USA/F/GB 2003 · 108 min. · FSK: ab 0 Regie: Woody Allen Drehbuch: Woody Allen Kamera: Darius Khondji Darsteller: Woody Allen, Jason Biggs, Fisher Stevens, Anthony Arkin u.a. |
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Christina Ricci und Jason Biggs |
Es ist allgemein bekannt, dass Woody Allens Filme, zumindest die, in denen er eine tragende Rolle hat, von ihm selbst handeln. Das ist durchaus unterhaltsam und passt hervorragend zur Tradition der New Yorker Intellektuellen, die nicht müde werden, sich selbst und ihre Analytiker durchzudiskutieren. Mit Anything Else legt er einen weiteren Film dieses Genres vor, der mit fast einem Jahr Überhang nun auch in Deutschland ins Kino kommt.
Jerry Falk ist Comedy-Autor. Leider fällt ihm nicht genug ein – sein Privatleben hat eher tragische Züge. Seine Freundin Amanda entzieht sich ihm, quartiert dafür aber ihre Mutter in seinem Arbeitszimmer ein. An den Fähigkeiten seines Agenten zweifelt er zunehmend – ist er doch der einzige Klient. Und sein Psychoanalytiker kann auch nicht helfen. Die Ratschläge seines Kollegen Felix Dobel – ''Befreie Dich von allem Ballast'' – scheinen klug, aber Falk hofft, dass sich die Dinge auch so einrenken können. Vor allem die Beziehung zu Amanda, die ebenso sehr durch ihre Bindungsunfähigkeit belastet wird wie durch seine hingebungsvolle Passivität.
Die Rolle von Allens jungem Alter Ego spielt Jason Biggs, bekannt geworden vor allem als Hauptdarsteller der drei American Pie-Filme. Er beweist sich als durchaus fähig, die Rolle des jugendlichen Neurotikers auch in nicht klamaukigem Kontext auszufüllen. Biggs greift damit die Rolle auf, die Allen selber so oft gespielt hat: den verunsicherten, von Selbstzweifeln zernagten Kreativen, dem es schwer fällt, sich zu behaupten. Zur Verstärkung dieses Effekts ergänzt der Regisseur ihn mit einem väterlichen Freund und Ratgeber, den er selbst spielt: Woody Allen verdreifacht sich gleichsam mit seiner imaginierten Doppelrolle als Leinwandfigur und als Selbst-Darsteller. Allerdings ist die Spiegelung nicht unverzerrt – das zeigt schon Dobels Waffen-Fetischismus, der so gar nicht Allens eigener Einstellung entspricht. Man kann den Film auch als gedachte Zeitreise lesen: der ältere Mann (Dobel als ''Double'') versucht sein jüngeres Selbst vor den Fehlern zu warnen, die er selbst lieber vermieden hätte.
Wunderbar zickig gibt Christina Ricci die unreife Amanda, als ihre überdrehte Mutter singt und trinkt sich Stockard Channing durch den Film. Und auch Danny DeVito macht bei seinen Auftritten als klettiger Agent eine gute Figur. Allein die gleichfalls Allen-typische Eloquenz und der erlesene Wortschatz können auf Dauer ziemlich anstrengen. Wenn die Figuren einmal nicht das Sagen haben, setzt das Gerede aus dem Off ein. Nur die sonnendurchfluteten Cinemascope-Bilder Darius Khondjis retten Anything Else vom Abgleiten ins Hörspiel – was Allen dann doch wichtig schien, immerhin wählte er nach Manhattan erst zum zweiten Mal das große Kinoformat.
Anything Else unterhält nicht nur eingefleischte Woody-Allen-Fans, die lustvoll die Bezüge zu seinem früheren Film Annie Hall (Der Stadtneurotiker)herstellen können. Wenn man allerdings angesichts des Hauptdarstellers Jason Biggs eine Art American Pie 4 erwartet – Allens Humor ist doch ein anderer.
