Deutschland 2013 · 118 min. · FSK: ab 12 Regie: Christian Alvart Drehbuch: Christoph Silber, Kai Hafemeister Kamera: Ngo The Chau Darsteller: Nadeshda Brennicke, Charly Hübner, Ken Duken, Andreas Schmidt, Heinz Hoenig u.a. |
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Gestatten… blond! |
Gisela Werler war die erste deutsche Bankräuberin. Zwischen 1965 und 1967 raubte sie gemeinsam mit ihrem Partner Hermann Wittorff 19 kleinere Banken in Norddeutschland aus. Damals beherrschte die von den Zeitungen »Banklady« getaufte Bankräuberin die Schlagzeilen. In einer Zeit, in der eine Frau noch das Einverständnis ihres Ehemanns benötigte, um arbeiten gehen zu dürfen, wirkte die Banklady gleichermaßen verrucht wie revolutionär modern. Zu ihrer Faszination trug auch die Tatsache bei, dass die für eine Bankräuberin ungewohnt höfliche Frau tatsächlich wie eine Lady auftrat. Zudem inszenierte Gisela Werler sich bei ihren Überfällen mit blonder Perücke und modischer Kleidung sehr selbstbewusst und in einer Weise, die weit über eine reine Verkleidung hinaus ging. Doch heute ist diese ungewöhnliche Frau, die im Jahr 2003 ihr einziges Fernsehinterview während ihrer Lebenszeit gab, weitestgehend in Vergessenheit geraten. Nun setzt ihr der Regisseur Christian Alvart mit Banklady ein filmisches Denkmal, das zugleich als ein gelungener deutscher Genrefilm überzeugt.
Hamburg-Altona in den frühen sechziger Jahren: Die unscheinbare Gisela Werler (Nadeshda Brennicke) arbeitet in einer Tapetenfabrik und lebt mit dreißig Jahren noch immer in der ärmlichen Wohnung ihrer Eltern. Ihr Vater ist ein Kriegsversehrter. Die junge Frau muss mit ihrem spärlichen Einkommen für die ganze Familie aufkommen. Ein eigenes Privatleben hat Gisela praktisch nicht. Manchmal führt ihr Arbeitskollege Uwe (Andreas Schmidt) sie zwar zum Essen aus. Doch von Giselas hochtrabenden Plänen eines Lebens auf Capri will er nichts wissen. Eines Tages vergisst Uwe jedoch einen Koffer in Giselas Zimmer, der randvoll mit Geld aus einem Bankraub ist. Als Uwe gemeinsam mit seinem Kumpanen Hermann Wittorff (Charly Hübner) zurückkehrt, um den Koffer abzuholen, beginnt sich Gisela sowohl für Uwes Freund, als auch für den heimlichen Zweiterwerb der beiden Männer zu interessieren. Sie überredet Hermann bei den Raubzügen mitzuhelfen zu dürfen. Schnell wird sie dabei zur treibenden Kraft, während Uwe immer mehr außen vor bleibt. Die graue Maus Gisela aus der Tapetenfabrik verwandelt sich bei den Überfällen in die mondäne »Banklady«, die betont höflich in teuren Mänteln und Schuhen, mit Perücke und Sonnenbrille auftritt. Während sich die Banklady immer mehr zu einem nationalen Sexsymbol entwickelt, sind die Ermittler Fischer (Ken Duken) und Kaminski (Heinz Hoenig) Gisela und Hermann immer dichter auf den Fersen...
Dem deutschen Regisseur Christian Alvart gelang im Jahre 2005 mit seinem Spielfilm Antikörper über einen psychopathischen Serienmörder der Durchbruch. Wie viele deutsche Nachwuchsregisseure musste jedoch auch Alvart feststellen, dass er mit seinem überdurchschnittlichen Genrefilm zwar sofort Hollywood auf sich aufmerksam machte, seine Karriere in der eigenen Heimat jedoch nicht voran kam. Deshalb drehte der Regisseur seinen nächsten Spielfilm Fall 39 notgedrungen in der Traumfabrik. Damals bezeichnete Alvart Hollywood als einen Rückzugsort, von dem aus er zu einem späteren Zeitpunkt als Genre-Regisseur nach Deutschland zurückzukehren wollte. Der Filmemacher hat sein Wort gehalten hat und legt jetzt mit Banklady einen deutschen Genrefilm vor, der noch weit überzeugender, als Antikörper ist. Dieser Schritt wurde sicherlich auch dadurch begünstigt, dass der Regisseur weder mit dem Horrorfilm Fall 39, noch mit dessen Nachfolger, dem Science-Fiction-Film Pandorum, sein wahres Talent zeigen konnte. Das ist jedoch keine Schande, sondern leider fast die Regel, wie das ähnliche Schicksal des deutschen Regisseurs Mennan Yapo zeigt. Yapo hatte 2004 das sehr gelungene Thriller-Drama Lautlos fertiggestellt, das jedoch hierzulande nicht die verdiente Aufmerksamkeit erhielt. So sah sich auch dieses junge Regietalent gezwungen, den letzten Ausweg Hollywood zu nehmen. Während Yapo in seiner Münchner Wohnung einen leeren Kühlschrank vorfand, drehte er kurz darauf in den USA für 20 Millionen Dollar den Blockbuster Die Vorahnung. Der Film spielte mehr als das Vierfache seines Budgets ein, war jedoch kein künstlerischer Erfolg.
