Before I Wake

USA 2016 · 97 min. · FSK: ab 16
Regie: Mike Flanagan
Drehbuch: ,
Kamera: Michael Fimognari
Darsteller: Kate Bosworth, Thomas Jane, Jacob Tremblay, Annabeth Gish, Scottie Thompson u.a.
Berührendes Familiendrama

Träume werden wahr

Traum und Kino gehören seit jeher zusammen. Hollywood wird gerne als Traum­fa­brik bezeichnet. Auf der Leinwand ist grund­sätz­lich alles möglich Und nicht wenige Filme befassen sich ganz konkret mit mensch­li­chen Schlaf­ak­ti­vitäten. Unter anderem Chris­to­pher Nolans bild­ge­wal­tiges Verwirr­spiel Inception, in dem Leonardo DiCaprio als Traumdieb zu sehen ist. Ebenso Wes Cravens Kult­streifen Nightmare – Mörde­ri­sche Träume, der einen Killer aus dem Jenseits in die Traumwelt einer jugend­li­chen Clique eintau­chen lässt. Ängste und Gefahren, die im Unbe­wussten schlum­mern und des Nachts an die Ober­fläche drängen, spielen auch im Horror­drama Before I Wake eine zentrale Rolle, das nach finan­zi­ellen Schwie­rig­keiten des ameri­ka­ni­schen Verlei­hers mit einiger Verspä­tung das Licht der Welt erblickt.

Hinter der Mystery-Mär steht der Genre-Enthu­siast Mike Flanagan, der 2013 mit Oculus einen sicher­lich nicht fehler­freien, dennoch über­ra­schend diffe­ren­zierten Grusel­film vorlegte. Erst kürzlich lief in den deutschen Kinos seine Fort­set­zung zum Okkult-Thriller Ouija – Spiel nicht mit dem Teufel an, die sich durch eine sorgsam aufge­baute Atmo­s­phäre von ihrem erschre­ckend formel­haften Vorgänger wohltuend abhebt. Dass Flanagan Unbehagen erzeugen und den Zuschauer nach­haltig für das Schicksal seiner Prot­ago­nisten inter­es­sieren kann, zeigt sich schon früh in Before I Wake, der unauf­ge­regt von fami­liärem Verlust und Urängsten erzählt.

Wie so oft im Horror­genre liegt der Geschichte ein Unglück zugrunde, das die Figuren aufzu­fressen droht: Jessie (Kate Bosworth) und Ehemann Mark (Thomas Jane) haben ihren Sohn Sean durch einen Unfall in der Badewanne verloren und entfernen sich in ihrer Trauer immer mehr vonein­ander. Eine Rettung ihrer ange­schla­genen Beziehung verspre­chen sie sich von der Adoption des acht­jäh­rigen Cody (Jacob Tremblay), der unter massiven Schlaf­stö­rungen leidet. Als der schüch­terne Junge in das schmucke Anwesen des Paares einzieht, gehen schon bald seltsame Dinge vor sich. Leuchtend bunte Schmet­ter­linge schweben eines Abends durch das Wohn­zimmer. Und irgend­wann stehen Jessie und Mark ihrem verstor­benen Sohn gegenüber, der sich kurz darauf wieder in Luft auflöst. Der Grund für die wunder­samen Ereig­nisse ist erstaun­lich und unheim­lich zugleich: Immer dann, wenn Cody schläft, mani­fes­tieren sich seine Träume in der Wirk­lich­keit, wobei nicht nur Schönes zu Tage tritt. Regel­mäßig wird der Adop­tiv­sohn auch von einer furcht­ein­flößenden Kreatur heim­ge­sucht.

Die Grundidee des Films ist reizvoll und bereitet den Boden für ein berüh­rendes Fami­li­en­drama, das nur gele­gent­lich mit genreüb­li­chen Schock­ein­lagen arbeitet. Viel Zeit wenden Flanagan und Koautor Jeff Howard auf, um den Schmerz der Prot­ago­nisten greifbar zu machen. Ein beson­deres Lob gebührt Jung­dar­steller Jacob Tremblay, der schon für seine nuan­cierte Perfor­mance im Entfüh­rungs­drama Raum gefeiert wurde. Einmal mehr bringt er es fertig, durch Blicke und kleine Gesten eine verletzte Kinder­seele offen­zu­legen und das Publikum zu seinem Komplizen zu machen. Cody ist ein stiller, höflicher, zutiefst verängs­tigter Junge, der seine außer­ge­wöhn­li­chen Fähig­keiten fürchtet, da er um ihre zerstö­re­ri­sche Seite weiß. Noch dazu wird der Vollwaise, wie das Ende des Films zeigt, von einem Trauma verfolgt, das sich in seinen Schla­f­er­leb­nissen nieder­schlägt.

Ebenso im Fokus steht das brüchige Band zwischen Jessie und Mark, die mit Codys Gabe unter­schied­lich umgehen. Während Mark bemüht ist, dem Adop­tiv­kind seine Angst zu nehmen, lässt Jessie nichts unver­sucht, die beglü­ckende Begegnung mit ihrem toten Sohn zu wieder­holen. So sehr man ihre Sehnsucht nach­voll­ziehen kann, lässt sich nicht wegdis­ku­tieren, dass sie Cody für ihre eigene Trau­er­ar­beit miss­braucht – was schluss­end­lich in die Kata­strophe führt.

Before I Wake ist immer dann am stärksten, wenn sich das Mystery-Drama auf das Empfinden seiner Figuren konzen­triert und eine bedrü­ckende, von Trauer erfüllte Stimmung herauf­be­schwört. Fast schon störend erscheint da das konkrete Auftau­chen der unheim­li­chen Kreatur aus Codys Träumen. Dürftige Effekte sorgen in diesem Zusam­men­hang für atmo­s­phä­ri­sche Brüche. Und auf der Ziel­ge­raden setzt das lange Zeit behutsam entwi­ckelte Geschehen zu einer ruckelnden Geis­ter­bahn­fahrt mit durch­schnitt­li­chem Unter­hal­tungs­wert an. Ins öde Genre­mit­telmaß stürzt der Film dadurch nicht ab. Eine noch größere Ausdrucks­kraft wird aber leicht­fertig verschenkt.