Er habe mehr Probleme, sagt Jerry Falk, als er durch einfachen Selbstmord lösen könne. Und nach zehn Minuten in diesem Film weiß man, was er meint: Seine Freundin Amanda (grandios und perfekt: Christina Ricci) ist ein zickiges, lebensunfähiges, fress- und hungersüchtiges Luder, die als Schauspielerin versagt und ihre umfangreichen sexuellen Phantasie mit allen möglichen Männern auslebt, aber nicht mit ihm. Auch die übrigen Mitmenschen bereiten ihm vor allem Probleme: Sein Manager (Danny de Vito) ist schmierig, unfähig und depressiv, sein Psychiater desinteressiert. Überdies leidet Jerry noch unter der Anwesenheit von Amandas versoffener Mutter, einer miserablen Revuesängerin, die bei ihm eingezogen ist, und – last not least – unter Erfolglosigkeit in seiner Arbeit als Comedy-Autor.
Jerry ist mit anderen Worten eine jener typischen Woody-Allen-Figuren des sympathischen Losers. Lange verkörperte ihn Allen in seinen Filmen am liebsten persönlich, jetzt mit weit über 60 hat er in Jason Biggs, bekannt aus flachen Teenie-Komödien, aber wie man sehen kann zu Besserem fähig, seinen jungen alter ego gefunden. Auf Allen selbst müssen seine Fans nicht verzichten, er spielt David Dobel, Jerrys väterlichen Freund, gleichfalls ein erfolgloser Comedy-Autor. Bei langen Gesprächen begleitet man die beiden durch den New Yorker Central Park, vor allem in Rückblicken erhalten wir Einblick in Jerrys Leben, lernen ihn und die anderen Figuren besser kennen.
»Funny is money!« heißt eine von Davids Devisen, und so sieht man in diesem Film weniger eine klar erzählte Geschichte, als eine Abfolge von Scetchen und Running-Gags. In gewissem Sinn kehrt Allen dabei zu seinen Anfängen als Stand-Up-Comedian zurück: Sprudelnd vor Wortwitz, mit Dialogen, die nur wenige Pointen auslassen, setzt der Film ganz auf die Macht der Sprache und der Interaktion der Darsteller, die sich die Gags zuwerfen, wie in den klassischen »Screwball«-Komödien der 40er Jahre. Die Bilder treten hingegen stark in den Hintergrund, und so reizvoll Anything Else ist – jener Reiz liegt nicht im speziell Filmischen.
Zum einen liebt man die Selbstironie, in der Allen hier die von ihm selbst gern gespielten Figuren und seine eigenen Figuren aufs Korn nimmt: Psychoanalyse und Liebeskummer, Weltfremdheit und Erfolgsträume, die Probleme, die Menschen mit sich selber und ihren Mitmenschen haben, die Lebenslügen und das Ringen mit den Tücken des Alltags.
Doch trotzdem ist ein ernster Unterton spürbar: Die Allen-Figur David ist nämlich auch ein, durch den Holocaust traumatisierter, Jude, ein trauriger Stadtneutrotiker, der von Ängsten und Sicherheitswahn besessen ist. Überall wittert er Terroristen: »Natürlich brauchst du ein Gewehr zur Selbstverteidigung« empfiehlt er Jerry, »stell dir vor, jemand bricht bei dir ein, während du masturbierst!« Im Witz versteckt sich auch bittere Kritik an Bush und Rumsfeld, eine scharfe Satire auf Paranoia und die Reaktion der Amerikaner auf den 11.September 2001, und all das Gerede von der »Homeland security«.
»The issue is always fascism« – »Eigentlich geht es immer um Faschismus« sagt Dobel doppeldeutig. Auch wenn man hier nicht alles wörtlich nehmen muss, was die Figuren sagen: Anything Else handelt von Angst und Unsicherheit, von Waffenfetischismus, und der Verarbeitung traumatischer Erfahrungen – wie Michael Moores Filme. Aber welch ein Unterschied! Im Gegensatz zu Anti-Bush-Überzeugungstäter erweist sich Allen als präziser Beobachter seiner Heimat. Immer vergnüglich, selten flach, ist sein Film voller Lebensklugheit im Detail und bei aller Allen-typischen Nostalgie – die sich nicht zuletzt in der Musikauswahl, sämtlich Jazzstücke aus den 30er und 40er-Jahren, zeigt – ist Anything Else unübersehbar ein Film unserer Gegenwart.