Deutschland 2001 · 80 min. · FSK: ab 12 Regie: Stanislaw Mucha Drehbuch: Stanislaw Mucha Kamera: Susanne Schüle Schnitt: Stanislaw Mucha |
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Janko Zawacki – Andy Warhols Cousin aus Miková |
Man hat sich für Bilder von Andy Warhol entschieden, die etwas mit der Region zu tun haben, erzählt der Museumsdirektor. An der Wand hinter ihm lehnt einer von Warhols »Absolut Vodka«-Drucken.
Auch die Kuh ist sehr populär. Und Lenin.
Das Dach ist undicht in Europas größtem Pop-Art-Museum. Aber Besucher, die das stören könnte, gibt es sowieso keine. Das bisschen staatliche Stütze legen die Leute lieber in Alkohol an statt in Eintrittskarten, hier in Medzilaborce. Was der
Museumsdirketor nicht verstehen kann. Wo sie sich doch in seinem Haus so eine schöne Katharsis holen könnten.
Nicht nur Bilder und Objekte hortet er unter seinem triefenden Dach – auch Devotionalien, Reliquien: Warhols Taufkleid. Ein Notizbuch seiner Mutter. Eine Platte mit ihrer Stimme. Eine seiner Brillen. Alles, was irgendwann mal Berührung hatte mit ihm.
Denn Andy ist ein Heiliger hier. Er ist der Beweis, dass einer aus Ruthenien kommen kann, diesem vergessenen Flecken
zwischen Slowakei, Polen und Ukraine, und Weltruhm und Glück finden kann. Auch wenn eigentlich nur seine Eltern von hier sind. Und er in Amerika geboren wurde. Und er nie hier war.
Aber den Besuch, den hatte er fest geplant, erzählt man sich.
Überhaupt müsste das Museum ja in Miková stehen, dem Nachbarort, aus dem »Andrijkus« Eltern wirklich stammen. Aber auch da waren die anderen mal wieder schneller und geschickter, auch das hat man ihnen genommen, wie so ziemlich alles, und sie waren mal wieder die Verlierer.
Man hat jetzt Demokratie, aber keine Arbeit. Bleibt nicht viel außer den kleinen Gärtlein, die auch nichts mehr Rechtes hergeben wollen. Pilzesammeln, trotz Tschernobyl. Und der Vodka.
Und der Stolz auf den
Sohn der Heimat Andy, den sie alle kennen, draußen, in der großen Welt, was und wo immer die sei. So genau wissen die wenigsten, womit sich Andy Ruhm und Ehre erworben hat. Aber das sind doch unwichtige Details. Hauptsache einer von ihnen, wenigstens einer, hat es zu was gebracht. Und bewiesen, dass das, was sich so Leben schimpft hier, noch nicht alles gewesen sein muss.
»Dokumentarische Komödie« nennt Stanislaw Mucha seinen Film. Aber lachen kann man zunehmend nur über die schlechten Scherze, die sich Gott mit den Menschen erlaubt. Es wirkt so, als wäre auch bei Mucha und seinem Team am Anfang wenig da gewesen außer der Amüsiertheit darüber, dass man die ärmlichen Verwandten eines der größten Künstler des 20. Jahrhunderts zu sehen bekommt und die meisten davon recht kaputte Existenzen sind.
Doch diese Menschen wissen durchaus, ihre »15 minutes of
fame« zu nutzen; lassen sich so schnell nicht einschüchtern und auf eine freak show reduzieren, wissen – selbst die alten Frauen – sich der aufdringlichen Kamera zu erwehren.
Auch wenn Mucha einen ruthenischen Warhol-Doppelgänger Campbell-Suppendosen verteilen und Akkordeon spielen lässt – immer mehr verliert das Phänomen Warhol an Bedeutung in diesem Film. Man beginnt zu begreifen, dass für Pop-Art im Leben dieser Menschen tatsächlich kein Platz ist. Dass die
Diskurse, in denen Warhols Kunst etwas bedeutet und bewirkt hier unendlich fern sind, und reichlich akademisch.
Der Film beginnt, die Menschen aus Miková und Medzilaborce zunehmend ernst zu nehmen, aber er solidarisiert sich nicht einfach mit ihnen. Er läßt schmerzlich ihre fast verdorrte Sehnsucht nach etwa Größe, Stolz, Glück spüren – aber er ignoriert nicht die erschreckende, brutale Enge ihres Horizonts. Dass diese Leute bemalte Schuhe, die Andy geschickt hat, aufgetragen haben, dass sie mit Bildern, die er sandte, nichts anzufangen wussten, die Kinder daraus Trompeten gebastelt
haben, das ist noch ein tragikomischer Gag. Auch, dass man nicht verstehen mag, warum Andy nie heiratete. Aber wie aggressiv die Vorstellungen zurückgewiesen wird, Andy könnte »so einer« (das Wort homosexuell wagt man gar nicht zu sagen) gewesen sein, das ist nicht mehr lustig.
Die Menschen sind weit heruntergekommen hier, aber sie suchen sich immer noch welche, auf die sie herabgucken können, und sie tun das, selbst wenn sie Museumsdirektor sind, ohne humanitäre Scheu oder
Scham. Sinti und Roma läßt man es schon noch schlechter gehen als sich selbst. Viel Freiraum für Abweichler und Außenseiter wird in dieser Welt nicht eingeräumt.
Und auch, wenn es immer wieder Momente gibt, wo sich die Menschen vor der Kamera ein Stückchen Würde zurückerobern können: Mucha hat wahrlich keine Idylle zu bieten, wo die Leute arm, aber glücklich, herzlich, nah an irgendeinem Naturzustand wären. Sicher, sie erweisen dem Filmteam Gastfreundschaft. Aber dann kommt es fast
zu Handgreiflichkeiten, weil der eine dem anderen vorwirft, beim Ständchen für die Deutschen falsch zu singen.
Was lediglich mit dem absurden Kontrast beginnt zwischen Warhol, dem Pop-Art-Paten von Weltrang und seinen Verwandten in der erbärmlichen Provinz-Vorhölle, rührt – ohne das je offen zu tun – letztlich an ganz große Fragen.
Wie das denn so ist mit dem Wert, dem Wollen, dem Wirken von großer Kunst, das läßt sich in Medzilaborce weniger leicht beantworten als in New York. Und man kommt bei Absolut Warhola sehr leicht ins Grübeln darüber, welch schöne
Kunst-Welten sich jene (also: wir) schaffen können, die das Schicksal mit den richtigen Gaben zur richtigen Zeit an den richtigen Ort befördert hat, während anderen jede Möglich- und Fähigkeit abgeht, auch nur zu fliehen vor dem Elend, in dem sie leben.
Ob die Leute sehr religiös sind in Miková, zeigt der Film nicht explizit. Aber zumindest scheint es sehr viele Kruzifixe zu geben in der Gegend, und zu den wenigen künstlerischen Betätigungen gehört es offenbar, Blech-Jesuse für die
Marterln zu malen. Andere Zeichen dafür, dass es einen Gott gibt, vielleicht sogar einen gerechten, und dass der Mensch zu Höherem geschaffen ist, die sieht man nicht.Was es für diese Menschen tatsächlich Sinnvolleres geben könnte, als sich den Frust wegzusaufen – da fällt dann selbst dem Dorfpfarrer nur ein, dass er mal im Hotelfernseher eine wunderbare Szene gesehen hat, aus »Jesus Christ Superstar«.