Man darf sich also wundern, dass trotz widrigster Umstände auch in Deutschland nicht nur weiterhin Genrefilme gedreht werden, sondern dass die Frequenz entsprechender Veröffentlichungen in den letzten Jahren sogar deutlich zugenommen hat. Diese Entwicklung ist zu begrüßen. Denn Filmgenres wie der Horrorfilm und der Psychothriller entstanden während der Weimarer Republik in diesem Land. Man denke nur an die Werke bis heute stilprägender kreativer Genies wie die Regisseure Robert Wiene (Das Cabinet des Dr. Caligari, 1919), Friedrich Wilhelm Murnau (Nosferatu, 1922) und Fritz Lang (Metropolis, 1927; M – Eine Stadt sucht einen Mörder, 1931). Bereits damals wurden die wichtigsten Filmschaffenden aus Deutschland und aus Österreich ins amerikanische Exil getrieben, wo sie wiederum mit ihren Erfahrungen aus dem deutschen Expressionismus entscheidend die Ästhetik des Film noir prägten. Deshalb ist die Rückkehr deutscher Filmemacher gleich doppelt erfreulich.
Die Idee zu Banklady wurde von Nadeshda Brennicke an Regisseur Christian Alvart herangetragen. Die Schauspielerin faszinierte die Geschichte und in der Figur von Gisela Werler sah sie eine für sich interessante Rolle. Tatsächlich vermittelt Brennicke (Tattoo, 2002) auf äußerst überzeugende Weise sowohl die Verletzlichkeit, als auch die besondere Energie von Gisela Werler und sprüht in ihrer Rolle als Banklady nur so vor Charisma. An ihrer Seite besticht Charly Hübner gleichermaßen als der charmante Draufgänger und als der kleinlaute Familienvater Hermann Wittorff. Man sieht, dass die Gesellschaft in Deutschland vor 1968 noch sehr restriktiv war und dass gerade diese beiden vitalen Menschen in ihrem kleinbürgerlichen Mief zu ersticken drohten. Ähnlich wie Oskar Roehler in Lulu & Jimi (2009) stellt auch Alvart die starke Spießigkeit Nachkriegsdeutschlands extra aus, um zu verdeutlichen, dass wahre Freigeister in solch einem Umfeld geradezu zwangsweise radikale Ausbruchsversuche unternehmen mussten. Hierbei versucht Alvart nicht zu kaschieren, dass das Gangsterpaar Gisela und Hermann zwar deutlich an Bonnie und Clyde (1967) erinnert, jedoch trotzdem keineswegs »larger than life« ist.
Banklady ist über die Erzählung einer reinen Kriminalgeschichte hinaus ein freches Loblied auf Freiheit, Emanzipation und auf Selbstverwirklichung. Besonders sympathisch ist der Film dadurch, dass noch nicht einmal die Protagonisten selbst ihre eigene Geschichte zu ernst nehmen. Der mit Hamburger Straßencharme auftretende Hermann ist sich bewusst, dass Gisela und er als Gangster nur verhältnismäßig kleine Nummern sind und sich deshalb auf kleine Bankfilialen beschränken sollten. Anders als in vielen amerikanischen Gangsterfilmen träumt das Gangsterpaar nicht von einem dekadenten Leben in überbordenden Luxus, sondern nur davon, gerade genug Geld zu machen, um sich nach Italien absetzen zu können. So bleiben die beiden auch in ihren Träumen recht kleinbürgerlich und wirken dadurch äußerst lebensnah. Zudem erzählt Banklady die romantische Geschichte einer zunächst nicht erwiderten Liebe. Während Gisela für Hermann schwärmt, betrachtet jener ihr Verhältnis ausschließlich aus rein professioneller Natur. Das Filmende wirkt dann wiederum fast wie in einem Hollywoodfilm. Doch am unglaublichsten sind bekanntlich oft die Geschichten, die das Leben selbst schreibt.