus der letzten Reihe, »der Film ist doch NUR UNTERHALTUNG. Das muss man doch alles nicht ernst nehmen!«
Oder, wie der Tenor diverser Kritiken war: Ja, ja, das stimmt ja schon alles. Aber wenn man es mal ausblendet, kann man sich an der (für manchen Geschmack offenbar) coolen Oberfläche des Films doch erfreuen.
Nur: Wenn man so will, kann man das von Hitlerjunge Quex oder Triumph des Willens ja nicht minder behaupten. Vielmehr ist es ja grade das, was gelungene Propaganda ausmacht: Einen Oberflächenreiz zu bieten, der mitreißend genug ist, um grade auch die zu erreichen, die mit der Ideologie dahinter zunächst erstmal (noch) nichts anfangen können.
Ist 300 Propaganda? Keine
Ahnung – denn Propaganda würde für mich eine bewusste Absicht dahinter voraussetzen, und ich halte es nach wie vor für wenig wahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen, dass die Macher hier einfach nur dumm waren und das faschistische Brimborium unreflektiert reizvoll fanden. Und so oder so besteht freilich nicht die Gefahr, dass ein aufgeklärter Mensch, der heute sein Vergnügen an 300 hat, morgen mit steif nach oben gerecktem rechtem Arm
aufwacht.
Aber darum geht es doch zunächst auch nicht. Etwas muss ja nicht gleich gemeingefährlich sein, um es erstmal schlicht bäh zu finden. Mir graust’s schlicht davor, dass offenbar Horden von Menschen bereit sind, einen Film wie 300 ohne das kleinste bisschen Magenbeschwerden zu schlucken.
Die Frage ist ja nicht, was Spaß macht, wenn man sich nur drauf einlässt. Die Frage ist, worauf man bereit ist sich einzulassen, um Spaß zu haben.